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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

auch in größeren Räumen wie in der Kirche, in Konzerten zu hören gestattet. Allein dies kann eben nur bei noch nicht hochgradig Schwerhörigen die Aufgabe der Hörmaschine sein; die Mehrzahl der Kranken, welche überhaupt regelmäßig eines Apparates bedürfen, müssen auf die Beherrschung eines größeren Umkreises verzichten und sich auf das Zwiegespräch beschränken, und für dieses letztere giebt es kein bequemeres und kräftigeres Hilfsmittel als eben den Hörschlauch. Nur darf der Sprechende niemals laut in den Schalltrichter hineinschreien, da es fast stets genügt, mit gewöhnlicher Tonstärke oder doch mit ganz wenig erhobener Stimme zu sprechen, vorausgesetzt, daß sehr deutlich artikulirt wird. Zu starker Schall wird nicht nur unverständlich, sondern greift auch die Gehörnerven der Tauben sehr schnell an.

Ein nicht zu unterschätzender Vortheil des Hörschlauches besteht auch darin, daß derselbe leicht in der Tasche oder um die Schultern gehängt getragen werden kann und daß der Sprechende in einer verhältnißmäßig großen Entfernung vom Hörenden, jedenfalls etwa an der entgegengesetzten Seite eines Tisches, seinen Platz haben kann. Wer je zu einem Tauben längere Zeit ohne Hilfsmittel, also unmittelbar in das Ohr hinein, gesprochen hat, wird die Wohlthat, welche auch in dieser Hinsicht der Hörschlauch bietet, zu schätzen wissen.

Audiphon.

Für alle die bisher besprochenen Apparate und besonders für die trichterförmigen gilt das eine, daß sie nicht in dem gleichen Verhältniß, wie sie den Schall verstärken, auch eine größere Deutlichkeit der Wahrnehmung vermitteln. Vielmehr kann es sehr oft beobachtet werden, daß gerade, wenn ein Instrument den Ton der Stimme dem Ohre recht laut zuführt. die Deutlichkeit leidet, Nach- und Nebengeräusche entstehen; und da es für die Schwerhörigen meist weniger auf die bloße Verstärkung des Schalles als auf größere Deutlichkeit der gehörten, aber nicht verstandenen Worte ankommt, so ist der Nutzen der Hörmaschinen, zumal bei noch nicht höchstgradig Tauben, nur zu oft ein sehr geringer. Es kommt hinzu, daß bei einem großen Theil der Ohrleidenden, welche ein bestimmtes Instrument mit Erfolg benutzen, durch längere Anwendung desselben eine unerträgliche Reizung der Hörnerven entsteht, welche den Schwerhörigen von selbst zur Ausschaltung des Apparates zu veranlassen pflegt und stets als ein Zeichen dafür angesehen werden muß, daß, wenn überhaupt, nur mit Vorsicht, immer auf kurze Zeit und etwa bei besonderen Gelegenheiten ein künstliches Hilfsmittel angewandt werden darf. Solche Gelegenheiten sind für die minder Schwerhörigen, für welche überhaupt ein geselliges Leben mit seinen geistigen Genüssen noch in Frage kommt, Konzert, Vorträge, kleinere Gesellschaften, Theater; doch wiederholt sich die Erfahrung täglich, daß mit Ausnahme der Musik alle diese Arten der Unterhaltung meist schon sehr frühzeitig von den Schwerhörigen aufgegeben werden, nicht allein, weil nur immer ein Theil des Gebotenen richtig wahrgenommen werden kann, sondern auch wegen der mit dem angespannten Lauschen verbundenen Uebermüdung.

Immerhin wird im allgemeinen von Hörinstrumenten noch viel zu wenig Gebrauch gemacht. Im engeren geselligen Zusammensein könnte mancher Schwerhörige durch die Benutzung eines geeigneten Apparates sich und andern den Verkehr wesentlich erleichtern; vor allem aber ist für die Erziehung schwerhöriger Kinder ein Hörrohr zuweilen von überraschend günstigem Einfluß, sei es im Klassen– oder, was häufiger in Betracht kommt, im Einzelunterricht. Gar manches Kind, welches für den gewöhnlichen Schulbesuch zu schlecht hört, kann mit Hilfe eines Schalltrichters oder eines Hörschlauches sehr wohl unterrichtet werden, und es läßt sich in derartigen Fällen sogar zuweilen die Einweisung in eine Taubstummenanstalt, welche sonst erforderlich wäre, unnöthig machen.

Ein großer, oft verhängnißvoller Fehler ist aber auf der andern Seite, wenn ein Schwerhöriger eine Hörmaschine ohne Verordnung eines sachverständigen Arztes auswählt und in Gebrauch nimmt. Es ist immer ein besonderer Zustand des Gehörorgans für die Anwendung derartiger Hilfsmittel vorauszusetzen, und ob derselbe vorliegt, ob ferner dieses oder jenes Instrument für den Kranken geeignet sein wird, – was meist nur durch eine Reihe von Beobachtungen und Versuchen festzustellen ist, – wie oft, bei welchen Gelegenheiten, wie lange jedesmal der Apparat in Anwendung gebracht werden darf, alle diese Fragen kann nur und muß in jedem einzelnen Falle der Ohrenarzt nach eingehender persönlicher Untersuchung des Patienten entscheiden. Nur zu oft ereignet es sich, daß der Taube durch den unzweckmäßigen Gebrauch eines für ihn ungeeigneten Hörrohres, welches ihm von einem Bekannten empfohlen oder durch eine schwindelhafte Zeitungsanzeige bekannt geworden ist, dauernden Schaden leidet; und besonders wird dadurch oft gefehlt, daß ein Schwerhöriger zu früh ein Instrument, oder wenigstens ein zu kräftig wirkendes Instrument bei jeder ihm günstig scheinenden Gelegenheit benutzt und dadurch sein Gehör, anstatt es zu schonen und zu üben, abstumpft oder überempfindlich macht. Darum bediene sich niemand eines Hörrohrs ohne die Empfehlung eines dazu befähigten Arztes, dessen Vorschriften dann aber auch genau zu befolgen sind!

Außer den bisher besprochenen Schalltrichtern, denen auch der Hörschlauch als auf gleichem Grundsatze beruhend hinzugezählt werden kann, giebt es noch Hörapparate anderer Art. Früher waren z. B. „Schallfänger“ oder „Hörschalen“ vielfach in Gebrauch, schüssel- oder muschelförmige Instrumente von Metall, wohl auch geradezu Muscheln, welche hinter oder über dem Ohre befestigt wurden und gewissermaßen die Fläche der Ohrmuschel vergrößern, also mehr Schallwellen sammeln helfen sollten; einen Ohransatz besaßen dieselben nicht, der Ton wurde mithin nicht unmittelbar dem Gehörgang zugeführt. Einen ähnlichen Zweck hatten auch die „Ohrkissen“, welche hinter dem Ohre angebracht wurden, um den Anheftungswinkel der Ohrmuschel am Schädel zu vergrößern, ein vermehrtes Abstehen des Ohres herbeizuführen. Die Apparate dieser Gattung haben nur in vereinzelten Fällen irgend welchen Werth und werden heute kaum noch verordnet, zumal die Schallfänger leicht infolge zu starker Schwingungen Nebengeräusche erzeugen und die bei den Kissen wesentliche Voraussetzung, daß die Schärfe des Gehörs vom Ansatzwinkel der Ohrmuschel abhängig sei, vollkommen irrig ist.

Schallbecher.

In neuerer Zeit hingegen hat man mehrfach „feste Schallleiter“, meist in Gestalt von Fächern (Audiphon, Dentaphon) empfohlen, welche das Gesetz der Schallfortpflanzung durch die Schädelknochen nutzbar machen. Man glaubte, daß in Fällen, in welchen der Zustand des Trommelfells und der Gehörknöchelchen für eine Leitung des Schalls nicht mehr ausreicht, wohl aber die Schallwellen noch durch die Kopfknochen auf das Centralorgan übertragen werden können, durch eine vermehrte Zuführung von Tonschwingungen zum Schädel eine verstärkte Gehörwahrnehmung zu erzielen sein würde. Leider erweisen sich diese Instrumente, besonders das bekannteste, das Audiphon, ein am Griff in der Hand gehaltener, federnder Fächer von Hartgummi, dessen obere Kante gegen die Schneidezähne gedrückt wird, in der Praxis nur äußerst selten als nutzbringend, wenngleich allerdings durch die Anwendung nicht so leicht Schaden gestiftet werden mag, als durch die Schalltrichter.

Gleichfalls von beschränkter Brauchbarkeit sind solche Apparate, welche durch Uebertragung der Schallwellen unmittelbar auf das Trommelfell zu einer verstärkten Schallwahrnehmung führen sollen. Ein neueres kleines Instrument dieser Art besteht aus einer Gummiplatte, welche in die Ohrmuschel zu liegen kommt und die von dieser erhaltenen Tonwellen durch ein das Trommelfell berührendes Gummistäbchen auf diese sehr empfindliche Membran überträgt. Die Wirkung für die Hörschärfe ist selten groß, oft aber reizt das kleine Instrument mechanisch derartig, daß sich seine Anwendung schon dadurch verbietet.

Nur eigentlich unter einer Voraussetzung kann man durch unmittelbare Belastung des schallleitenden Apparates eine Gehörverbesserung herbeiführen, und zwar wenn das Trommelfell

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_011.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)