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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

und blickte wieder in die Ferne hinaus, während der andere fortfuhr: „Der Junge ist bildschön geworden in den letzten Jahren. Ich war ganz überrascht, als ich ihn wiedersah, und Du gestehst ja selbst zu, daß er ungewöhnlich begabt und in manchen Dingen geradezu genial beanlagt ist.“

„Ich wollte, Hartmut hätte weniger Anlagen und mehr Charakter,“ sagte Falkenried in einem beinahe herben Tone. „Verse kann er schmieden und die Sprachen lernt er spielend, aber sobald es sich um eine ernste Wissenschaft handelt, bleibt er hinter all den anderen zurück, und in der Strategie ist nun vollends nichts mit ihm anzufangen. Du ahnst es nicht, Wallmoden, mit welcher eisernen Strenge ich da fortwährend eingreifen muß.“

„Ich fürchte nur, Du richtest nicht viel aus mit dieser Strenge,“ warf Wallmoden ein. „Du hättest meinem Rathe folgen und Deinen Sohn studieren lassen sollen. Zum Soldaten taugt er nun einmal nicht, das mußt Du doch endlich einsehen.“

„Er soll und muß aber dafür taugen! Es ist die einzig mögliche Laufbahn für seine unbändige Natur, die sich gegen jeden Zügel aufbäumt und jede Pflicht als einen Zwang empfindet. Die Universität, das Studentenleben würde ihn der vollsten Zügellosigkeit überantworten, nur die eiserne Disciplin, der er sich im Dienste beugen muß, zwingt ihn.“

„Für jetzt noch – ob sie ihn aber auf die Dauer zu zwingen vermag? Du solltest Dich nicht darüber täuschen, das sind leider ererbte Anlagen, die sich wohl unterdrücken, aber nicht ausrotten lassen. Hartmut ist ja auch äußerlich das Ebenbild seiner Mutter, er hat ihre Züge, ihre Augen.“

„Ja wohl!“ sagte Falkenried düster. „Ihre dunklen, dämonischen Gluthaugen, die alles zu bannen wußten.“

„Und Dir zum Verderben wurden!“ ergänzte Wallmoden. „Wie habe ich damals gewarnt und abgemahnt; aber Du hörtest ja auf nichts mehr. Diese Leidenschaft hatte Dich wie ein Fieber gepackt und Dein ganzes Wesen in Fesseln geschlagen – ich habe das nie begreifen können.“

Um die Lippen Falkenrieds zuckte ein bitteres Lächeln.

„Das glaube ich. Du, der kühle, berechnende Diplomat, der jeden Schritt erst sorgfältig abwägt, bist gefeit gegen solche Bezauberungen.“

„Wenigstens würde ich bei meiner Wahl vorsichtiger sein. Deine Ehe trug von Anfang an das Unglück in sich. Eine Frau aus fremdem Stamme und fremdem Blute, eine wilde, leidenschaftliche Slavennatur, ohne Charakter, ohne Verständniß für das, was uns hier Sitte und Pflicht heißt, und Du mit Deinen starren Grundsätzen, Deinem reizbaren Ehrgefühl – das mußte ja schließlich zu einem solchen Ende führen! Und ich glaube, Du liebtest sie trotz alledem bis zu der Trennung.“

„Nein,“ sagte Falkenried hart. „Der Rausch verflog schon im ersten Jahre, ich sah nur zu klar, aber ich schauderte zurück vor dem Gedanken, mein häusliches Elend durch einen Scheidungsprozeß der Welt preiszugeben. Ich trug es, bis mir keine Wahl mehr blieb, bis ich endlich – genug davon!“

Er wandte sich kurz ab und schaute wieder zum Fenster hinaus; aber es lag eine mühsam verhaltene Qual in diesem jähen Abbrechen.

„Ja, es gehörte viel dazu, eine Natur wie die Deinige aus allen Fugen zu reißen,“ sagte Wallmoden ernst. „Aber die Scheidung machte Dich doch frei von der unseligen Kette, und damit hättest Du auch die Erinnerung daran begraben sollen.“

Falkenried schüttelte finster den Kopf. „Solche Erinnerungen begräbt man nicht, sie erstehen immer wieder aus der vermeinten Gruft, und gerade jetzt –“ er brach plötzlich ab.

„Gerade jetzt – was meinst Du.“

„Nichts – laß uns von anderen Dingen reden! Du bist also seit vorgestern in Burgsdorf; wie lange denkst Du zu bleiben?“

„Etwa vierzehn Tage, ich habe nicht viel Zeit zur Verfügung und bin eigentlich nur dem Namen nach Willibalds Vormund, da der diplomatische Dienst mich meist im Auslande festhält. Die Vormundschaft ruht tatsächlich in den Händen meiner Schwester, die ja überhaupt alles regiert.“

„Ja, Regine ist ihrer Stellung gewachsen,“ stimmte Falkenried bei. „Sie regiert das große Gut und die zahlreichen Leute wie ein Mann.“

„Und kommandirt wie ein Wachtmeister vom Morgen bis zum Abend,“ ergänzte Wallmoden. „Bei aller Anerkennung ihrer vortrefflichen Eigenschaften fühle ich doch immer ein gelindes Haarsträuben, wenn es sich um einen Besuch in Burgsdorf handelt, und komme regelmäßig mit angegriffenen Nerven zurück. Es herrschen dort wirklich noch förmliche Urzustände, und Willibald ist nun vollends ein junger Bär; dabei natürlich das Ideal seiner Mutter, die das möglichste thut, ihn zu einem derben Krautjunker zu erziehen. Da hilft kein Einreden, und übrigens hat er auch alle Anlage dazu.“

Sie wurden durch einen Diener unterbrochen, der in diesem Augenblicke eintrat und eine Karte überreichte. Falkenried warf einen flüchtigen Blick darauf.

„Rechtsanwalt Egern? Es ist gut, lassen Sie den Herrn eintreten.“

„Du hast Geschäftliches vor?“ fragte Wallmoden, sich erhebend. „Dann will ich nicht stören.“

„Im Gegentheil, ich bitte Dich, zu bleiben. Der Besuch ist mir bereits angekündigt und ich weiß, was dabei zur Sprache kommen wird. Es handelt sich –“

Er vollendete nicht, denn die Thür öffnete sich bereits und der Gemeldete trat ein. Er schien überrascht, den Offizier nicht allein zu finden, wie er wohl erwartet hatte, aber dieser nahm keine Notiz von seinem sichtbaren Befremden.

„Herr Rechtsanwalt Egern – Herr Botschaftssekretär von Wallmoden,“ stellte er vor. Der Jurist verneigte sich mit kühler Höflichkeit und nahm den angebotenen Platz ein.

„Ich habe wohl noch die Ehre, von Ihnen gekannt zu sein, Herr Major,“ begann er. „Als Vertreter Ihrer Frau Gemahlin in dem damaligen Scheidungsprozesse hatte ich bisweilen Veranlassung, mit Ihnen persönlich zu verkehren.“

Er hielt inne und schien eine Antwort zu erwarten; aber Major Falkenried neigte nur stumm bejahend das Haupt. Wallmoden dagegen wurde aufmerksam, jetzt konnte er sich die seltsam gereizte Stimmung erklären, in der er den Freund schon bei seiner Ankunft gefunden hatte.

„Ich komme auch heute im Namen meiner damaligen Klientin,“ fuhr der Rechtsanwalt fort. „Sie hat mich beauftragt – darf ich hier frei sprechen.“

Er warf einen Blick auf den Botschaftssekretär, aber Falkenried sagte kurz: „Herr von Wallmoden ist mein Freund und als solcher eingeweiht in die Sache. Ich bitte, ganz rückhaltlos zu sprechen.“

„Nun wohl, die Dame ist nach langjähriger Abwesenheit nach Deutschland zurückgekehrt und wünscht selbstverständlich ihren Sohn wiederzusehen. Sie hat sich deswegen schon brieflich an Sie gewandt, aber keine Antwort erhalten.“

„Ich dächte, das wäre Antwort genug. Ich wünsche diese Zusammenkunft nicht, also werde ich sie auch nicht gestatten.“

„Das klingt sehr schroff, Herr Major, Frau von Falkenried hat jedenfalls –“

„Frau Zalika Rojanow wollen Sie sagen,“ unterbrach ihn der Major. „So viel ich weiß, hat sie ihren Geburtsnamen wieder angenommen, als sie in ihre Heimath zurückkehrte.“

„Der Name thut hier wohl nichts zur Sache,“ entgegnete der Rechtsanwalt gelassen. „Es handelt sich einzig und allein um den durchaus berechtigten Wunsch einer Mutter, den der Vater nicht versagen kann und darf, selbst wenn ihm wie in diesem Falle sein Sohn unbedingt zugesprochen wurde.“

„Nicht darf? Und wenn er es dennoch thut?“

„So überschreitet er die Grenzen seines Rechts. Ich möchte Sie doch bitten, Herr Major, die Sache ruhig zu erwägen, ehe Sie ein so entschiedenes Nein sprechen. Die Mutterrechte einer Frau vermag kein Richterspruch so völlig aufzuheben, daß man ihr sogar das Wiedersehen mit ihrem einzigen Kinde versagen darf. In diesem Falle steht meiner Klientin das Gesetz zur Seite, und sie wird es geltend machen, wenn meine Forderung abgewiesen werden sollte wie ihre schriftliche Bitte.“

„So mag sie es versuchen, ich werde es darauf ankommen lassen. Mein Sohn weiß nicht, daß seine Mutter noch am Leben ist, und soll es auch vorläufig nicht erfahren. Ich will nicht, daß er sie sieht und spricht, und ich werde es zu verhindern wissen. Mein Nein bleibt unter allen Umständen bestehen.“

Diese Erklärung ließ an Energie nichts zu wünschen übrig; aber auf Falkenrieds Zügen lag eine fahle Blässe und seine Stimme klang dumpf und drohend. Man sah es, wie furchtbar die Unterredung ihn erregte, er zwang sich nur gewaltsam zur äußeren Ruhe. Der Rechtsanwalt schien auch die Nutzlosigkeit weiterer Bemühungen einzusehen, er zuckte nur die Achseln.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_002.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)