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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

( gemeinfrei ab 2029)


Blätter und Blüthen.

Christnacht der Bergleute. Zu dem Schönsten, was das sagenreiche steirische Hochland uns erzählt, gehören unstreitig die Sagen des Knappenvolkes. Aus dem Eisenerzer Gebiet in der Nähe von Leoben stammt die hübsche Mär von jenem liederlichen Knappen, den die zürnenden Berggeister wieder einem rechten Lebenswandel zugeführt haben. Während Weib und Kind daheim darbten, brachte der leichtsinnige Geselle jede freie Stunde in der Schenke zu. So kam er auch einmal in der Christnacht in betrunkenem Zustande heim zu den Seinen. Er begann alsbald mit seinem Weibe, das ihm seine strafwürdige Lebensweise vorhielt, zu streiten und rief so einen recht stürmischen Auftritt hervor, welcher schließlich damit endete, daß der Knappe seine Grubenlampe anzündete, das Haus verließ und dem Erzberg zuwanderte. Dort begann der Bergmann in der grabesstillem Grube seine Thätigkeit. Eine Stunde mochte er schon gearbeitet haben, als er – Mitternacht mußte nahe sein – neben sich ein Rascheln und Flüstern hörte und plötzlich aus der Felswand winzige Bergleute herauskommen sah. Eines dieser gnomenhaften geheimnißvollen Männchen forderte seine Kameraden auf, Messer zu holen, und diese verschwanden rasch. Den Bergknappen aber erfaßte qualvolle Todesangst; er ließ vor Schreck die Grubenlampe aus seinen zitternden Händen fallen, so daß ihn tiefste Finsterniß umgab.

Daß die Bergmännchen die Entweihung der heiligen Christnacht schwer bestrafen würden, wußte der Liederliche gar wohl. In seiner grenzenlosen Angst wendete er sich mit heißem Flehen dem Himmel zu und versprach reuig Besserung von dieser Stunde an, sofern die himmlischen Mächte ihn diesmal der Gewalt der erbosten Berggeister entzögen. Und seine Bitte fand Erhörung. Milder Lichtschein erhellte plötzlich den nächtigen Grubenraum und der Knappe bemerkte vor sich eine Leiter, welche nach aufwärts führte, die er jedoch früher, da seine Lampe noch brannte, nicht gesehen hatte. So schnell als ihn die wankenden Beine nur zu tragen vermochten, stieg er die Sprossen empor, höher und höher, bis er endlich über sich das sternenhelle Firmament leuchten sah … Aus der kleinen Dorfkirche herüber vernahm er die feierlichen Orgeltöne und das weihevolle Singen der Gemeinde, welche eben der Mette beiwohnte. In inbrünstiges Beten versunken, lag er an den Stufen des Kirchenthores, als die fromme Schar aus dem Gotteshause traf. Am nächsten Christabend aber saß er daheim bei Weib und Kind; denn er hatte sein Versprechen treu gehalten und war ein anderer, ein besserer geworden. Nur sein schneeweißes Haar erinnerte ihn und alle, die ihn kannten, an die fürchterlichste Stunde seines Lebens. E. K.

Nachträgliches vom Büchertisch für die Jugend. Die „Gartenlaube“ braucht ihrer hohen Auflage wegen allein für den Druck einer Nummer etwa 14 Tage, und darum muß die Redaktion der Nummern in der Regel volle drei Wochen vor dem Erscheinen derselben geschlossen werden – allzufrüh zu einer Zeit wie derjenigen vor dem Weihnachtsfeste, wo jeder Tag die schon aufgezählten Christgaben um neue vermehrt. Das haben wir auch wieder bei unserem diesjährigen Weihnachtsbüchertisch für die Jugend erfahren, der seit dem Erscheinen unseres Berichtes in Nr. 49 einen nicht nur ansehnlichen, sondern auch werthvollen Zuwachs erfahren hat, so daß wir unsere Liste empfehlenswerther Schriften gerechterweise durch einen wenn auch gedrängten Nachtrag ergänzen müssen. Kommt derselbe zum Weihnachtsfeste nicht mehr früh genug, so erinnern wir daran, daß unsere Empfehlungen auch keineswegs für dieses Fest allein gelten wollen. Es giebt im langen Jahre noch so manche Gelegenheit zum Bücherschenken, bei der vielleicht ein Rathgeber erwünscht ist, und da blättere man in der „Gartenlaube“ zurück bis zu denjenigen Nummern, welche unsere Empfehlungen zur Zeit des Weihnachtsfestes, aber nicht für dieses ausschließlich enthalten!

Die Bilderbücher für die Kleinsten hat die Verlagshandlung von J. F. Schreiber in Eßlingen noch um einige sehr „dauerhafte“ Neuigkeiten bereichert: „Neuestes ABC“, „Herzblättchens Bilderbuch“ und „Goldene Zeiten“, alle drei gegen die oft etwas zerstörungslustigen Fäustchen der Kleinen dadurch widerstandsfähiger gemacht, daß die hübschen Bilder auf Leinwand gedruckt sind. Dieselbe wohlangebrachte Vorsichtsmaßregel ist auch bei Lothar Meggendorfers Bilderbuch „In Großpapas Garten“ (ebenda) angewendet. Man sollte kaum denken, daß in einem so zierlichen Buche, das man bequem in die Tasche schieben kann, ein so großer Garten wie der dieses Großpapas verborgen sein könnte. Aber das Büchlein ist zum Ausbreiten eingerichtet und erreicht, völlig entfaltet, wohl die stattliche Länge von zwei Metern. – Ein niedliches Bilderbuch ist „Des Kindes Wunderhorn“ von Fedor Flinzer (Breslau, C. T. Wiskott), mit alten Kinderreimen und vorzüglichen, künstlerisch schönen Bildern. – Zu den werthvollsten Büchern für Kinder im Alter von 6 bis 9 Jahren gehört „Die Fahrt zum Christkind“, ein Weihnachtsmärchenbuch von Julius Lohmeyer, illustrirt von V. P. Mohn (Glogau, Carl Flemming). Die feinsinnige Dichtung und die vollendet schönen, farbenprächtigen Bilder deuten in gleichem Maße auf die Meisterhand. Diesem köstlichen Bilderbuch reihen sich endlich noch drei zierliche Büchlein an, deren überaus anmuthender Bilderschmuck in englischem Geschmack gehalten ist: „Sonnige Tage, wonnige Stunden“, „Vom Himmel her“ und „Laß dir was erzählen“ (München, Theo. Stroefers Kunstverlag), kleine Prachtwerke für Kinder, mit leichtverständlichen Reimen.

Zu den Geschichtenbüchern für die Kleinen nennen wir noch J. A. C. Löhrs „Kleine Erzählungen“ (Stuttgart, K. Thienemanns Verlag), mit acht wirklich herzigen Kinderbildern von L. v. Kramer, und „Herzblättchens Zeitvertreib“ von Th. von Gumpert (Glogau, Carl Flemming), ein Jahrbuch, das bereits im 34. Jahrgang vorliegt.

Die Zahl der Märchensammlungen vermehrt G. Chr. Dieffenbach um eine weitere: „Das Goldene Märchenbuch“, mit vielen Illustrationen von Carl Gehrts (Bremen, M. Heinsius Nachfolger). Neues ist darin nicht enthalten, doch sind die schönen alten Märchen kundig


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 890. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_890.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2024)