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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


englischen Kanal wird den Weg durch den Nordostseekanal nehmen müssen. Außer der Zeitersparniß muß auch noch die nicht unbedeutende Verminderung der Versicherungsgebühr für Schiff und Ladung in Anschlag gebracht werden, wenn ersteres die Fahrt durch den gefahrlosen Kanal wählt. – Die Zeitersparniß, welche Segelschiffe von der Fahrt durch den Kanal haben können, ist naturgemäß eine sehr verschiedene, je nach den Wind- und Witterungsverhältnissen. Der Gewinn, den ein im Skagerrack durch Gegenwind oder im Kattegat und Sund durch Windstille zurückgehaltenes Schiff von der Fahrt durch den Kanal haben kann, wenn es sich schleppen läßt – bei Helsingör liegen oft Hunderte von Schiffen fest, um auf günstigen Wind zu warten – ist zuweilen auf Wochen zu veranschlagen.

Man nimmt nun für den Kanalverkehr etwas mehr als den dritten Theil aller bisher durch den Sund gehenden Schiffe an, nämlich etwa 18 000 im Jahr, und rechnet die Einnahme aus ihnen auf reichlich 4 Millionen Mark (vgl. Sympher im „Zentralblatt für Bauverwaltung“), denen etwa 2 Millionen Mark Unterhaltungskosten gegenüberstehen würden: es würde sich mithin ein verzinsender Ueberschuß von 2 Millionen ergeben, d. h. 4 Prozent der 50 Millionen, welche übrig bleiben, wenn man die 51 Millionen vom Baukapital abzieht, die zu Zwecken der Kriegführung gerechnet werden, und ferner die 50 Millionen, die Preußen als Vorausbetrag gezahlt hat. Damit würde dann mindestens derjenige Kostentheil verzinst sein, der lediglich dem Nutzen des allgemeinen Verkehrs gewidmet ist. –

Nicht geringe Schwierigkeiten werden die Uebergänge über den Kanal machen. Es handelt sich darum, 4 Eisenbahnen, 5 Heerstraßen und eine ganze Anzahl geringerer Wege überzuführen. Für letztere werden Handfähren, für 3 Heerstraßen Dampffähren und für die 2 andern und die Eisenbahnen Drehbrücken, vielleicht auch eine feste Brücke, gebaut werden müssen.

Die Leitung des ganzen Riesenbaues steht unter der kaiserlichen Kanalkommission in Kiel. Sie steht unmittelbar über den vier Bauämtern in Kiel, Rendsburg, Burg und Brunsbüttel. Die Länge des Kanals wird von Brunsbüttel aus gemessen mit 0 km, bis Holtenau mit 98,7 km.

Möge das große Werk, das erste praktische Friedenswerk, an dem Alldeutschland arbeitet, rüstig in Frieden fortschreiten, und an dem Tage, an dem zum erstenmal die Fluthen der Nord- und Ostsee zusammenrauschen, darf auch das deutsche Volk sein Haupt um ein gut Theil freier erheben.




Sakuntala.

Novelle von Reinhold Ortmann.
(Schluß.)
11.

Nun hatte Gerhard Astrids Brief gelesen, zum drittenmal gelesen, und noch immer starrte er darauf hin wie ein Träumender, der auf ein plötzliches märchenhaftes Verschwinden der Schrecknisse hofft, die ihn umgeben.

Astrid gab ihm sein Wort zurück, sein Wort und seinen Ring, der – säuberlich eingepackt – dem Brief entfallen war, als er ihn hastig erbrochen hatte. Und nicht unter dem Einfluß irgend eines Mißverständnisses, einer kleinlichen Eifersüchtelei, nicht in einer zornigen Aufwallung hatte sie den langen Brief geschrieben, der diesen auffallenden Schritt begründen sollte, sondern unverkennbar bei klarster und ruhigster Ueberlegung, unter zielbewußter, nüchterner Erwägung jedes einzelnen Umstandes, der für einen so folgenschweren Entschluß in Betracht zu ziehen war.

Auch ihm hatte sie nichts verschwiegen, und auch ihm gegenüber hatte sie nicht nach irgend welchen Bemäntelungen für die traurige Wahrheit gesucht. Alles, was sie ihm zu sagen hatte, ließ sich in einen einzigen kleinen Satz zusammenfassen: sie verschmähe es, aus Großmuth und Mitleid geheirathet zu werden, und sie trete ihre Rechte auf ihn an diejenige ab, welche ältere und besser begründete Ansprüche geltend machen könne als sie. Sie erwähnte ihres Besuches bei der Sängerin und ihres Aufenthalts in dem Konzertsaal; aber sie gebrauchte nicht ein einziges Wort, das sich als ein Vorwurf gegen ihn hätte deuten lassen. Vielmehr dankte sie ihm für seinen edelmüthigen Versuch, ihre Ehre zu retten, und klagte sich selbst der thörichten Kurzsichtigkeit an, daß sie diesen Versuch nicht schon früher seinem wahren Wesen nach erkannt habe. Von ihrer Gemüthsstimmung sprach sie mit keiner Silbe; ja, man mußte nach dem Ton des ganzen Schreibens wohl annehmen, daß dieselbe weit davon entfernt sei, eine verzweifelte zu sein. Besonders lebhaft und eindringlich wurde ihre Ausdrucksweise an jener Stelle, wo sie Gerhard beschwor, keinen Versuch zur Wiederherstellung des früheren Verhältnisses zu machen, da sie wenn auch keinen Anspruch auf seine Liebe, so doch einen Anspruch auf seine Achtung zu haben glaube. Und gleichsam, um ihn keinen Augenblick darüber im Zweifel zu lassen, wie bitterer Ernst es ihr mit diesen Worten sei, theilte sie ihm am Schlusse mit, daß sie schon im Begriff sei, ihre Vorbereitungen zur Abreise nach Norwegen zu treffen, wohin ein Brief ihres Großvaters sie gerufen habe.

Während Gerhard diesen Absagebrief wieder und wieder las, empfand er eine fast an Verachtung streifende Bitterkeit gegen sich selbst. Diesmal wenigstens hatte er nicht im Unklaren bleiben können über das, was er im Verlauf des ereignißreichen Tages gefühlt hatte und was ihn in diesem Augenblick bewegte. Ja, es hatte eine Stunde gegeben, in welcher etwas von dem alten Rausch mächtiger Leidenschaft, etwas von jenem Taumel des Entzückens über ihn gekommen war, der ihn einst in Ritas Nähe und bei ihrem Gesange zu erfassen pflegte. Als er die Probe verließ, hatten sich Gedanken in seinem Gehirn gejagt, welche nicht allzu unähnlich waren denen, die er hier auf dem glatten weißen Papier mit erbarmungsloser Deutlichkeit vor sich sah. Und dabei hatte er sich auf dem Wege befunden nach dem Weinbergsweg! Nur wenige Dutzend Häuser waren noch zwischen ihm und seiner Braut gewesen, als er dem Kutscher den Befehl gab, umzukehren und ihn in seine eigene Wohnung zu bringen. Nicht in dieser Stimmung hatte er Astrid gegenüber treten wollen, denn er war sich des Verbrecherischen seiner Gedanken voll bewußt, und er dürstete nach Einsamkeit, um den wilden Rausch verfliegen zu lassen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_850.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2023)