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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

nahm um 12 Uhr die ganze Schar Platz. Das Essen war in den drei ungeheuren Kesseln der sauberen Küche mit Dampf gekocht. Es gab an dem Tage gerade Reis mit Kartoffeln und Rindfleisch zusammengeschmort. Was da in die reinen, weißemaillirten Näpfe von je anderthalb Litern Fassungsraum gefüllt wurde, sah vortrefflich aus und duftete sehr appetitlich. Auf 300 Mann werden 112 Pfund Rindfleisch oder 100 Pfund Schweinefleisch gerechnet. Wer an den anderthalb Litern nicht genug hat, kann sich nachgeben lassen. Manche bringen es auf zwei ganze Liter. Dafür bezahlt der Mann 35 Pfennig den Tag. In der Frühe giebt es einen halben Liter Kaffee in sauberem Steingutbecher, zu 5 Pfennig, dazu für 5 Pfennig Brot. Das zweite Frühstück kostet den Mann an Brot 5 Pfennig, an Branntwein 5 Pfennig, an Wurst 5 Pfennig; Vesperbrot und Abendessen, reichlich gerechnet, je 15 Pfennig, und das Schlafquartier 10 Pfennig; macht täglich für gänzlich ausreichenden, kräftigen Unterhalt – 1 Mark. Rechnet man dazu den Verbrauch an Kleidung und kleinem Werkzeug täglich auf 80 Pfennig, so behält er bei einem Mindestverdienst von täglich 2 Mark 50 Pfennig im Monat etwa 11 Mark übrig; bei einem Verdienst von 3 Mark 50 Pfennig täglich 1 Mark 70 Pfennig, das macht bei 26 Arbeits- und 30 Verzehrstagen monatlich 37 Mark; im Jahr bei durchgehender Arbeitszeit rund 450 Mark.

Auch eine Bade- und Duscheeinrichtung, einfach und praktisch, ist vorgesehen – aber merkwürdigerweise wird sie so gut wie gar nicht benutzt! Die Gesundheitsverhältnisse waren übrigens durchweg befriedigende. Und auch das Verhalten der Arbeiter ist bisher ein durchaus gutes gewesen. Selten daß wirkliche Ausschreitungen vorgekommen sind, und diese durchweg nur infolge von Trunkenheit – am Sonntag! Sonst machte es einen erfreulichen Eindruck, auf der ganzen Linie keinerlei besondere Sicherheits- und Ordnungsvorkehrungen anzutreffen. Ein einziger Gendarm ist mir bei meinen Kanalwanderungen begegnet, und mit Befriedigung bemerken beobachtende Augen, wie ganz abgerissen angekommene Gesellen allmählich in gutem und schützendem Zeug erscheinen. Die Post bei Holtenau hat reichlich mit Heimsendung von Geldern zu thun. Für regelmäßigen evangelischen und katholischen Sonntagsgottesdienst ist auch Sorge getragen. Dazu werden am Sonntagmorgen die Bänke des Speisesaals gegen das Rednerpult an der einen Querseite gekehrt, und oben von dem Glockenturme läutet man zur Kirche.

Aber zurück zur Baustrecke. Es liegt auf der Hand, daß ein solcher Durchstich, der mit einem ungeheuren Wasserabzugsgraben verglichen werden kann, auf die Grundwasserverhältnisse der anliegenden Ländereien weithin mächtigen Einfluß haben muß. Es kommt darauf an, trotzdem den Anliegern soweit als irgend möglich denjenigen Wasserstand zu lassen, den dieselben beim jetzigen Kanal haben. Das wird dadurch bewirkt werden, daß diejenigen Strecken des alten Eiderkanals, welche die neue Linie abschneidet, an beiden Enden zugedämmt und in stehende Gewässer verwandelt werden.

Hoch interessant werden die Arbeiten am „Flemhuder See“. Hier sollen, ohne die Schiffbarkeit in der mittleren Rinne des Sees in Frage zu stellen, großartige Ablagerungen von Kanalerde vorgenommen werden. Der See ist sehr tief: 25 bis 30 Meter. Um 7 Meter muß sein Spiegel so wie so gesenkt werden, weil der alte treppenartig ansteigende Schleusenkanal in seiner Scheitelhöhe um ebensoviel über dem Spiegel der Ostsee liegt, mit welcher der neue Kanal in einem Niveau liegen wird. Außerdem bekommt der See auf allen Seiten einen Gürtel in Gestalt eines Dammes umgelegt, der ihn von 234 Hektar auf nur 84 Hektar einengt. Alles andere wird zugeschüttet. Hinter dem See, südlich von ihm, liegt, durch ein Stück Eiderfluß mit ihm verbunden, ein anderer, der sein Wasser an ihn abgiebt, der „Westensee“. Dessen Spiegel soll nicht gesenkt werden, sondern um den dann um 7 Meter verschiedenen Wasserstand beider Seen auszugleichen, wird ein künstlicher Wasserfall von 23 Fuß Höhe am Ausfluß der Eider in den Flemhuder See gebaut werden; außerdem wird zur Bewässerung der Wiesen um den Flemhuder See ein Theil des Wassers vom Westensee durch die Wiesen hindurch geleitet werden. Es werden eben Aufgaben aller Art an die Kanalbaumeister gestellt.

Dort, wo die Wiesen bei Holm an die Mündung des Sees in den jetzigen Kanal grenzen – der hier in den neuen aufgenommen wird – liegt ein Naßbagger, der sich mit Ruhe und gierigem Behagen in den weichen nassen Moorgrund der Wiesen hineinfrißt und sich selbst freibaggert, d. h. er macht sich selbst Bahn, indem er vor sich her die nöthige Tiefe herstellt, so daß er auf dem nachströmenden Wasser schwimmen und immer weiter arbeiten kann. Wo bleibt aber das Material, das er heraufholt und in die Prähme, die flachen viereckigen Kähne, schüttet, die ihm beigegeben sind? – Weiterhin, drüben am andern Ufer des Sees ins Wasser hinausgebaut, hebt sich ein mächtiger, ragender Pfahlbau. Dorthin, unter ihn hin, werden die Prähme geschleppt, und nun löffelt ein anderer Bagger den zähen Schlick aus ihnen heraus und entleert ihn aus seinen Eimern in lange Rinnen, die, kräftig durchspült, die nassen Erdmassen bis dorthin gleiten lassen, wohin man sie haben will.

Bei „Levensau“ ist sehr früh mit den Erdarbeiten begonnen worden. Auf der Strecke, in der von hier bis Knoop der neue Kanal den großen Bogen geradlinig abschneidet, den der alte Eiderkanal machte, hat man ein gutes und betuliches Bild des Kanalbettes in seiner ganzen Breite, das an einzelnen Stellen kaum meterweit entfernt an jetzt noch friedlich bewohnten, bald aber wohl abzubrechenden Bauernhäusern vorbeiführt. Mancher Baum hat fallen müssen – und noch manche werden ihm folgen, und wo in den Buchen auf gerundeten Höhen der Buchfink schlug, da werden unten im Grunde Panzerschiffe schnaufen. Schöner wird das ganze liebliche Gelände nicht werden durch den neuen Kanal, und man wird an ihm entlang an sonnigen Apriltagen keine Veilchen pflücken, wie früher an dem alten, der einem leise durch Gärten, Feld und Wald fließenden gewundenen Fluß glich. Das wird anders! – Aber es muß so sein!

An einer Stelle im neuen Kanalbett, da wo der Trockenbagger in der ganzen Breite der künftigen Wasserstraße Reihe um Reihe ausgeschaufelt hat im grauen festen Thon, sieht es aus wie ein mäßig und gleichförmig bewegtes Meer, das plötzlich stehen geblieben und erstarrt ist. Weiterhin wird das Bett des gewaltigen Durchstichs durch ein Hochmoor geleitet, in dem nebenher ganz praktisch etwas Torfstich geübt wird. Die Befestigung der Kanalufer in diesen Moorgegenden, namentlich weiter westlich zwischen Rendsburg und Elbe, im Meckelmoor und im Kudensee, wird den Technikern unserer Zeit etwa ebenso viel Mühe verursachen wie vor 100 Jahren die kleineren Moorgründe des Obereiderlaufes den damaligen Erbauern. Auch unweit der Ostseemündung des Kanals ist ja solch ein Moorgebiet, aus dem schon jetzt durch den Druck der aufgeschütteten Dämme Torf- und Schlammmassen herausquellen, die dem Tiefbagger dort Arbeit geben, der vor der Mündung liegt. Ein Theil des ausgehobenen festen Bodens, der zumeist aus lehmigem Sande besteht, wird hier zur Herstellung einer festen und sicheren Kanalböschung verwendet werden. An einigen Stellen werden in entsprechendem Abstande vom Kanal parallel zu demselben in dem weichen Moorboden noch besondere Dämme von festem Lehmboden hergestellt, die das an den Kanal grenzende moorige Land verhindern sollen, in ihn einzudringen.

Bei Landwehr arbeiten nicht weniger als 3 Trockenbagger nah bei einander; zwei hüben, einer drüben, von ersteren der eine noch weit vorgeschoben, der andere schon tief zurückgezogen ins Kanalbett. Aber die Geleise seines Kameraden werden ihm bald folgen.

Es wird durchgängig zunächst nur auf halbe Tiefe gearbeitet, aber bei Tag und bei Nacht kratzen und wühlen und schürfen die Stahleimer der Trockenbagger, die allmählich, wie die Arbeit weiter fortschreitet, den Naßbaggern werden weichen müssen, je nach dem Anschluß der Theilstrecken des alten Kanals an den neuen. Ersterer muß wegen seiner Wichtigkeit für den kleineren Handels- und Schiffahrtsverkehr ungestört bleiben während des Baues. Daher werden diejenigen Strecken, die nicht mit dem früheren Eiderkanal zusammenfallen, erst nach ihrer wesentlichen Vollendung mit ihm in Verbindung gesetzt durch Durchstechung der von der alten Wasserstraße sie trennenden Dämme. Diese Abschnitte können dann vor der Hand schon von den kleinen Kanalfahrzeugen benutzt werden, während ohne Aufhör das Bett des Kanals durch Baggerungen weiter vertieft wird bis auf jene neun Meter, und so natürlich auch die in Benutzung bleibenden Strecken des alten Kanals.

Welche Bedeutung für Kriegs- und Handelszwecke wird nun diesem Nordostseekanal zukommen? – Zunächst wird er in letzterer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 847. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_847.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)