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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Die Länge der gesammten Kanallinie wird reichlich 98,72 km betragen. Damit bleibt die neue Wasserstraße in der Mitte zwischen dem Suezkanal von 160 km und dem Panamakanal von 75 km. Beide aber bleiben nach Breite und Tiefe hinter dem Nordostseekanal zurück. Noch mehr thut das in jeder Beziehung der nordholländische Kanal, der 78 km lang, 38 m breit und 5,6 m tief ist und außerdem 4 Schleusen hat.

Der alte Schleswig-Holsteinische Kanal kostete etwa 6 Millionen Mark in damaliger Zeit, wo das Geld wohl allerdings wenigstens doppelten Werth hatte. Der Nordostseekanal aber ist auf 156 Millionen Mark veranschlagt, und der Reichstag hat sie bewilligt. Preußen giebt davon 50 Millionen auf eigene Rechnung im voraus, weil der Kanal durch sein Gebiet geht. Der Grunderwerb allein erforderte rund 10 Millionen Mark, denn manche größere Güter, die der Kanal zerschnitt und werthlos machte, mußten ganz angekauft werden. So haben die dem Herrn v. Ahlefeld-Lindau abgekauften Besitzungen allein 700 000 Mark gekostet. Die Erd- und Baggerarbeiten sind auf 80 Millionen veranschlagt, des weiteren vertheilen sich die Kosten auf Hafen- und Quaianlagen, Schleusen, Brücken, Fähren, Maschinenanlagen, Befestigungen etc.

Brunsbüttlerhafen.

Was nun den jetzigen Stand der Arbeiten an diesem Riesenwerk betrifft, für dessen Vollendung das Jahr 1895 in Aussicht genommen ist, so wird jetzt fast auf der ganzen Linie gearbeitet, nur in drei kleineren Losen hat die Verdingung der Erdarbeiten noch nicht erfolgen können. Bisher sind rund 66 Millionen cbm Bodenaushub für etwa 57 Millionen Mark vergeben worden. Außerdem sind die Erdarbeiten an den beiden großen Schleusengruben bei Brunsbüttel und Holtenau an Unternehmer übertragen. Da die Art und Ausführung der Arbeiten längs der ganzen Strecke und auch in den beiden Schleusenbecken wesentlich dieselbe ist, wird es genügen, die Arbeiten an einem der letzteren genauer zu beobachten: an dem Holtenauer bei der Ostseemündung.

Wie schon erwähnt, kennzeichnet sich bereits jetzt die Einfahrt zu dem neuen Kanal sehr deutlich durch gewaltige Erdaufschüttungen und mächtige Dämme, die weiter und weiter in die schöne Wiker Bucht vorgeschoben werden. Das Material dazu hat die Schleusengrube in ihren riesigen Ausmessungen hergegeben und giebt sie noch fortwährend her. Es ist ein interessanter Anblick, von oben in das bisher ausgehobene Becken hinabzuschauen. In drei Absätzen und schon bis zu recht gehöriger Tiefe fallen die in Sand und Thon hineingearbeiteten Böschungen ab. Der Grund der nach Länge und Breite vollständig ausgehobenen Grube ist in seiner ganzen Ausdehnung mit ausgegrabenen und freigelegten erratischen Granitblöcken übersäet; sie liegen meistens im klaren, oder vielmehr recht schmutzigen Wasser, das zum Theil Regengüssen, zum Theil dem durchsickernden Grundwasser, zum Theil aber auch lustig und stark rieselnden angegrabenen Tiefgrundquellen entstammt, die aus bisher nicht verschließbaren Brunnen ganz anständige Wassermassen zu Tage fördern und dem großen Pumpwerk mit seiner Schnecke, das ohne Rast und Ruh bei Tag und Nacht arbeitet, genug zu schaffen geben. Wohin man schaut, überall rüstige Arbeit. Dort drüben hält einer jener Arbeitszüge unter der hohen Wand. Hier gerade wird noch mit der Hand geschafft, als Vorarbeit für den Trockenbagger, die Spaten und Hacken wirbeln auf und nieder, die Erdschollen fliegen, es ist ein emsiges, rastloses Thun in langer Reihe auf gelbem Erdhintergrund; farbig und dem Bilde Schmuck verleihend, leuchtet zwischen den grauen einförmigen Gestalten der Arbeiter einer und der andere auf in der rothen Jacke des Polacken. Die Lokomotiven pfeifen und keuchen, die vollbeladenen Züge rasseln dahin, der Bucht zu, die sich im Sonnenlicht vor uns dehnt: links die Reihe fröhlich grünender Linden vor dem alten Holtenauer Zollspeicher, davor die schöne Germania, die einst auf dem Bug des Schiffes emporragte – des nachgemachten, vor dem an jenem Junitage der Thronsessel Kaiser Wilhelms I. stand – und die nun aus dem Grundstein steht, dem der greise Kaiser für seine Bestimmung, bei Beginn der Maurerarbeiten am Schleusenbecken als erster Stein versenkt zu werden, die Weihe gab.

Nahe dabei befindet sich der Obelisk mit der Krone, der als Denkmal der Einweihung des alten Kanals errichtet wurde, und der kleine Kiosk mit dem spitzen Dach, welcher früher als Zollhäuschen diente. Ganz im Vordergrunde der riesige Dampfbagger, dessen Paternosterwerk ohne Rast den „Mudd“, den Schlamm aus der Tiefe holt, da wo der Vorhafen einmal Panzerschiffe aufnehmen soll, und aus dem alten, vom neuvertieften Becken durch einen aufgeworfenen Damm geschiedenen Kanal die Kuffs und Ewer und Tjalks, die ihn von je befahren haben und lustig wie früher ein- und aussegeln; oben auf den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 845. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_845.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2023)