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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

und deswegen ging von jeher, so lange man diese Hindernisse empfand und bedauerte, das Streben der Menschen dahin, sie zu beseitigen. Diese Stellen sind die Landengen von Panama, von Suez und von Schleswig-Holstein. Als vierte könnte noch die Landenge von Korinth angeführt werden. An allen vier Punkten ist die Durchstechung in Angriff genommen worden und heute theils vollendet, theils in gutem Fortschritt, theils – verkracht. Daß aber der Tag kommen wird, an dem alle diese Landengen durchfahren werden wie heute schon die von Suez, daran ist nicht zu zweifeln, wenn es auch um zwei der geplanten Kanäle im Augenblick bedenklich steht: um den Kanal von Panama und den von Korinth; letzteren hatte übrigens, wie sich die Leser aus dem Aufsatze von Eduard Engel in Nr. 30 dieses Jahrgangs erinnern werden, Kaiser Nero schon in Arbeit nehmen lassen, wie König Necho von Aegypten einen uralten Kanal durch die Landenge von Suez; und als Louis Napoleon auf der Festung Ham saß, war er bereit, die Leitung eines Kanalbaues durch die Landenge von Nicaragua zu übernehmen, eine Riesenarbeit, zu der jetzt eben der erste Spatenstich gethan wurde.

Zwei ungeheure Kanalpläne sind außer den genannten in den neuesten Tagen aufgetaucht: eines Seeschiffahrtskanals zwischen Bordeaux und dem Mittelmeer, wo jetzt der Canal du Midi schon für kleinere Schiffe eine Straße bildet, und eines anderen quer durch Italien hindurch, ersterer in einer ungefähren Länge von 450 Kilometern, letzterer von 130 Kilometern. Darüber mag aber aus Garonne und Tiber doch noch viel Wasser ins Meer fließen. Früher wird zweifelsohne die großartige Kanalisirung der Seine von Rouen bis Paris ausgeführt werden, durch die Paris in einen Seehafen verwandelt werden soll, und deren Kosten auf „nur“ 2000 Millionen Franken berechnet werden. Weniger sicher scheint die Zukunft eines Kanals durch Jütland unter Benutzung des Liimfjord, als Konkurrenzunternehmen gegen den Nordostseekanal gedacht.

Uns als Deutsche interessirt vor allem eben dieser „Nordostseekanal“, der aus der Zeit der frommen Wünsche, der vortastenden Versuche und ernsthaften Vorbereitungen endlich in die der Arbeitsausführung eingetreten ist: das erste großartige Stück gemeinsamer deutscher praktisch greifbarer Reichsarbeit.

Die Zeit der frommen Wünsche um sein Zustandekommen reicht weit zurück, weiter als man denkt. Schon im Jahr 1571 machte der tüchtige Herzog Adolf von Holstein-Gottorp dem Kaiser Max II. den Vorschlag einer solchen Wasserstraße für „die Schiffarth durch etzliche Seen und Auen von seiner Stadt Kiel bis in die Eider, ungefehrlich zweitausend Ruten lang“ – also genau auf der Linie, auf der zweihundert Jahr nachher der „Eiderkanal“ gebaut wurde.

Noch weiter zurück als der Plan Herzog Adolfs reicht der, nach welchem in den Jahren 1391–1398 der Stecknitz-Kanal zwischen Lauenburg an der Elbe und Lübeck an der Trave gegraben wurde als die erste tatsächliche Verbindung zwischen Nord- und Ostsee, aber selbst bei der Schiffahrt damaliger Zeit war er für den Seeverkehr nicht geeignet und kann nur zu den Binnenkanälen gerechnet werden. Uebrigens befindet er sich heute noch fast im ursprünglichen Zustande.

Hundertundfünfundzwanzig Jahre später wurde von Hamburg und Lübeck gemeinsam die Arbeit an dem schon lange beschlossenen Alster-Trave-Kanal begonnen; aber das tüchtig gedachte Werk wurde 1550 schon wieder durch eine Fehde der anliegenden Grundherren zerstört. Das alte Kanalbett ist noch theilweise vorhanden, aber die Schiffahrt in demselben ist seit jener Zeit niemals wieder aufgenommen worden.

Den tüchtigeren und weitblickenden unter den dänischen Königen entging die Bedeutung einer Verbindung zwischen Nord- und Ostsee nicht, welche die so sehr beschwerliche und gefährliche Umschiffung von Skagen ersparte. Um 1550 plante Christian III. eine Durchstechung der Halbinsel zwischen Ribe und Kolding oder Ribe und Hadersleben; Christian IV. dachte etwa hundert Jahre nachher an die kürzeste aller Verbindungen zwischen Ribe und Apenrade und wieder hundert Jahre später schlag man eine Linie von Hoyer über Tondern nach Flensburg vor.

Damals schon wurde auch die später noch öfter empfohlene Linie von Husum über Schleswig nach Eckernförde untersucht und für ausführbar gehalten. Der Flottenausschuß der Frankfurter Nationalversammlung schlug 1848 den Ausbau der Eider und des Eiderkanals vor. Im ganzen fand der preußische Geheime Oberbaurath Lentze im April 1864, als er an die Prüfung des großen Planes herantrat, Nord- und Ostsee zu verbinden, nicht weniger als 14 verschiedene Entwürfe vor, unter diesen nicht mitgerechnet den des kaiserlichen Generalissimus und Großadmirals des Baltischen Meeres Wallenstein, der 1628 den Befehl zur Inangriffnahme eines Nordostseekanals gab, über dessen Richtung jedoch Genaueres nicht bekannt ist. Wallensteins Ermordung machte auch diesem Plane des großen Mannes ein Ende. Noch viel verwunderlicher aber taucht hier der Name Cromwells auf, des Lord-Protektors von England! Er hegte den genialen Gedanken einer Erwerbung Wismars durch die Engländer und einer Kanalanlage von der Elbe nach jenem mecklenburgischen Hafen mit Benutzung der Elbe und des Schweriner Sees.

Von dem Augenblick an, da die Herzogtümer von Dänemark getrennt wurden, mehren sich die Pläne massenhaft, und 1866 konnte in der preußischen Thronrede bereits die baldige Inangriffnahme der Kanalarbeiten erwähnt werden. Aber dann kam die Zeit der großen Kriege.

Im Jahre 1878 nahm der Hamburger Reeder Dahlström die Sache wieder auf, die auch von der Regierung nie ganz aus den Augen gelassen war. Dahlström beabsichtigte, unter Betheiligung Preußens oder des Reiches ein Privatunternehmen zu gründen, und 1881 reichte er einen wesentlich aus dem Lentzeschen Entwurf fußenden Plan zu einem Seefahrtskanal ein, der im ganzen und großen den Lauf nahm, nach welchem jetzt der „Nordostseekanal“ vom Reich und von Preußen gebaut wird. An der Mündung des alten „Schleswig-Holsteinischen Eiderkanals“, dort bei Holtenau, hat Kaiser Wilhelm I. am 3. Juni 1887 den Grundstein zu dem neuen Kanal gelegt. Die „Gartenlaube“ hat gelegentlich der Schilderung dieser Feierlichkeit (Jahrgang 1887, S. 426) eine Uebersichtskarte des Kanals gebracht, welcher, bei Brunsbüttel an der Elbe beginnend, die niedrigen Marschen und die Wasserscheide zwischen Eider und Elbe durchschneidet, dann dem Laufe der Gieselau folgt, um von Wittenberg bis Rendsburg im Eiderbette, welches entsprechend hergerichtet wird, weiterzugehen; von hier schließt sich der Kanal den oberen Eiderseen und dann im wesentlichen dem bisherigen Eiderkanal an bis zu seiner Mündung bei Holtenau.

Im Verhältniß zu dem, was wir jetzt bauen, war jener Kanal ja ein Zwerg, aber man soll doch die Arbeit der Leute, die vor mehr als hundert Jahren dort in Moor und Wiese gruben und karrten und die Wasserscheide mit Spaten und Hacke durchbrachen, nicht gering achten. Das alles war Hand- und Kärrnerarbeit, wir arbeiten heut mit Dampf und riesenstarken Maschinen. Und das macht einen Unterschied!

Was die Ausmaße des Eiderkanals und des Nordostseekanals angeht, so ist jener von Holtenau bis Rendsburg 38 Kilometer lang, dieser wird von Kiel bis Brunsbüttel an der Elbe 99 Kilometer lang. Jener mußte, obgleich man gern mehr leisten wollte, wegen Geldmangels auf eine Wassertiefe von 3,2 Metern, also 10 Fuß, beschränkt werden, konnte also immer nur als Schiffahrts-, nicht als Seefahrtskanal gelten; d. h. „Seeschiffe“ konnten ihn nicht benutzen wegen seiner geringen Tiefe und wegen seiner sechs Schleusen, die je eine nutzbare Länge von nur 32 Metern haben bei einer Breite von 8 Metern. Dieser wird 9 Meter tief gegraben, also 30 Fuß, und wird nur an den beiden Mündungen je eine mächtige Schleuse haben; außerdem eine kleinere beim Einfluß der Eider in den neuen Kanal, die immerhin noch 71 Meter lang, 11½ Meter breit und fünf Meter tief sein wird. Der Nordostseekanal ist also ein Durchstich, kein Treppenschleusenkanal.

Die beiden Endschleusen werden ungeheuere Bauwerke sein. Bei Brunsbüttel kommt es darauf an, einmal dem Kanal Schutz zu schaffen auch gegen das denkbar und erfahrungsmäßig schwerste Hochwasser der stürmenden Nordsee, das bis zu 20 Fuß über den mittleren Wasserstand der Ostsee sich heben kann und, wenn es ungehindert in die neue Wasserstraße hineinfluthen könnte, sie selbst und das umliegende Land strömend verwüsten würde.

Man wird hier die mächtigen eisernen, hydraulisch zu bewegenden Schleusentore nur immer zwischen Ebbe und Fluth auf etwa 3 bis 4 Stunden offen halten können und sie schließen müssen, sobald die Ebbe zu tief und die Fluth zu hoch wird. – Welcher furchtbaren Gewaltthaten die Nordsee fähig ist, davon legen die Kirchspiele Brunsbüttel und Büsum genugsam Zeugniß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 843. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_843.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)