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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

ersten besten lockeren Singvogel! Er hätte sich der Leimruthen leicht genug entledigen können, aber weil er zu edel und zu warmherzig war, um es zu thun, soll er nun zeitlebens in einem Käfig schmachten, an dessen Gitterstäben er sich früher oder später den Kopf zerstoßen muß!“

Astrid erwiderte nichts. Sie legte für einen Augenblick die Hände an die Stirn, wie wenn sie von einem Schwindel befallen wäre. Dann aber ging sie langsam zur Thür.

Rita folgte jeder ihrer Bewegungen mit den Augen.

„Ich bedaure, Ihnen wehgethan zu haben,“ sagte sie mit einem Versuch, in den früheren leichten Ton zurückzufallen. „Aber Sie haben mich ja gezwungen, offen und ohne Rückhalt zu sprechen.“

„Es bedarf keiner Entschuldigung,“ entgegnete Astrid leise und mit einer Stimme, die all ihren Klang verloren zu haben schien. „Es war wohl am besten, daß ich dies alles gerade heute erfuhr.“

„Sie sagen das in einem so seltsamen Ton, liebes Kind! Was haben Sie denn vor? Ich hoffe, Sie werden keine übereilte Handlung begehen!“

„Was ich zu thun habe, ist mir bestimmt vorgezeichnet! Aber es wäre zwecklos, hier davon zu sprechen! – Leben Sie wohl!“

Rita machte eine rasche Bewegung, als wenn sie die Gehende zurückhalten wollte; aber sie that doch keinen Schritt, und tief aufathmend lehnte sie sich an das Marmorgesims des Kamins.

„Sie hat es gewollt!“ sagte sie vor sich hin. „Und unterliegen mußte sie – so oder so!“

(Fortsetzung folgt.)




Ein Humorist fürs junge Volk.

Mit Porträt und Randzeichnungen auf Seite 809.

Ueber den Humor soll man nicht streiten. Selbst unter sonst gleichgearteten Naturen ist die Auffassung des Humoristischen eine grundverschiedene, und was den einen königlich freut, das reizt den andern wohl gar zu gelinder Entrüstung. So kann der Humorist es niemals allen recht machen, und mit derselben Frucht seines Geistes wirbt er Freunde und Gegner. Das ist die Regel sowohl beim Humoristen mit der Feder wie bei denen mit Pinsel und Palette. Der geistvolle, etwas umständliche Humor Jean Pauls dringt heute über die Gelehrtenstuben kaum noch viel hinaus, und der herzerfreuende Humor Fritz Reuters wurde nicht selten zum Theil der Komik des mecklenburger Dialektes zugeschrieben. Des trefflichen Oberländers grotesk-komische Bilder werden von dem einen förmlich studiert, vom zweiten fast überschlagen; Wilhelm Busch mit seinen drastischen Bildern und Versen erscheint als Schicksalsgenosse des berühmt-berüchtigten Struwwelpeters, der bald in den Himmel erhoben, bald in die tiefste Hölle verketzert, aber tüchtig gekauft wird. Und dem ähnlich ist auch das Los Lothar Meggendorfers, der auf der Theresienhöhe in München sein Heim aufgeschlagen und Künstlerfreud und Künstlerleid wechselnd zu verzeichnen hat.

Er besitzt nicht die Gabe, seine Bilder mit wirkungsvollen Knüttelversen zu begleiten; aber seine Zeichnungen sind auch nie derart karikirt, daß sie wieder der Verskarikaturen zur Stütze bedürften. Er zeichnet klar, anschaulich, und die Uebertreibungen, welche die humoristische Behandlung ihm gestattet, lassen die Pointe sofort kräftig ins Auge springen. Oft ist es ihm um den Humor im Worte gar nicht zu thun; das nüchterne Wort „Kleine Ursachen, große Wirkungen“ auf einer der Randzeichnungen zu seinem Porträt würde wirkungslos verhallen, wenn das Bild nicht wäre. Der „bestrafte Thierquäler“ vertrüge keine, auch nicht die beste Erläuterung. Aber gerade diese Skizzenreihe ist charakteristisch für das ganze Schaffen des Künstlers, der seinen Erfolg nicht zum mindesten den Bildern ohne Worte zuzuschreiben hat; mit Vorliebe entlehnt er die Stoffe zu diesen bald dem Schlendrian des täglichen Erwerbslebens, bald den Gewohnheiten und Sünden der Gesellschaft, und in beiden Fällen handhabt er meisterlich die humoristische Geißel. Die Münchener „Fliegenden Blätter“ sind es vor allem, in denen der Humorist seine Schätze aufgespeichert hat, und Kaspar Braun, der Begründer des weitbekannten Blattes, war einer der ersten, der den Werth der scheinbar anspruchslosen Skizzen erkannte und würdigte und damit das Los des Künstlers gerade zu einer Zeit arger Bedrängniß gründlich und günstig umgestaltete.

Lothar Meggendorfer stand damals am Ende der zwanziger Jahre, als er den ersten namhaften Erfolg zu verzeichnen hatte, der ihm auch das brachte, was ihm bis dahin vielfach und oft recht fühlbar gefehlt hatte: harte, klingende Münze. Schmalhans hatte er als Küchenmeister schon im elterlichen Hause kennengelernt. Die hungrigen Mäuler waren dort schon vor seiner Geburt zahlreich genug gewesen, und als er 1847 hinzukam, da war gerade das Viertelhundert der hoffnungsvollen Sprossen des königlichen Obertaxators Meggendorfer voll, und als 1860 der Ernährer der kopfreichen Familie starb, da war Noth am Mann und die Kinder mußten versorgt werden, so eilig und so gut es ging.

Lothar sollte Mechaniker werden, mußte aber einstweilen, da er noch zu schwach befunden wurde, als Lehrling in eine Werkstatt einzutreten, sich damit begnügen, durch den Besuch der Gewerbeschule auf seinen künftigen Beruf sich ersprießlich vorzubereiten. Der Erfolg war kein allzu günstiger; in einem Hauptfache, im Zeichnen, brachte er es über die Noten 3 und 4 nicht hinaus. Einige Münchener Künstler sahen die verpönten Schulleistungen und namentlich die in freien Stunden zwanglos hingeworfenen Skizzen aber doch mit anderen Augen an und riethen der Mutter, den Sohn aus der Gewerbeschule herauszunehmen und ihn die Künstlerlaufbahn einschlagen zu lassen. Ihre geringe Pension reichte dazu nicht aus, aber es ging abermals einen Schritt vorwärts, als ein Baron v. Pelkhoven Zeichnungen des jungen Talentes sah und allmonatlich das Honorar für den Zeichenunterricht an der Vorschule zur Akademie zahlte. Nach zwei Jahren starb aber der Baron, der Zuschuß war nicht zu entbehren, und mit dem Künstlertraum schien es wieder einmal zu Ende. Die Mutter nahm die Gestaltung der Lebenslaufbahn ihres Sohnes aufs neue in die Hand, und da der Eintritt in den Post- und Telegraphendienst bald eine wenn auch vorläufig geringe Einnahme versprach, entschied sie sich für diesen. Sie hatte glücklicherweise ihre Rechnung ohne den Telegrapheninspektor Behringer gemacht, der von dem angehenden Künstler Zeichnungen gesehen hatte und als Kunstfreund dem jungen Manne zuredete, auf der betretenen Laufbahn auszuharren, wenn’s auch zunächst noch kümmerlich genug gehen sollte. So blieb Meggendorfer Zögling der Akademie und verwerthete, da seine Zeichenkünste noch brotlos waren, seine Fertigkeit im Zitherspielen, um sich dadurch den Unterhalt zu verdienen. Einer seiner musikalischen Zöglinge war ein Akademiekollege, der Grieche N. Gysis. Dieser konnte kein Wort Deutsch, Meggendorfer nicht Griechisch. Aber Lehrer und Schüler verständigten sich trotz allem, und schon nach einem halben Jahre spielte Gysis zur vollsten Zufriedenheit beider Parteien nach Noten.

Der Zitherunterricht war einträglich, und je mehr dadurch die Sorgen ferngehalten wurden, um so mehr ging auch Meggendorfer als Schüler von Strähuber, Anschütz, Wagner und Diez der Meisterschaft im Zeichnen entgegen. Und zugleich entwickelte sich bei ihm eine ursprüngliche Naturanlage, die ihn mehr und mehr in Künstlerkreisen beliebt machte, ein drastischer, trockener, schlagender Humor in seinen Schöpfungen und im gesellschaftlichen Umgange. Der Schlachtenmaler Louis Braun brachte nach dem Feldzuge 1870/71 einen sich befreundeten Arzt in den Künstler-Sängerverein als Gast mit, der nach dem im Feldzug erlebten Elend kein Lächeln mehr über die Lippen bringen konnte. Meggendorfers urwüchsige Scherze vertrieben zum erstenmal wieder den finstern Ernst von der Stirn des Gastes.

Alle Sorgen schienen zu schwinden, als Lothar Meggendorfer im Jahre 1873 Elise Rödel, die Tochter eines geachteten Münchener Bürgers, heirathete. Von ihrer Mitgift bauten sich die Glücklichen sogar ein eigenes Heim. Aber was als der Anfang einer freundlichen Zukunft erschienen war, wurde bald zur Ursache schwerster Enttäuschung und Noth. Das Bauen kostete mehr als veranschlagt war, der Zitherunterricht war aufgegeben – die Zeichnungen des jungen Künstlers wurden nirgends angenommen: so brach die Bedrängniß unaufhaltsam herein und selbst die ihm von einem Münchener Bürger hochsinnig zur Verfügung gestellte Summe von 12 000 Mark reichte nur eben dazu aus, die nöthigsten Hypotheken

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_810.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)