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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Und sie zog die Erröthende zu der mit dem Eisbärenfell bedeckten Chaiselongue, um sich hart an ihrer Seite niederzulassen.

„Wie lieblich Sie sind und wie kindlich zart!“ fuhr sie fort, die schönen Augen wie in Bewunderung auf Astrid heftend. „Ganz so habe ich Sie mir vorgestellt, obwohl Ihr Verlobter sonst anders geartete Schönheiten vorzuziehen pflegte.“

Ihre letzten Worte, mit einem wie liebenswürdigen Lächeln sie auch immer gesprochen sein mochten, hatten Astrid wie ein Dolchstich getroffen, und ihr Erbleichen war dem scharfen Auge der Sängerin wohl kaum entgangen. Aber gleich darauf schalt sie sich selbst eine Thörin, denn diese gütige und großmüthige Dame konnte unmöglich die Absicht gehabt haben, sie zu verletzen.

„Ich bin gekommen, Ihnen zu danken!“ sagte sie leise. „Sie haben Gerhard und mich durch Ihre edle Handlungsweise von einer schweren Sorge befreit, und ich beklage es tief, daß mir nichts anderes als Worte zur Verfügung stehen, Ihnen meine Erkenntlichkeit an den Tag zu legen.“

„Auch das ist schon hinreichend, mein liebes Fräulein, um mich zu beschämen. Seien Sie versichert, daß ich es nicht um Ihres Dankes willen gethan habe! Aber, wie dem auch sei, ich nehme denselben mit Freuden an. Nur eine Frage noch: Weiß Gerhard – weiß Ihr Verlobter um diesen Besuch?“

Astrid gewann es nicht über sich, ihr eine Unwahrheit zu sagen. „Nein!“ erwiderte sie, Ritas forschenden Blick unbefangen aushaltend. „Ich habe ihm nichts davon gesagt, weil ich fürchtete, er würde es mir verbieten.“

„Ah! Fürchteten Sie das? – Nun, es ist wohl möglich, daß Ihre Vermuthung Sie nicht betrogen hätte. Aber er sollte doch eingesehen haben, daß er keinen Grund mehr hat, sich und Sie so ängstlich vor mir zu hüten.“

„Gewiß nicht! Und solche Besorgnisse liegen ihm auch sicherlich fern. Aber Sie haben guten Grund, böse auf mich zu sein, und Sie würden mich das gewiß fühlen lassen, wenn Sie weniger großmüthig wären!“

„Warum sollte ich Ihnen böse sein, mein Kind? Der ohnmächtige Haß des Unterlegenen gegen den Sieger hat in meinen Augen immer etwas Lächerliches. Und ich bin ja in diesem Fall nicht einmal berechtigt, einen Groll gegen Gerhard zu empfinden. Unter dem Zwang der Umstände hätte er auch dann kaum anders handeln können, wenn es nicht gerade Liebe war, was er für Sie fühlte.“

Todtenblaß und mit starren, weit geöffneten Augen sah Astrid auf die Sprechende. Noch fehlte ihr das rechte Verständniß für den eigentlichen Sinn der furchtbaren Worte: aber sie fühlte doch heraus, daß es irgend etwas Entsetzliches war, das hinter ihnen lauerte.

„Unter dem Zwang der Umstände – sagen Sie? – Er konnte nicht anders handeln, und das – das bezieht sich auf seine Verlobung mit mir?“

„Gewiß, liebes Fräulein! Und ich würde es recht abgeschmackt finden, wenn wir versuchen wollten, uns hier eine Komödie vorzuspielen. Sie hatten die besten Trümpfe in der Hand und Sie haben das Spiel gewonnen. Daran ist nun einmal nichts mehr zu ändern und Sie sehen ja, wie leicht ich es nehme. Aber wenn wir nun wirklich zu guten Freundinnen werden wollen, müssen wir wohl vor allem hübsch aufrichtig gegen einander sein.“

„O mein Gott! Haben Sie Mitleid mit mir! Dies alles klingt mir so fremd und unverständlich! Ich begreife es nicht, und ich fühle nur, daß es schrecklich ist! – Ich hätte ein Spiel getrieben, und Sie wären dabei gegen mich unterlegen? Aber Gerhard hat – er hat doch nicht Sie geliebt?“

Rita Gardini lachte. Es war wieder jenes helle, silberne Lachen, das so entzückend klang, und das doch so herzzerschneidend wirken konnte.

„Ja, mein Kind, wer darauf eine Antwort geben könnte! Geschworen hat er mir’s wohl tausendmal in allen erdenklichen Wendungen; daran aber, daß es Wahrheit gewesen ist, habe ich allerdings einige Ursache zu zweifeln.“

„Er hat Ihnen Liebe geschworen? – So waren Sie also nicht nur seine Freundin – Sie waren ihm mehr? Und er hat Sie aufgegeben – er ist Ihnen treulos geworden um meinetwillen?“

„Vielleicht um Ihretwillen – vielleicht auch aus Rücksicht auf das Gerede der Welt! Doch wozu sollen wir weiter von diesen Dingen reden, wenn sie Ihnen unangenehm sind? Sie werden mir zugeben müssen, daß nicht ich es gewesen bin, die das Thema angeschlagen hat.“

Sie stand auf und warf einen nicht mißzuverstehenden Blick zu der Stutzuhr auf dem Kaminsims hinüber. Astrid aber schien mit einem Mal wie durch ein Wunder verwandelt. Jede Spur von Befangenheit und ängstlicher Zurückhaltung war aus ihrem Wesen verschwunden. Hochaufgerichtet und mit flammenden Wangen stand sie der schönen Sängerin gegenüber.

„Reden wir doch von diesen Dingen, wenn ich bitten darf!“ sagte sie mit einer Entschiedenheit, welche selbst Rita für einen Augenblick stutzig machte. „Geben Sie mir die Beweise für das, was Sie da mit lächelndem Munde zu behaupten wagen, oder ich rufe es Ihnen ins Gesicht, daß es Lügen sind – schändliche verleumderische Lügen!“

„Wie, mein liebes Fräulein – wollen wir aus diesem Ton mit einander reden? Ist das nun wirklich unschuldige Einfalt oder ist es nur eine Fortsetzung des Gaukelspiels, für das Sie schon einmal eine so vortreffliche Begabung an den Tag gelegt haben? – Ich soll Ihnen die Beweise liefern für das, was Sie selbst gethan haben! – Wahrhaftig, ein seltsameres Ansinnen ist noch niemals an mich gestellt worden!“

„Und wenn ich Ihnen nun schwöre, daß ich mir keines Spiels und keiner Falschheit bewußt bin, wenn ich Sie anflehe, mir wenigstens aus Barmherzigkeit zu sagen, was es mit Ihren räthselhaften Andeutungen auf sich hat, wollen Sie sich auch dann noch weigern, mir eine Antwort zu geben?“

„Nun wohl, Sie selbst haben es gewollt, und Sie werden mir nicht vorwerfen können, daß ich mich dazu gedrängt habe, Ihnen peinliche Erinnerungen wachzurufen. Aber haben Sie es wirklich so vollständig vergessen, daß Sie Herrn Steinau nächtlicher Weile und ohne Begleitung in seiner Junggesellenwohnung aufsuchten? Ist es Ihnen so ganz aus dem Gedächtniß geschwunden, daß Sie ihn durch Ihre Erkrankung nöthigten, Sie dort zu behalten? Und haben Sie niemals daran gedacht, wie unrettbar Sie durch diese Vorkommnisse in Ihrem Rufe geschädigt sein mußten? Wenn Sie selbst das nicht empfunden haben, so können Sie doch sicher sein, daß Gerhard Steinau feinfühlig genug war und daß er die Welt zur Genüge kannte, um es einzusehen. Ich würde davon überzeugt sein, auch wenn er selbst es mir nicht an jenem Abend ausdrücklich gesagt hätte. Und weil er Ihrem sterbenden Vater versprochen hatte, sich Ihrer anzunehmen, weil er es gewissermaßen als eine Ehrenpflicht ansah, den guten Ruf, den Sie aus Unbedachtsamkeit oder mit wohl berechneter Absicht aufs Spiel gesetzt hatten, zu retten – darum ging er dieses Verhältniß mit Ihnen ein, – aus Ehrgefühl, aus Mitleid vielleicht, – aber nicht aus Liebe!“

Astrid hatte nicht versucht, diese grausame Darlegung zu unterbrechen. Mit einer wahrhaft bewundernswürdigen Seelenstärke blieb sie fest und aufrecht unter diesen Anschuldigungen, von denen jede einzelne ihr Herz wie mit Messerstichen durchbohrte.

„Aus Mitleid also! – Und wie kommt es, daß Sie dessen so sicher sind?“

„Weil ich diesen Mann besser kenne als Sie, die Sie den Muth und das Selbstvertrauen besitzen, ihn an sich fesseln zu wollen. Glauben Sie mir, seine hochfliegende Seele hat nach einem Ideal gedürstet, das durch Sie wahrlich nicht verkörpert wird! Nicht eines allerliebsten kleinen Spielzeugs bedarf er, sondern einer gleichgearteten und ebenbürtigen Gefährtin, einer Frau, die seinen Adlerflug nicht bewundernd aus der Tiefe anstaunt und ihn mit ihrer kleinlichen Sorge immer wieder herniederzieht zur Erde, sondern die ihm zu folgen vermag und deren heiße, alles hingebende und alles verlangende Leidenschaft ihn hoch emporhebt über den Dunst und die niedrige Jämmerlichkeit des Lebens! – Es gab eine Zeit, mein Fräulein, in der ich selbst mich in den Traum einwiegte, ihm diese Frau sein zu können; aber seine Größe machte mich doch irre an mir selbst. Und weil ich mir zu klein erschien neben ihm, weil ich den Tag fürchtete, an dem er das unauflösliche Band der Ehe als eine drückende Fessel empfinden könnte, darum blieb ich standhaft seinem unermüdlichen, heißen Werben gegenüber. Ich schenkte ihm meine Liebe, aber nicht meine Hand, und Gott allein weiß, was mich diese Entsagung gekostet hat! – Und nun muß ich sehen, wie ein Kind, ein kleines Mädchen, das ihm nichts zu bieten hat als ein hübsches Gesichtchen und ein Paar schwärmerischer Augen, den Adler einfangen will gleich dem

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