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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

färbte ihre blassen Wangen, ihre Lippen aber bewegten sich leise zu der halb beglückten, halb zaghaften Frage: „Mein Gerhard! – Ist es denn wirklich wahr?“

Und nun nahm er an ihrer Seite Platz und sprach mit jener warmen Beredsamkeit, die ihm eigen war, von seiner Freude über ihre Genesung und von ihrem künftigen, gemeinsamen Glück. Ein unbefangener Zuhörer würde vielleicht den Eindruck gewonnen haben, daß bei aller Herzlichkeit doch etwas Hastiges und Gezwungenes in seinem Benehmen sei. Vielleicht wollte er Astrid nur daran verhindern, eine Frage zu thun, die ihm vorerst noch unbequem gewesen wäre, vielleicht auch wollte er damit etwas Störendes und Widerstrebendes niederhalten, das sich in seinem eigenen Herzen regte.

Astrid that bei diesem ersten Wiedersehen keine Frage, die ihn hätte in Verlegenheit bringen können. Noch befand sie sich in jenem Zustand hochgradiger Schwäche, die sich mit demüthiger Ergebung in alles fügt, in das schwerste Leid wie in die höchste Seligkeit. Aber ihre Genesung machte von diesem Tage an stetige Fortschritte, wenn auch ihre körperlichen Kräfte naturgemäß nur langsam zurückkehren konnten. Etwa eine Woche später fand sie Gerhard zu seiner freudigen Ueberraschung eines Nachmittags im Lehnstuhl neben dem Fenster. Die Herrschaft des Winters war zwar noch nicht gebrochen, aber es war ein schöner, sonniger Tag, und die Straße, auf welche Astrid hinabschauen konnte, bot einen heiteren und freundlichen Anblick dar. Die junge Genesende war, wie es schien, in tiefes Nachsinnen versunken, denn als sie Gerhard ihr Gesichtchen zuwendete, fiel ihm der träumerische und nachdenkliche Ausdruck desselben auf.

Zwar duldete sie die zarte Liebkosung, mit welcher er sie begrüßte, aber Gerhard hatte dach die Empfindung, als ob sie sich derselben schneller entzöge denn sonst. Mit erzwungener Unbefangenheit sprach er ihr von diesem und jenem, aber er erhielt nur einsilbige und zerstreute Antworten, so daß es bald ein ziemlich bedrücktes Schweigen zwischen ihnen gab. Plötzlich sagte Astrid, ohne zu ihm aufzusehen:

„Sei mir nicht böse, Gerhard, aber ich vermag diese Ungewißheit nicht länger zu ertragen. Ich bin so unaussprechlich glücklich; aber dies Glück erscheint mir noch immer wie ein Traum, und manchmal erfaßt es mich wie eine namenlose Angst, daß ich daraus erwachen könnte zu einer Wirklichkeit, die nur um so furchtbarer und unerträglicher wäre. Ich kann ja nicht begreifen, wie dies alles zugegangen ist. Das Zimmer, das ich bewohne, die Menschen, die mich umgeben, die Straße, die ich da unten vor mir sehe, sie alle sind mir neu und fremd, und wie ich auch mein Gehirn zermartere, ich finde keinen Zusammenhang zwischen dem, was ich jetzt erlebe, und dem, was früher mit mir geschah!“

Leise und mit bebender Stimme hatte sie gesprochen. Unzweifelhaft hatte sie einen harten Kampf durchkämpfen müssen, ehe sie zu dem Entschluß gekommen war, den bangen Zweifeln, die ihr Herz bewegten, einen Ausdruck zu geben. Aber ihre Befangenheit konnte nicht größer sein als diejenige Gerhards. Das waren Fragen, auf die er die Antwort nicht schuldig bleiben durfte, und doch konnte er vorerst noch nicht daran denken, ihr die volle, rückhaltlose Wahrheit zu sagen.

„Du solltest Dich nicht unnütz bemühen, einen solchen Zusammenhang zu finden, liebe Astrid!“ sagte er zärtlich. „Glaube mir’s immerhin, daß sich alles auf die einfachste Weise von der Welt erklärt und daß Du keine Veranlassung hast, ein Erwachen zu einer schlimmen Wirklichkeit zu fürchten. Aber gerade weil die Gegenwart eine so fröhliche und glückliche ist, wollen wir vor der Hand nicht daran denken, die trübe Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen. Davon zu reden ist Zeit genug, wenn Du ganz kräftig und gesund und mein liebes Weibchen bist. Vorläufig mußt Du mir versprechen, nicht weiter über alle diese Dinge zu sinnen und zu grübeln. Es kann Dir nur Schaden bringen und mich nur traurig machen!“

Ihr Köpfchen sank noch tiefer auf die Brust herab und sie antwortete ihm nicht sogleich. Aber als er nun an ihrer Seite niederknieete, seinen Arm sanft um ihren Nacken legte und ihr zuflüsterte: „Astrid, mein süßes Lieb, – fühlst Du Dich denn nicht glücklich und sicher unter meinem Schutz?“ – da trug doch ihre tiefe und innige Liebe den Sieg davon über alles, was sie an Zweifeln und Sorgen bewegen mochte. Sie lehnte ihre Stirn an seine Wange und schmiegte sich voll hingebender Zärtlichkeit in seine Umarmung.

„Ich glaube an Dich, Gerhard, und ich vertraue Dir! Deine Liebe ist meine Welt und ich will nicht fragen, welchem Wunder ich mein Glück verdanke!“ –

Da war der gefürchtete Augenblick über alle Erwartung leicht und glücklich vorübergegangen; aber schon wenige Tage später wurde Gerhard abermals in die peinliche Nothwendigkeit versetzt, der Ahnungslosen eine bedenkliche Wahrheit zu verheimlichen.

Augenscheinlich von dem Wunsche erfüllt, ihm eine Freude zu bereiten, lenkte Astrid das Gespräch auf Rita Gardini, und sie gab dem jähen Farbenwechsel, der sich bei dem unerwarteten Klange dieses Namens auf dem Antlitz des Künstlers vollzog, eine falsche Deutung.

„Ich weiß wohl, daß Du mir sehr böse gewesen sein mußt wegen des thörichten Briefes, welchen ich Dir damals geschrieben habe,“ sagte sie erröthend, „und auch die gütige Dame hat meine Zurückweisung vielleicht für kindisch und hochmüthig gehalten. Aber ich hoffe, es wird noch nicht zu spät sein, sie zu versöhnen. Ich werde glücklich sein, wenn sie mich ihrer Freundschaft auch jetzt noch für würdig hält, und ich werde sie gewiß liebgewinnen, denn sie muß edel und hochherzig sein, da Du sie Deine Freundin genannt hast!“

Je deutlicher Gerhard herausfühlte, daß sie mit diesem Anerbieten ihrer Liebe zu ihm eigentlich ein schweres Opfer brachte, desto peinlicher war es ihm, ihr mit einer Lüge antworten zu müssen.

Aber auch hier blieb ihm keine Wahl und so brachte er denn einige im Grunde recht wenig stichhaltige Redensarten zu Tage, die von einem kleinen Zwist aus Ursachen künstlerischer Natur und von einer vorübergehenden Entfremdung sprachen. Astrids Vertrauen in die Wahrhaftigkeit seiner Worte war zu groß, als daß ihr die auffallende Hast und Unsicherheit seiner Erwiderung einen Zweifel erweckt hätte, und statt, wie Gerhard es wünschte, das Thema fallen zu lassen, hielt sie dasselbe in der besten und edelmüthigsten Absicht jetzt nur um so hartnäckiger fest.

„Eine Entfremdung? – Wie mußt Du darunter leiden, mein armer Freund! Denn jede Zeile Deines damaligen Briefes athmete ja die höchste Verehrung für diese Frau! Nein, um irgend eines unbedeutenden Mißverständnisses willen darf ein solches Band nicht zerrissen werden, Gerhard! Und wenn es jedem von Euch sein Stolz verbietet, den ersten Schritt der Annäherung zu thun, so ist es ja ein Glück, daß ich da bin, um die Aussöhnung herbei zu führen. Ich werde an Fräulein Gardini schreiben! Ich werde sie bitten –“

„Niemals, Astrid, niemals!“ fiel Gerhard fast heftig ein. „Daran ist unter keinen Umständen zu denken! Und wie dankbar ich Dir auch für Dein edelmütiges Vorhaben bin, so ist es doch meine erste Bitte an Dich, des Namens jener Frau nie mehr zwischen uns Erwähnung zu thun!“

Der Ausdruck seiner Stimme, das Aufblitzen seiner Augen und die fast rücksichtslose Art, mit welcher er dabei aufgesprungen und durch das Zimmer gegangen war, mußten Astrid erschrecken und verwirren.

Sie hatte viel eher einen Ausbruch der Freude erwartet, als solche Heftigkeit, und die einzige Erklärung, welche sie für dieselbe finden konnte, war nur danach angethan, ihre Bestürzung zu steigern.

„So liegt also doch etwas anderes zwischen Euch als eine bloße Meinungsverschiedenheit in künstlerischen Dingen?“ fragte sie in angstvoller Spannung. „Es ist ein ernsthaftes Zerwürfniß – und vielleicht – vielleicht ein Zerwürfniß um meinetwillen?“

Gerhard fand nicht gleich die rechte Erwiderung und Astrid konnte sein Schweigen unmöglich mißverstehen.

„Um meinetwillen!“ wiederholte sie schmerzlich. „Ich also bin es, der Du den Verlust Deiner besten Freundin zuzuschreiben hast, und Du hältst mich nicht einmal für fähig, Dich mit ihr zu versöhnen? Welchen Kummer habe ich Dir bereitet, Gerhard, und wie ist es anders möglich, als daß Du mich denselben früher oder später entgelten lassen mußt!“

Mit Anstrengung nur hielt sie ihre Thränen zurück und Gerhard sah wohl ein, daß er recht unvorsichtig gewesen sei. Der Arzt hatte ihm dringend ans Herz gelegt, jede Gemüthsbewegung trauriger Natur von der Genesenden fern zu halten, und nun

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