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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Große Eindrücke, die mich dichterisch bewegten, trug ich meist längere Zeit mit mir herum, und oft erst nach Jahren, wenn eine verwandte Saite leiser angeschlagen wurde, vermochte ich sie, allerdings durch das Gegenwärtige angeregt, aus der Erinnerung rein auszusprechen.“

Und: „Ein wesentlicher und unentbehrlicher Theil des Genius ist – Geduld im rechten Augenblick.“

Und ein anderes Mal: „Damit Du Deine Zeit verstehst, verkehre in der Jugend gerne mit Aelteren, im Alter mit Jüngeren.“

Im Verkehr mit Jüngeren suchte er freilich seinesgleichen, darum wurde auch seine Ehe mit Ada zu einer so wahrhaft idealen. Er nannte Ada in der Zärtlichkeit wohl sein Kind, aber er behandelte sie trotz ihrer Jugend wie eine Ebenbürtige und zog sie von Anfang an zu den höchsten Interessen, die ihn erfüllten, empor. Darauf ganz einzugehen, war ihr einziger Wunsch. Als er, getrennt von ihr, seiner Gattin einst mittheilt, wie eifrig er an seinem Drama „Brunhild“ arbeitet, bittet sie ihn, sie nicht mehr mit so langen Briefen zu verwöhnen. Mit zwei Zeilen will sie sich begnügen. Denn: „wenn Du erst ans Schreiben kommst, trete ich alle meine Ansprüche an Chriemhild ab.“

Nur allzu kurz war ihm sein Glück beschieden, und als er Ada nach dreijähriger Ehe schon verlor, stand er an ihrer Hülle als ein schier verzweifelnder Mann. Moritz von Schwind versuchte, Adas Züge, so, wie sie im Sarge ruhte, wiederzugeben, aber wie sie so marmorblaß und edel da lag, warf er mitten in der Arbeit den Pinsel mit den Worten fort: „Nein, diesen Engel kann keiner malen!“ Schwinds Schüler Correns zeichnete sie darauf, und da Geibel die Skizze ähnlich fand, schuf Correns später danach jenes Bild, das sie uns mit dem weißen Rosenkranz im Haar und den auf der Brust gefalteten Händen so rührend darstellt.

Seinen Schmerz wußte Geibel nur im Trost des Schaffens zu lindern und je mehr er selbst verloren, um so Tieferes suchte er seinem Volk zu geben. So wuchsen seine Werke zu immer köstlicherem Gehalt und immer reinerer Vollendung heran. Alles, was das deutsche Volk in schweren und hernach in großen Tagen erlebte, und wie die Seele des Volkes es erlebte, das drückt sich aus in dem wundervollen Gesang, mit dem Geibel, unser deutscher Reichsherold, es begleitete. Sein Saitenspiel ist jetzt verstummt. Schmerzlich haben wir es empfunden, als wir blutenden Herzens unsern unvergleichlichen Heldenkaiser zu Grabe tragen sahen, als Kaiser Friedrichs tragisches Geschick uns bis ins tiefste Mark erschütterte.

Doch muß die Gegenwart auch seine Stimme entbehren lernen, aus seinen Werken tönt sie uns fürder allezeit entgegen, und wenn sie uns anspornt in allem unserm besten Sein und Streben, dann wird der Dichter, der seiner Kunst wie ein reiner Hoherpriester waltete, auch für uns nicht umsonst gesungen haben:

„Zieh ein zu allen Thoren,
Du starker deutscher Geist,
Der, aus dem Licht geboren,
Den Pfad ins Licht uns weist.“

Am 17. September 1855 schrieb Geibel aus Stuttgart an Ada: „Diese Stadt hat es mir einmal angethan, vielleicht weil mein großer Vater Schiller in Erz gegossen dort steht und sich ärgert, daß aus seinem Sohn Emanuel nichts geworden ist als ein Lyriker.“ Am 18. Oktober 1889 sank unter dem brausenden Gesang voller Männerchöre, dem unermeßlichen Jubel der Bevölkerung und dem vollen Glockengeläute sämmtlicher Thürme Lübecks die Hülle von Emanuel Geibels Denkmal, und so steht sein Standbild jetzt in Erz gegossen da, ein redendes Zeugniß dessen, daß Geibel seines großen Vaters Schiller werth geworden ist und die Nachwelt ihm für alle die köstlichen Gaben, die er uns geschenkt hat, für die zarten Lieder, die kräftigen vaterländischen Gesänge und die formenschönen, reichbewegten Dramen, freudig den vollen Lorbeerkranz ertheilt.




Eine kleine Vergnügungsreise.

Humoreske von Hans Arnold.

Im Hause des Amtsrichters Schwarz war gestern die Schwester der Frau Amtsrichter angekommen, die, eben aus der Pension entlassen, hier ihre Heimath finden sollte. Beide Schwestern, durch ihre Elternlosigkeit doppelt auf einander angewiesen, freuten sich trotz des Altersunterschiedes von zehn Jahren herzlich auf ihr Zusammenleben und saßen heut schon behaglich im Fensterplatz bei einander.

Die Amtsrichterin, eine sehr hübsche, muntere Frau mit dunkeln Haaren und blauen Augen, hörte mit nur schlecht verhehlter Belustigung dem kindlichen Geplauder der Jüngeren zu. Diese, ein bildhübscher, blonder Backfisch, war vor der Hand noch etwas schüchtern, und nur mit der Schwester allein wagte sie ihre Betrachtungen und Erlebnisse, deren noch sehr wenige zu sein schienen, zu erzählen. Solange der Amtsrichter zugegen gewesen, war die kleine Schwägerin stumm geblieben und hatte mit hartnäckig niedergeschlagenen Augen dagesessen, kaum ein leises „ja!“ oder „nein!“ auf alle Fragen antwortend, so daß der Herr des Hauses seine Versuche, sich mit dem jungen Gast zu unterhalten, schon achselzuckend aufgegeben hatte. Eben stellte die Amtsrichterin ihre Schwester über diesen Punkt zur Rede.

„Aennchen, Du mußt nicht so ängstlich gegen Karl sein,“ sagte sie vorwurfsvoll, „er liebt das gar nicht!“

„Ja, ich kann mir nicht helfen, Helene,“ erwiderte die Kleine treuherzig, „Du mußt es mir nicht übelnehmen – aber Karl kommt mir so furchtbar heftig vor! Heut morgen z. B., wie der Milchtopf umfiel – Himmel, wie fuhr er da auf! Nein – ich fürchte mich entsetzlich vor ihm.“

Helene lachte.

„Du bist eine kleine Thörin,“ sagte sie und strich der Schwester über das blonde Haar, „Karl ist im Grunde der gutmüthigste Mensch von der Welt und sein Poltern nur eine Art von äußerlicher Angewohnheit. Wenn Du so etwas so schwer nehmen willst, darfst Du einmal gar nicht heirathen.“

„Nun?“ setzte sie nach einer erwartungsvollen, kleinen Pause hinzu.

Aennchen blickte auf. „Was denn – nun?“ frug sie.

„Ich erwartete den Ausruf der Entrüstung, mit dem alle sechzehnjährigen Mädchen auf eine derartige Aeußerung antworten und mit größter Bestimmtheit versichern, sie wollten überhaupt nie heirathen!“

Anna nahm ihren langen blonden Zopf in die Hand und warf ihn wieder über die Schulter zurück – sie erwiderte nichts.

Helene hob ihr den Kopf am Kinn in die Höhe.

„Aennchen, Aennchen – was muß ich sehn! Du bist ja ganz roth geworden! Du Pensionskücken wirst doch nicht Heirathsgedanken haben?“

Anna stand hastig auf.

„Heirathen, Helene – solcher Unsinn! Aber ich will es doch nicht geradezu verschwören, – das würde ich sogar für unrecht halten,“ setzte sie feierlich hinzu; „‚man soll nie etwas mit Bestimmtheit aussprechen, was man nicht ganz sicher ist, halten zu können!‘ sagte Mademoiselle immer.“

Sie trat ans Fenster und sah hinaus.

„Nein, Kind – mit diesem tugendhaften Gemeinplatz kann ich mich bei der Veranlassung nicht zufriedengeben,“ warf Helene ein, die ihr gefolgt war, „gestehe es doch – Du hast irgend jemand gesehen, der in Deinem thörichten Köpfchen solche Ideen hervorgerufen hat.“

Aennchen sah angelegentlich auf die Straße.

„Aber Helene – kein Gedanke!“ sagte sie energisch.

„Gewiß einen recht überspannten, unreifen Jüngling,“ fuhr Helene unbeirrt in strafendem Tone fort, „mit einer Künstlermähne und rollenden, schwarzen Augen!“

Das junge Mädchen drehte sich hastig und glühend roth um.

„Keine Spur! – blaue Augen und ganz kurz geschnittene Haare – blond! – Ach!“ rief sie dann, erschrocken über das unfreiwillige Zugeständniß, und schlug die Hände vors Gesicht.

„Aha!“ sagte Helene ruhig, „das nennt man ‚kein Gedanke!‘ Und wo hast Du diesen kurzgeschorenen Helden kennengelernt?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_782.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2022)