Seite:Die Gartenlaube (1889) 773.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 46.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Sakuntala.

Novelle von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)


Gerhard war gerade zur rechten Zeit gekommen, denn kaum eine Minute später sah er in dem schmalen Gange des Opernhauses die Gestalt Ritas auftauchen, die er trotz des seidenen Tuches, welches Kopf und Gesicht zum größten Theil verhüllte, auf der Stelle erkannte. Rita war in einen kostbaren Pelzmantel gehüllt, den sie fröstelnd über der Brust zusammenzog, und die Zofe mit dem Schmuckkästchen folgte ihr auf dem Fuße nach. Der Platz war menschenleer und keine Neugier eines müßigen Gaffers war zu fürchten. So trat ihr Gerhard ohne Besinnen in den Weg.

„Guten Abend, Rita! Ich bitte Dich, mir einen Augenblick Gehör zu schenken! Ich muß Dich in einer überaus dringenden und wichtigen Angelegenheit sprechen.“

„Doch unmöglich hier auf der Straße und in diesem Sturm!“ klang es mit vorsichtig gedämpfter Stimme hinter dem seidenen Tuche hervor. „Du kannst mich ja auf der Heimfahrt begleiten. – Geben Sie mir das Kästchen, Franziska, und benützen Sie eine Droschke!“

Gerhard war ihr beim Einsteigen behilflich und setzte sich an ihre Seite. Der enge Raum des Wagens, dessen Fenster heraufgezogen waren, erfüllte sich in einem Augenblick mit dem süßen, berauschenden Duft des feinen Parfums, welcher Ritas Kleidern entströmte, und ihre schöne Gestalt schmiegte sich eng an die Gerhards.

„Ach, wie abgespannt ich bin!“ klagte sie, indem sie das schützende Seidentuch lüftete und ihr Köpfchen matt an seine Schulter sinken ließ. „Hoffentlich ist es nichts Aufregendes, mein Freund, das Du mir mitzutheilen hast!“

Sicherlich konnte die Einleitung für seine Neuigkeit keine unglücklichere sein, aber er durfte trotzdem nicht zögern, ihr ohne Umschweife alles zu sagen.

„Es ist eine hohe Anforderung, welche ich an Deinen Opfermuth und an Dein frauenhaftes Mitgefühl zu stellen habe, meine liebe Rita. – Astrid Bernhardi ist schwer erkrankt; sie bedarf einer treuen Pflegerin, und für diese Nacht wenigstens könnte ich ihr eine solche nicht verschaffen, wenn Du es ablehnen würdest, den Samariterdienst großmüthig zu übernehmen.“

„Ich? – In der Rolle einer barmherzigen Schwester? Ist das Dein Ernst, Gerhard?“

„Mein voller Ernst! Und ich wiederhole, daß ich das Opfer, welches Du Deiner Liebe zu mir damit brächtest, seinem vollen Werthe nach anerkenne.“

„Das wäre immerhin eine gewisse Belohnung,“ sagte sie, und es war aus dem Ton ihrer Worte schwer zu errathen, ob sie spottete oder ernsthaft sprach. „Und es handelt sich wohl gar um eine ansteckende Krankheit? Wenigstens würde das meiner Selbstverleugnung einen besonders heldenhaften Glanz verleihen.“

„Ich denke nicht, daß von einer Gefahr für Dich die Rede sein könnte, Rita! Der Arzt würde sonst nicht unterlassen haben, mich darauf aufmerksam zu machen.“

„So laß mir doch zu meiner eigenen Befriedigung diesen Glauben! Aber gestatte mir zugleich, es einigermaßen befremdlich zu finden, daß man gerade Dir die Pflicht auferlegt hat, eine Wärterin zu bestellen.“

„Es erklärt sich leider einfach genug! Astrid erkrankte an diesem Abend in meiner Wohnung.“

„In Deiner Wohnung?“

Wie ein zorniger Aufschrei kamen die Worte aus ihrem Munde, und mit einer heftigen Armbewegung warf sie den Pelzmantel nach beiden Seiten zurück, als ob es ihr plötzlich zu heiß geworden wäre in der dichten Hülle.

„In Deiner Wohnung also!“ wiederholte sie, da Gerhard nicht sogleich antwortete, mit mühsam erzwungener Ruhe. „Und Du hast mich wirklich hier vor dem Theater zu keinem anderen Zwecke erwartet, als um ein so unerhörtes Ansinnen an mich zu stellen?“

Auch Gerhard wurde es in der schwülen Luft des geschlossenen Wagens unerträglich eng und heiß. So oft er auch an diesem unglückseligen Abend schon hatte die


Emanuel Geibels Vater.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 773. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_773.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)