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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Wie Du siehst; die Pferde müssen gerührt werden, sie werden mir ja sonst steif und lahm. Sie wissen, daß ich ihr Meister bin. Nun bitte, hinauf!“

Da kamen, in schwarzen Sammetkittelchen mit breiten, weißen Spitzenkragen, die beiden prächtigen kleinen Jungen Sternhagens angelaufen. „Papa, Du hast uns gar nicht Adieu gesagt!“ riefen sie schon von weitem.

Jetzt gefiel er mir wieder! Er bückte sich und nahm auf jeden Arm einen der Zwillinge. Sein ganzes Gesicht lachte. „Ja, ihr seid Kerlchen!“ sagte er glücklich; „nicht wahr, Herr Professor, ist das nicht ein Staat?“ Und er küßte die Kinder zärtlich.

Er reichte sie Gertrud. „Adieu, Mama, adieu, adieu!“ Mit mütterlichem Stolz blickte sie zurück auf die kleine Gesellschaft, die noch oben auf der Freitreppe stand und in einem fort rief und winkte, als der Wagen aus dem Hofthor bog.

Sternhagen hatte nicht zuviel gesagt; die Pferde fühlten wirklich ihren Meister. Stattlich und fest saß er da vor uns mit breitem Rücken, die Zügel machtvoll fassend und mit kräftiger Männerfaust die Hitze der edlen Thiere mäßigend und in seinem Dienst behaltend.

Wir fuhren über das herbstliche Feld, dem Walde zu.

„Hier ist mein Gebiet zu Ende, leider,“ sagte Gertruds Mann; „hier fängt der hochgräfliche Grund und Boden an. Da sollen Sie gleich ’mal ’was Hübsches sehen. Zunächst achten Sie auf den Weg; ist der nicht sehr schön geharkt an den Seiten?“

„Was soll das?“ fragte ich.

„Muß jeden Abend geeggt werden, damit am Morgen genau zu erkennen ist, wie viel und welche Sorten Wild ausgetreten sind. Er sieht’s nicht gern, wenn man hier fährt, kann’s aber nicht wehren! – Aber nun sehen Sie ’mal da vorne an der Wegkrümmung den Pfahl mit der Tafel, wofür halten Sie das?“

„Ein Wegweiser vielleicht?“

„Nein; ich will da halten; lesen Sie die Inschrift mit Andacht!“ Er hielt an der Biegung; die Pferde schäumten ins Gebiß und scharrten den Boden mit den Hufen auf. Ich las, was da mit weißen Buchstaben auf grünen Grund geschrieben oder vielmehr gemalt war: „Hier erlegte am 27. August 1885 Graf Eberhard von Aller eine grobe Bache.“

„Nicht wahr? Ein feines Monument!“ lachte Sternhagen und knallte über die Köpfe der Pferde weg, daß sie mit einem Satz anzogen und den ziemlich langen, steilen, holprigen Abhang im schlanken Trab hinaufliefen, als wär’s ebener Boden; „wenn einer halt weiß, daß andere ihm kein Denkmal setzen, dann muß er selbst dafür sorgen, so gut er’s versteht. Drinnen im Forst steht’s voll von solchen Dingern.“

„Der 27. August – das ist ja Dein Geburtstag!“ warf Gertrud ein.

„Stimmt!“ gab er lachend zurück; „in jeder Weise ein bedeutender Tag.“

Wir fuhren jetzt durch finsteren Hochwald mit großen starken Stämmen, aber wir fuhren still, ohne viel zu reden. Jedes von uns hatte genug zu thun mit seinen eigenen Gedanken.

Auf Breitenfelde wurden wir herzlich begrüßt und aufs gastlichste bewirthet. Nach Tisch näherte ich mich Gertrud. Sie hatte ein paar Mal in offenbarer Unruhe zu mir hinübergeblickt und mir über den Tisch hin das alte Signal gemacht: „Ich muß Dich sprechen!“ indem sie wie zufällig und in Gedanken Messer und Gabel kreuzweis vor sich hielt.

„Achten Sie auf meinen Mann,“ raunte sie mir zu, „daß er nicht zuviel trinkt!“

Ich setzte mich in Sternhagens Nähe. Er klopfte mir lachend auf die Schulter.

„Nun, Professorchen, hat meine Frau Sie vielleicht vertrauensvoll beauftragt, ein bißchen auf meinen Durst zu achten? Ich glaube beinahe! Seien Sie unbesorgt, den Weg finde ich mit verbundenen Augen; ich werde Sie nicht in den Graben werfen aus Bosheit. Prosit! Sie sind ein Prachtsprofessor und so etwas von einem kleinen Schwerenöther; aber mich lassen Sie nur gewähren!“

Was sollte ich machen? –

Einmal trat sie hinter seinen Stuhl und flüsterte ihm etwas zu. Er schüttelte ärgerlich den Kopf und traurig ging sie zurück.

Als wir zur Abfahrt bereit waren, da war er wieder ziemlich arg im Sturm.

„Bitte schnell aufzusteigen!“ rief er uns zu. Kaum daß ich Gertrud hinaufgeholfen hatte und selbst nachgesprungen war und noch ehe ich die Decken und das Schutzleder recht hatte über uns breiten können, ließ der Stallknecht die Köpfe der unruhigen Pferde los, und im selbigen Nu sprungen sie auch schon ins Geschirr und stoben galoppirend vom Hof. Mit einem Fluche riß Sternhagen sie zusammen, daß sie beide, hochsteigend an der Deichsel, ihren Lauf mäßigten.

„Wartet, ihr Racker, ich werde euch lehren!“ rief er ingrimmig mit zusammengebissenen Zähnen, holte hoch aus und legte ihnen mit sausendem Hieb die Peitsche zweimal über den Rücken, riesenkräftig sie dabei mit der Linken im Zügel haltend. Es war nicht sehr dunkel, soweit der Weg über freies Feld führte.

Gertrud hatte, als die Pferde stiegen, mit beiden Händen meinen Arm gefaßt – aber ich hörte keinen Ruf, keinen Ton von ihren Lippen. Jetzt ließ sie mich los, und der Hauch eines Seufzers streifte mein Gesicht. Wir fuhren weiter, sehr schnell; der Schein der Laternen huschte hin über die Hecken und Gräben und über die weißen Prellsteine am Wege – jetzt fiel er in eine Wasserlache, die quer über das ausgefahrene Geleise lief; das Handpferd drückte sich aufscheuend weit zur Seite gegen das Sattelpferd; wieder sauste die Peitsche nieder, zweimal, dreimal; in stürmendem Lauf rannten die Thiere vorwärts in die Nacht hinein. Lautlos hielt er mit beiden Händen die straffen Zügel – so ging’s in rasender Fahrt weiter. Gertrud saß vornübergeneigt; angstvoll umklammerten ihre kleinen, kalten Finger meine Hand; nun schlug das eine Pferd im Rennen hoch aus, daß ein Regen von Wasser und Koth über uns hinflog – wieder hob Sternhagen die Peitsche.

„Um Gotteswillen!“ rief Gertrud, „schlage sie nicht, Oskar!“

„Ich will euch lehren, euch aneinander klemmen und nach mir ausschlagen –“ klang es vom Vordersitz – und Hieb auf Hieb hagelte nieder auf die verstörten Pferde, und fort ging die wilde Jagd. Gertrud hatte sich zagend enger an mich gedrängt. „O der Wald, der Wald!“ hörte ich sie leise sagen; „es giebt ein Unglück!“

„Darf ich Ihnen helfen, die Zügel zu halten?“ fragte ich Sternhagen, mich vorbeugend.

„Danke schön!“ sagte er ingrimmig, ohne den Kopf zu wenden; „lassen Sie sich nicht stören!“ – und im Laternenschein tauchte Stamm um Stamm auf, eilig wieder hinter uns versinkend in Nacht. Da huschte etwas über den Weg – was war’s? vermuthlich ein Stück Wild – und kerzensteil stiegen die beiden nun vollständig wild gewordenen verhetzten Thiere –; mit einem kurzen harten Ruck hielt der Wagen – aufs neue sauste die Peitschenschnur durch wie Luft – furchtbar ausgreifend sprangen die Pferde wieder an, hoch ausschlagend; nun schlug das Sattelpferd über den Strang und toste so weiter, noch toller gemacht.

So näherten wir uns in fliegender Fahrt dem Abhang.

„Oskar, halte die Pferde an!“ schrie jetzt Gertrud gellend, in Todesangst zitternd.

„Ach was, anhalten!“ grollte er – „mehr wie ein Genick kann man nicht brechen!“

Aber ich sah doch, wie er mit aller Kraft seines Riesenleibes sich in die Zügel warf, die Leinen fassend, daß sie straff standen wie gespannte Drahtseile – nun fingen die Pferde an zu gehorchen – da – Herrgott, was war das? Plötzlich schoß er hintenüber, hart gegen die Rückenlehne des Vorderstuhls anprallend, und seine Hände fuhren umher in der Luft, der Wagen flog aufs neue im rasenden, ungehemmten Lauf in kurzen Stößen von links nach rechts, aus dem Rennen der Pferde wurde Carriere: die Zügel waren gerissen!

Sternhagen lachte kurz und hart auf. „Nun giebt’s Kleinholz!“ hörte ich ihn sagen. Dann saß er, die Arme verschränkt, unbeweglich auf seinem Sitze, und herren- und zügellos rasten die Thiere dem Thalweg zu.

Gertrud lag halbtodt vor Entsetzen in meinen Arm geschmiegt. Wir wußten es alle drei – jetzt mußte etwas Furchtbares kommen: das ganze Drama unseres Lebens mußte sich hier im letzten Akte auflösen – jetzt sausten wir bergab – hoch sprang der Wagen über die Steine, die im Geleise lagen, rasselnd, donnernd, klirrend ging es hinunter – vor uns wurde es licht, da lag die Landstraße – aber um die scharfe Biegung konnten wir nicht – ich neigte mich über Gertrud. „Adieu, Gertrud!“ flüsterte ich – sie hob das Gesicht zu mir auf – da – ein donnernder

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