Seite:Die Gartenlaube (1889) 752.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

sie nicht mit herein: da sollen Sie mit mir und meinen Töchtern und einer ganzen Menge niedlicher Mädchen und Frauen tanzen, die ich eigens für Sie und auf Sie einlade. Aber daß Sie mir nicht Nein sagen! Was denken Sie – ich will auch einmal etwas davon haben und damit renommiren können, daß ich einen wirklichen und wahrhaftigen Professor zum Freunde habe.“

Was blieb mir da übrig, als zu gehorchen. Und ihre Worte hatten mir das Herz erfrischt. Sie hatte recht. Ich fing an, mich auf die Reise in das traute, treue Haus zu freuen, und so fuhr ich denn an einem schönen, klaren Oktobertage nach reichlich acht Jahren wieder den altbekannten Weg. Ich kannte ja noch alles. Hier die Pflaumenbäume in der Allee waren wenig gewachsen; dort im Wassergraben lag noch der sonderbar geformte und durchlöcherte Stein, in den ich jedesmal beim Vorbeigehen meinen Stock gestoßen hatte. Nun fuhr ich durch den Tannenbusch – da lagen die Steine des Hünengrabes um den Hügel herum. Es war lichter unter den Tannen geworden, ich erkannte deutlich den Stein, auf dem wir an jenem köstlichen Tage unseres Glückes gesessen hatten; dort drüben, halb von dünnem Nebelschleier verhüllt, ragte mit seinen hohen Bäumen der Friedhof; und nun hob auch gerade die Glocke an, mit vollem tönenden Klang über die kahlen Felder zu läuten – aber ich hörte Frau Hedwigs mannhaftes – oder soll ich sagen: frauenhaftes – Wort: „Wenn ich ein Mann wäre, ich schlüge auf den Tisch mit der Faust: Basta!“ Und ich drückte den Hut in die Stirn. Ich wollte gesund werden. –

Nun fuhren wir auf den Hof – nun vor das Haus; da stand die ganze Familie, nur einer fehlte.

„Tausendmal willkommen!“ klang mir Frau Hedwigs frische Stimme entgegen; „na, Sie sehen ja noch ganz menschlich aus; nun kommen Sie nur schnell herein!“

Frau Hedwig war noch immer eine hübsche Frau und gesund an Leib und Seele; ein klein bißchen mehr Rundung hatte sie bekommen; die beiden Mädels waren allerliebst, und Lust und Leben in ihnen, aber den Schalk hatten sie im Nacken. Und der alte gute Geist wehte auch noch immer durchs Haus und packte mich, er wehte durch mein Herz und blies allen Moder hinaus – ja, ich konnte noch lachen, konnte mich noch herzlich freuen, wie ich da an dem alten lederbezogenen Sofa saß und Frau Hedwigs Hand in meiner hielt und sie mit ihren klaren grauen Augen mich ansah. Als die beiden Mädchen zu Bett gegangen waren – sie sagten dem „Onkel Professor“ ganz standesgemäß Gutenacht mit einem Knix, den sie jedenfalls nicht zu Hause gelernt hatten, aber einen Kuß wollten sie mir nicht geben; „Sie sind noch viel zu jung dazu!“ sagte Klara, die mit den braunen lachenden Augen – als die Mädel also zur Ruhe gegangen waren, da mischte mir Frau Hedwig noch eigenhändig ein duftendes, dampfendes Glas Grog, setzte sich wieder neben mich und sah mir ein Weilchen forschend in die Augen; dann sagte sie:

„Um Sie ist mir nicht angst; Sie werden noch einmal wieder ein ganz vernünftiger Mensch!“

Ich versuchte das Gespräch auf die alten Tage zu bringen, um etwas über Gertrud zu erfahren; aber Frau Hedwig lehnte sich zurück und sagte lustig:

„Ach was, lassen Sie nun endlich die Todten ruhen! Ich weiß überhaupt so gut wie nichts; sollen ja ganz glücklich leben und haben zwei prächtige kleine Buben; er trinkt zuweilen etwas über den Durst, ist aber sonst gar nicht so übel, Sie wissen ja, daß ich immer ein bißchen für ihn geschwärmt habe. So, nun zu etwas anderem!“

Frau Hedwig, du warst eine kluge Frau und wußtest, wie solche Kranke zu behandeln sind. Als ich mich am selbigen Abend zu Bett legte, da war mir gar leicht und wohl ums Herz, wie seit Jahren nicht mehr.

Und von Tag zu Tag ward’s mir noch leichter. Aber wie wurde auch für mich gesorgt! Es war herrlich, wie man alles bedachte, was mir wohlthun konnte. Die Mädchen waren prächtig. Fast täglich ritt ich mit ihnen aus – der Wohlstand auf Wulfshagen hatte zugenommen. Die trefflichen Hannoveraner, die Wagenpferde, gingen gut unterm Sattel, und für mich war ein flotter Gänger zum Reiten vorhanden.

So ritten wir eines Morgens vergnügt und guter Dinge dahin auf dem Wege nach Mittelstein, wo die Herrschaften verreist waren. Aber vom Berge kam uns ein Vierspänner im schlanken Trabe entgegen. Ich deutete darauf hin: „Wer ist denn das?“ fragte ich.

Da warf Frieda plötzlich ihr Pferd herum. „Ein Hase, ein Hase!“ rief sie mit heller Stimme; „den hetzen wir ein bißchen!“ – und hin stürmte sie, wir ihr nach. Der Wagen fuhr hinter uns zu Thal, und Meister Lampe verschwand in einem tiefen Wassergraben. Wir hielten die Pferde an.

„Eingegangen!“ lachte Klara; „ein andermal!“

Vergnügt ritten wir auf weitem Umwege nach Hause.

Und der große Tag des Erntefestes kam. Einst alles wie heute, heute alles wie einst! Und doch war’s um so viel anders, als ich älter geworden war, als aus zwei kleinen niedlichen Mädchen, die damals einem überall unter die Füße kamen hier im Milchkeller, zwei allerliebste vollberechtigte Tänzerinnen geworden waren, mit denen man vorzüglich walzte.

Ich hatte Klara eben losgelassen und stand neben ihr seitwärts von den tutenden und quietschenden Musikanten; da fiel mir wieder die „Wacht am Rhein“ ein. Schnell warf ich dem alten Weber Schmidt einen Thaler zu. „Wie damals!“ rief ich. Er nickte verständnißinnig mit aufgeblasenen Backen über seinem Klapphorn. Kaum war die kurze Pause um, da hub die Melodie an: „Es braust ein Ruf wie Donnerhall“.

„Wollen wir ’mal?“ sagte ich lustig zu Frieda – da wurde meine Schulter leicht berührt. Ich fuhr herum – Frau Hedwigs Hand war es, sie lag noch auf meinem Arm. Mit eigenthümlichem Ausdruck ruhte ihr Blick auf mir.

„Herr Professor – zwei alte Bekannte!“

Ich wandte mich um; „wie Schwertgeklirr und Wogenprall“ stürmte es plötzlich auf mich ein: vor mir stand Gertrud neben ihrem Manne, schön, stattlich, etwas frauenhaft – aber jetzt blaß wie der Kalk an der Wand.

„Na, das ist schön, daß Sie uns hier ’mal wieder besucht haben!“ rief Sternhagen gemüthlich und reichte mir die Hand; „wir sind auch herübergekommen von Kleinwulkow, um mit unseren Leuten auf Finkenfelde übermorgen einen Erntetrunk zu thun, und da hat uns Ihre liebenswürdige Wirthin auf heute eingeladen; famose Ueberraschung! Meine Frau kennen Sie doch noch?“

Ja, ich kannte sie. Nun reichte auch sie mir die Hand.

„Ja, wir kennen uns!“ sagte sie leise. Das waren dieselben Augen, derselbe Mund, nur ein Zug wie von wehmüthiger Ergebung lag um ihn, und die Lippen waren fester geschlossen als einst. Kühl lag ihre Hand in meiner, die kleine, mir einst so unsäglich liebe Hand.

Aber in mir bäumte sich plötzlich etwas auf. War’s Trotz, Stolz, oder das Gefühl vergangener Qual um diese Frau? Ich richtete mich hoch und kalt auf und ließ ihre Hand los.

„Gnädige Frau, ich bin glücklich, Sie wieder zu sehen!“ – mehr konnte ich nicht sagen. Da trat Frieda neben mich und stieß mich ein klein wenig an. Schnell verneigte ich mich. „Verzeihung – ich bin gleich wieder bei Ihnen!“

Ich sah, wie ihr das Blut in die Wangen schoß, und etwas wie trotzige Freude durchzuckte mich. Den Arm um Frieda legend, tanzte ich mit ihr hin.

„Bitte, halten Sie mich nicht so furchtbar fest,“ bat das Mädchen; „ich kann ja gar keine Luft bekommen!“

In mir stürmte es; unvermuthet war meine Seele aufgerührt worden bis auf den tiefsten Grund; wie gellender Hohn schallte die Musik in meinen auflodernden Schmerz hinein.

„So geht’s schön!“ sagte Frieda, „Sie tanzen famos, aber sehen Sie doch nicht so bös aus; mögen Sie nicht mit mir tanzen und war’s Ihnen unlieb, daß ich Sie ein bißchen mahnte?“

Ich faßte sie wieder fester. „Nein, Frieda, ich tanze riesig gern mit Ihnen!“

Was für ein dummer Gedanke zuckte mir plötzlich durchs Gehirn? Warm und weich und schmiegsam ruhte das hübsche, frische Kind in meinem Arm – war ich denn wirklich zu alt? Nein – vierunddreißig Jahre ist doch noch nicht alt – da verhallte quietschend der letzte Takt der „Wacht am Rhein“, und ich setzte mich mit Frieda in eine Ecke auf die harte Holzbank. Sie war eigentlich sehr hübsch, ein blühendes, lebenskräftiges Mädchen von gutem Stamme – ein bißchen übermüthig frei – ich sah sie an; ein kleiner, niedlicher Seitenblick streifte mich; ich sah nicht hinauf nach der Gruppe an der Thür, wo die schlanke Frau im kirschrothen Kleide stand, ich redete auf Frieda ein, die mit munterem Geist Antwort gab. „Nein, es ist doch zu nett, daß Sie gekommen sind,“ sagte sie, „Ihnen werden noch oft die Ohren klingen, wenn Sie wieder fort sind und hier wieder alles

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_752.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)