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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

selbständigem Leben begabt, wie von elektrischem Strom durchzogen!

Ja, der „Rattenfänger“ war wundervoll, und die Lieder hätte ich lieber singen als vorlesen mögen – aber noch schöner, tausendmal schöner war’s, wenn ich mich wieder an den Bohnensack setzen konnte. – Und allmählich, ganz allmählich, von Abend zu Abend wurde das süße, stets verleugnete Spiel ernsthafter, offener; ich hielt ihre Hand, die schmale, zarte Hand – eine dunkle Blutwelle schoß in Gertruds Gesicht; sie beugte sich tiefer über die Arbeit – und dann flogen die weißen Bohnen nur so hinaus aus den raschelnden Hülsen und rannen hinab auf den Grund. Und wieder haschte ich nach der reizenden Beute; schnellen Rucks entzog sie sie mir. Steht sie jetzt auf? Geht sie jetzt im Zorn? Mein Athem stockt vor Angst und Reue – nein, sie bleibt! Im heißen, lebenbringenden Strom rinnt das Blut durch meine Adern, und ich möchte den Sack umwerfen und sie an mich reißen und ihr zuflüstern: „Gertrud!“ – Man lebt nicht einmal, nein, wer so in Liebe glüht und glücklich ist, der lebt immer wieder ein neues Leben.

In solchen Gedanken ritt ich denn, wenn die Scheidensstunde gekommen und Abschied genommen war, heim durch den Nebel. Aber in mir war’s lichter Frühling und mein Herz jubelte.

Auf Wulfshagen gab es also einen Festtag: „der Schäfer schmückte sich zum Tanz“ und so weiter. Als ich auf den Hof ritt, trat Gertrud in die Thür und winkte mir zum Willkomm mit der Hand.

„Ich soll Sie empfangen,“ rief sie fröhlich; „Herr und Frau Erhard sind im Milchkeller, der Tanz hat schon angefangen; hören Sie nur!“

Ich sprang vom Gaul und haschte nach ihrer Hand. Sie erglühte wie eine Rose. Die Rose war überhaupt das beste Bild für sie. Sie ließ sie mir, ihre Hand; wie warm ich sie hielt!

„Bitte,“ flüsterte sie in süßer Verwirrung – „nicht heimlich – ich habe immer so schreckliche Angst!“

O des Geständnisses, das darin lag, – aber wie plötzlich zur Erkenntniß kommend, riß sie ihre Hand los und lief den langen Flurgang hinab.

Ja, im Milchkeller, da war’s aber schön! Die weißgetünchten Wände waren mit Tannengrün verdeckt, und von der Decke hing eine Art Kronleuchter mit sechs langen Talglichtern. Auf einem Holzgestell saßen die vier Musikanten und bliesen, fiedelten, flöteten und quinkelierten, daß es eine Lust und ein Jammer war; aber mir hing der ganze Himmel voll Geigen. Erhard hielt mir den großen, schäumenden Humpen entgegen, ich that einen mächtigen Trunk ihm zum Bescheid; da kam Gertrud die kleine Treppe zum Keller herunter; ich rief dem braven Weber Schmidt zu: „Die Wacht am Rhein!“

Und alsbald erklang sie als Schnellwalzer. „Juch!“ gellte es aus zwanzig Knechtskehlen – und hin flogen die Paare mit geraden und krummen Beinen – der Komponist der „Wacht am Rhein“ mochte sich mit hörbarem Ruck im Sarge umdrehen; der rothe Staub von den Fliesen wirbelte auf; die Füße scharrten, im stürmenden Takte flogen die Paare und mitten drin Gertrud und ich, dicht aneinander geschmiegt.

„Eine einzige Bitte, Fräulein Zorn!“

„Nun?“

„Die Rose von Ihrer Brust!“

„Was wollen Sie damit?“

„Aufheben!“

„Wozu?“

„Zum Andenken“

„Woran?“

„An diese Stunde!“

„Was hat sie denn Besonderes?“

„Ich tanze mit Ihnen!“

„Haben Sie noch nie getanzt?“

„Ja, aber so nicht!“

„Dann haben Sie Ihrer Dame jedenfalls auch mehr Luft gegönnt!“

„Bekomme ich die Rose?“

„Ja!“

„Wann?“

„Nachher!“

Der Tanz verklang. Hochathmend wanden sich die derben Tänzerinnen aus dem Arm ihrer stämmigen Tänzer. Gertrud sah mich an mit ihren leuchtenden Augen.

„Gertrud!“ sagte ich leise und hielt noch ihre Hand. Sie warf den schönen Kopf in den Nacken und sah mich zornig an.

„Wie kommen Sie dazu?“ fragte sie.

„Fräulein Zorn, die Rose!“ flehte ich.

„Nein, nun zur Strafe nicht!“

Und weg war sie. Und mein Himmel war zerschlagen. Ich setzte mich zu den Herren und trank, hastig, heftig. Ich wollte nicht hinsehen, wo Gertrud seit einiger Zeit die Schenke übernommen hatte, heiter mit den Herren scherzend. Ich sah nicht hin, als sie meinen Krug vor mir wegnahm, und nicht, als sie ihn wieder vor mich setzte; aber als ich ihn an den Mund führen wollte, da schwamm oben auf dem Schaum des halbgefüllten Kruges die Rose, die Rose von ihrer Brust! Und ich hob den Humpen und trank ihn ihr zu in stürmendem Jubel.

Und als ich spät, sehr spät nach Hause ritt, stand sie an der Hausthür und reichte mir die Hand mit herzlichem Druck, und ich küßte ihre Finger, leise, schnell – sie sah sich um, hastig, besorgt – und dann wehte mir der kühle, feuchte Nachtwind um die Stirn – o du Welt, was für Glück hast du doch zu vergeben! –

Ein anderer Abend. Ich stehe am Fenster und blicke hinaus. Dort drüben liegt der Hof, hinter dem Tannenwald. Da lehnt sie vielleicht auch hinaus und der Wind küßt ihr Gesicht und spielt mit ihren blonden Stirnlocken; vielleicht denkt sie jetzt auch an mich.

Vertraut und freundlich kommt sie mir entgegen, wo ich sie treffe. Aber nie bin ich mit ihr allein, wie ich es auch darauf anlege; die grauen, klaren Augen der Frau Hedwig liegen auf uns. „Ich behalte keine Erzieherin, die ein Verhältniß irgend welcher Art hat,“ sagte sie neulich scheinbar harmlos, als wir drei ohne Gertrud allein beisammen saßen und die Rede so darauf kam. „Ich habe zu traurige Erfahrungen damit gemacht, zweimal. Die erste wollte sich durchaus aus unglücklicher Liebe zu dem Hauslehrer auf Gelbersand ertränken und wurde gänzlich unbrauchbar, und meine vorige machte nichts als das heilloseste dumme Zeug, nachdem sie sich mit einem Theologen bei Pastor Lau verlobt hatte; die Kinder und der Unterricht zählten überhaupt nicht mehr mit. Nein, darauf laß ich mich nicht wieder ein!“ sagte sie sehr bestimmt; „und so lieb ich Fräulein Zorn habe, wenn sie den Kindern nicht ihre ganze Liebe und Aufmerksamkeit mehr widmen kann, dann muß sie fort!“

Und die niedliche Frau sah ganz entschlossen dabei aus und warf mir einen Seitenblick zu, als wollte sie sagen: „Du weißt nun, woran Du bist!“ Da mußte ich also vorsichtig sein. Und erst will ich wenigstens Doktor sein, ehe ich meine Hand nach ihr ausstrecke. – –

Ja, was hat man nicht für gute Vorsätze!

Also ich stand am Fenster und schaute hinaus in die Nacht. Draußen kein Stern, kein Schimmer – aber je länger ich hinausstarrte, desto lichter wurde es draußen; ordentlich, als wenn allmählich dort überm Walde Lichtschein aufleuchtete, Strahlen aufzuckten, Funken sprühten und wieder in Nacht versänken. Aber täusche ich mich denn wirklich? Wird’s nicht in der That glühend hell über den Bäumen, immer mehr und mehr?

„Feuer in Wulfshagen!“ durchfährt mich schreckhaft erkältend der Gedanke – ja, da höre ich ja auch schon verworrenes Stimmengewirr vom Hofe her durch die Pause des Sturms – ich hinunter, in den Stall, den Sattel auf meinen Schimmel – ich darf ihn jetzt benutzen, so oft ich will, ohne erst zu fragen, er steht für mich da – und ehe noch die Spritze aus der Scheune rasselt, reite ich so wie ich bin durch die Nacht und das Wetter. Das Pferd kennt den Weg; das Dunkel lichtet sich; die Feuersbrunst fängt an, wie eine ungeheure Laterne zu wirken und matten Schein auf den Weg zu werfen; nun biege ich um die Waldecke – lohend schlagen vor mir die Flammen aus der Nähe auf, daß der Himmel erglüht; taghell beleuchtet liegt Wulfshagen vor mir, wie die Hufe des Schimmels über die Brücke donnern. Aber jetzt sehe ich es: es ist nicht meine zweite Heimath hier ist der Fremde, auf deren Dach der rothe Hahn die Flügel schlägt; es ist der Hof von Finkenfelde, der gerade dahinter liegt, das große Gut, auf dem der Sternhagen sitzt, mir der unangenehmste

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