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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

weinseligen Stimmen vorgebrachten Karnevalsscherzen. „Der Marchese della Rovere vertrinkt dort seinen Triumph über seinen Verwalter!“ meinte schief lächelnd der Bankier Lerche zu den Umstehenden.

Mit lautem Rufe meldete plötzlich der unter der Eingangsthür stehende Diener:

„Der Marchese della Rovere!“ und vor der Gräfin verbeugte sich mit tiefem Bücklinge der Doppelgänger des Marchese. Im selben Augenblicke aber antwortete aus dem Speisezimmer die volle breite Stimme des alten Landedelmanns:

„Wer ruft mich? Hier bin ich! Komme schon!“

Und unter der Thür erschien, den Rock aufgeknöpft, das Weinglas in der Hand, mit rothleuchtendem Gesichte, die stämmige Gestalt des Taorminesers.

Einen Augenblick nur blieb er, nach allen Seiten sich umschauend, unter der Thür stehen – da hatte er auch schon seinen Verwalter erblickt, und, das Glas hinter sich schleudernd, stürzte er auf ihn los:

„Ha ha! Du bist auch hier, Marchesendieb. Warte nur, Schurke! Bube!“

„Zu Hilfe! Frau Gräfin! Man vergreift sich an Euren Gästen!“ schrie des Kleinen entsetzte Fistelstimme, und mit den Händen abwehrend, flüchtete er der Eingangsthür zu.

Die Freunde hatten den tobenden Marchese festgehalten und zogen ihn in den Speisesaal zurück.

„Ja, laufe nur!“ rief dieser dem Fliehenden nach, „ich komme Dir noch zuvor!“

Und mit kräftigem Rucke riß er sich los, stürzte durch eine Seitenthür in den Gang, die Treppe hinunter, bis in den Hof. Dort schaute er sich um.

„Haha! Bist noch nicht unten, – wirst aber kommen, – dann bin ich schon da!“

Mehrere herrschaftliche Wagen hielten nahe am Treppenaufgang. Betreßte Diener unterhielten sich mit einigen herumlungernden Bettlern. In einer Ecke des Hofes tanzte mit rasselnden Tamburins ein Dutzend maskirter Gesellen die Tarantella.

Der Marchese riß mit unsicherer Hand den Schlag eines Wagens auf, stieg hinein in den dunklen Raum und sank auf die weichen Seidenpolster.

„Hast zu tief ins Glas geguckt, Gevatter?“ rief ihm lachend ein Diener nach, der ihn wohl für seinesgleichen nahm; „mach Dir’s bequem, Freundchen! Man wird Deinen Schlaf nicht stören!“

Eine gute Weile wartete der Marchese, zum Sprunge bereit, ob der Kleine nicht die Treppe herunter gestolpert käme, – und seine von Wein und rasendem Ingrimm erhitzte Phantasie malte sich das Bild vor, das sich jetzt hier entfalten würde, wenn einer aus dem Wagen spränge, dem nächsten Kutscher die Peitsche aus der Hand risse und dem Lotterbuben, dem verschimmelten Rechtspraktikanten unter dem Hohngelächter der Bedienten seine längst verdiente Tracht Prügel verabreichte. Es erschien aber niemand – und allmählich übte die kühle Nachtluft ihre Wirkung auf den Alten aus; er lehnte sich sanft in die weichen Kissen zurück, und bald sang ein langgedehntes Schnarchen aus dem Wagen heraus den Grundbaß zu dem Klappern der Castagnetten und zu den lustigen Weisen der Tarantellatänzer.

Durch das Eintreten des Gouverneurs und der Offiziere wurde der Eindruck der Scene, die sich oben abgespielt hatte, unter den Gästen bald verwischt. Forschend flogen die Blicke der Gräfin über die Reihen der Schweizer.

Wo war er – den sie erwartete, dessen Name heute ohne Unterlaß auf ihren Lippen schwebte – er, von dem sie nicht wußte, ob sie ihn liebte, ob sie ihn haßte? – Ja, sie wußte es doch! Denn wenn er käme – ach! alles sollte vergessen sein – an seinem Arme wollte sie sich in jenes stille Boudoir, in den Armidagarten begeben und dort, dort wollte sie ihm sagen …

Robert von Büren verbeugte sich vor ihr.

„Gnädigste Frau! Mein Freund, Hauptmann von Hattwyl …“

„Ist er nicht hier?“

„Er hat mir aufgetragen, seine Entschuldigungen …“

„Er kommt nicht?“

„Er bedauert …“

„Er kommt nicht?“ wiederholte sie.

„Nein, gnädigste Frau; er …“

Sie drehte ihm den Rücken und ließ ihn stehen.

Der Gouverneur trat zu ihr.

„Frau Gräfin, welch düsteres Feuer brennt in Eurem Blick!“

„Ach, Herzog, wie sollt es anders sein? Die ganze Welt spricht nur von Aufruhr, von sicilianischer Vesper, von Mord, von …“

Scaglione war unter der Eingangsthür erschienen. Ohne den Gonvernenr weiter zu beachten, winkte sie dem Abbate und trat in eine Fensternische.

„Nun?“

„Hierher kommt er nicht; – aber dorthin ist er gegangen!“

„Dorthin? – zu … ihr?“

„Er ist bei ihr!“

Ihr Auge ruhte einen kurzen Augenblick auf dem Abbate; ihre Hand zerknitterte ihren Fächer; nur ein Augenblick war’s – dann war alles entschieden. Ihre Stimme klang metallhart, als sie zum Abbate sprach:

„So wißt Ihr, was Ihr zu thun habt! Sorgt dafür, daß mein Befehl ausgeführt werde!“

(Schluß folgt.)




Athen und das neue Griechenland.

Von P. v. Melingo.

Die bevorstehende Verbindung der Schwester unseres Kaisers, Prinzessin Sophie von Preußen, mit dem Kronprinzen von Griechenland hat neuerdings die allgemeine Aufmerksamkeit auf den bei uns noch viel zu wenig gewürdigten neugriechischen Staat im allgemeinen und auf seine kräftig gedeihende Hauptstadt Athen im besonderen gelenkt. Ueber dem so natürlichen Interesse an dem alten Griechenland hat man bisher vielfach vergessen, das neue zu beachten; findet sich aber einmal jemand, der daran denkt, so geht es den heutigen Griechen in den allermeisten Fällen wie den Söhnen berühmter Männer, von denen man verlangt, sie sollen das Genie des Vaters geerbt haben.

So wie die tüchtigen und braven Nachkommen Goethes von dem Ruhme ihres Ahnherrn beinahe erdrückt wurden, so wird das neue Griechenland infolge des unberechtigten Vergleichs zwischen dem, was die hellenischen Staaten im Alterthum gewesen sind, und dem, was das freie Griechenland heute ist, oftmals von einem unrichtigen Gesichtspunkte aus beurtheilt. Und doch thut man dem Lande, thut man dem Mittelpunkte alles griechischen Denkens und Fühlens, Athen, großes Unrecht. Staat und Stadt haben sich seit dem Neujahrsfeste 1835, an welchem der Einzug König Ottos in seine neue Residenz erfolgte, mächtig entfaltet, und die Griechen stehen – man kann dies ohne jede Uebertreibung sagen – heute in jeder Beziehung an der Spitze der Balkanstaaten.

Es giebt außer Frankreich kaum noch ein zweites Land, in dem sich alles so sehr nach der Hauptstadt richtet wie in Griechenland. Was aber in einem großen Staatskörper unter Umständen von ernstem Nachtheil sein kann, ist oft in einem kleinen Lande sehr förderlich, und Griechenland dankt diesem Streben nach einem einheitlichen Mittelpunkt die erfreuliche Entwickelung des heute an 100 000 Seelen zählenden Athen, eine Entwickelung, die – für das ganze Land von größter Bedeutung – sich vollzog, ohne daß die Provinzen darunter litten.

Als aus einer leicht begreiflichen Pietät gegen die Vergangenheit bei der Wahl der Residenz des künftigen Königs von Griechenland Athen bestimmt wurde, obwohl, was die Lage anbelangt, Patras oder Korinth gewiß vorzuziehen gewesen wären, da war die Auserkorene ein halbverfallenes, fast unbewohntes Fischerdorf, in dem die Gesandten der Mächte, als sie mit König Otto ins Land kamen, nur mit großer Mühe eine bescheidene Unterkunft finden konnten; heute ist die Hauptstadt des Landes, über welches zu herrschen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_714.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)