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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

den reichen Inhalt dieses neuen Werkes hinweisen, mag den Lesern ein Rückblick auf die Laufbahn des Verfassers erwünscht sein, der seinen großen Verdiensten ein neues hinzugefügt hat, indem er, mit reifer Erfahrung und im Vollbesitz schöpferischer Kraft, für die Geschichte Athens und Griechenlands eine ähnliche Aufgabe zu lösen unternahm wie vorher für jene Roms und Italiens. Zugleich geben wir ein Bildniß des Gelehrten nach einer in „Nord und Süd“ erschienenen Radierung.

Ferdinand Gregorovius ist von ostpreußischer Herkunft, geboren im Jahre 1821 in dem Städtchen Neidenburg, einer früheren Kolonie der Deutschritter, deren Schloß noch jetzt den Ort überragt. Sein Vater, Justizrath des dortigen Kreises, rettete diese Burg vor dem Untergange, indem er den berühmten Minister von Schön, den Burggrafen von Marienburg, bewog, ihre Herstellung und theilweise Einrichtung für die Amtsräume der Justiz auf Staatskosten zu veranlassen. Des Geschichtschreibers Bruder Julius, Artillerieoberst a. D., hat vor einigen Jahren die Geschichte des Ordensschlosses Neidenburg in einer Abhandlung beschrieben.

Ferdinand Gregorovius hat es ausgesprochen, daß die Eindrücke dieses Schlosses in seiner Kindheit ihm die Richtung auf die Geschichte des Mittelalters gegeben haben. Seine Schulbildung empfing er auf dem Gymnasium in Gumbinnen; dann ging er nach Königsberg, um Theologie zu studieren, wendete sich jedoch bald unbefriedigt von ihr ab und widmete sich, besonders auf Rosenkranz’ Anregung und unter dem Einfluß der neuen Entwickelungsepoche, die mit den vierziger Jahren in Deutschland begann, dem Studium der Philosophie und der Geschichte. Auf sein akademisches Triennium folgte eine Zeit der Lehrthätigkeit, auf diese litterarische Arbeiten: Gedichte, philosophische Abhandlungen und, während der Revolutionsjahre 1848 bis 1849, eine lebhafte journalistische Betheiligung an den politischen Ereignissen. Damals erschien von Gregorovius die Schrift „Goethes Wilhelm Meister in seinen socialistischen Elementen betrachtet“, die Tragödie „Tiberius“ und endlich der erste Entwurf der historischen Monographie „Der Kaiser Hadrian“, die erste seiner Arbeiten, welche seinen Beruf zur Geschichtschreibung bekundete.

Indeß war die Sehnsucht in die weite Welt, vor allem nach Italien, in ihm erwacht. Ein tiefgewurzeltes Unabhängigkeitsbedürfniß machte ihn der Bewerbung um ein Amt abgeneigt. Den alten Humanisten ähnlich, war er von dem Verlangen beseelt, in voller Freiheit den Studien zu leben. So brach er im Frühling 1852 entschlossen nach Italien auf, was für die Gestaltung seines Lebens von entscheidender Bedeutung werden sollte. Nach einem Aufenthalt in Venedig und Florenz fuhr er im Frühsommer 1852 nach Corsika hinüber und durchwanderte während der nächsten Monate diese merkwürdige, wenig bekannte Insel. Die Frucht davon war sein Buch „Corsika“. Dasselbe begründete seinen Ruf auch in England und Amerika, wo fast gleichzeitig mit der deutschen Ausgabe Uebersetzungen erschienen, denen später andere ins Italienische und Französische folgten. Schon dieses Erstlingswerk seines Wanderns in Italien offenbarte in glänzender Weise die Begabung des Verfassers auf beiden Gebieten, die er zu pflegen fortfuhr, der Geschichte und der historischen Landschaft. Die Geschichte der Corsen, mit der er sein Buch einleitete, ist ein unübertroffenes kleines Meisterwerk; von den corsischen Landschaftsbildern darf man behaupten, daß sie Muster ihrer Gattung sind, plastisch anschauliche Darstellungen, in denen ein künstlerisch bildender Geist Natur, Geschichte und Volksthum zu einem formenreichen Ganzen verbindet. Auch nach einer anderen Seite hin erwarb sich Gregorovius in seinem „Corsika“ ein Verdienst um die deutsche Litteratur, nämlich durch seine vortreffliche Uebersetzung der bis dahin so gut wie unbekannten Todtenklagen (Vôceri) der Corsen. Später ergänzte er diese Beiträge zu unsern „Volksstimmen in Liedern“ durch Uebertragungen toskanischer Volkslieder und vieler Dichtungen des volksthümlichsten Dichters Siciliens, Giovanni Meli.

Sein Buch über Corsika schrieb Gregorovius in Rom, das er im Herbst 1852 erreicht hatte; und Rom blieb, gelegentliche

Die Jahnshöhle bei Giebichenstein an der Saale.
Nach einer Skizze von Ernst Kießling gezeichnet von E. Buffetti.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_705.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)