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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Was ist das für eine Aufführung?“ fragte die strafende Stimme des kommandirenden Generals, der nun auch auf der Straße erschienen war. „Ich kenne Sie ja gar nicht wieder, Marie! Sie, ein tapferes deutsches Mädchen, geben den Franzosen hier ein so klägliches Beispiel?“

Ein Zittern lief durch ihre Glieder. Ihre gestrafften Muskeln wurden schlaff; ein Weinkrampf erschütterte ihre Gestalt. Aber sie gewann noch einmal Herrschaft über sich und, die Thränen meisternd, stieß sie flehentlich hervor:

„Lassen Sie mich mit ihm sterben, Excellenz!“

Der General faßte ihre Hand und sah sie väterlich liebreich an.

„Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollten die Hoffnung nicht verlieren? Ihr Bräutigam hat allerdings sein Leben verwirkt; weil er aber ein braver Soldat ist und das Eiserne Kreuz auf der Brust trägt, werde ich noch heute die Gnade Seiner Majestät des Königs für ihn anrufen, und zweifeln Sie nicht, mein Kind, unser König hat ein Herz für seine Helden und wird Gnade für Recht ergehen lassen!“

Dornbusch, der diese Worte gehört hatte, stand, die Hände auf die Brust gepreßt, die in beschleunigtem Takte auf- und niederwogte, und starrte aus großen, halb noch ungläubig aufleuchtenden Augen den General an. Er taumelte einen Schritt vorwärts, als wollte er sich vor ihm zur Erde werfen und seine Kniee umfassen.

„Stillgestanden!“ kommandirte in verstelltem Ernste die Excellenz, und wie der also Angeherrschte zu einer Statue erstarrt war, an der sich auch nicht der Augapfel im Kopfe mehr bewegte, fuhr der General fort: „Gefreiter Dornbusch! Das, was Sie hier zufällig vernommen haben, war nicht für Sie bestimmt; Sie haben darüber zu schweigen, bis Ihr Arrest beendet ist, dann . . . dann melden Sie sich bei mir, damit auch ich Ihnen zum Eisernen Kreuze Glück wünschen kann, das Sie da auf der Brust tragen. Ihre Braut bleibt meinem Stabe zugetheilt; ich werde für sie Sorge tragen, sie ist gut ausgehoben.“

„Ich . . . ich . . . danke . . . Eurer Excellenz,“ brach es wie ein dumpfes Geheul von den zuckenden Lippen des Gefreiten.

„Marsch! fort!“ schnitt der General, scheinbar barsch, jedes weitere Wort ab, dabei blinzelte er aber aus halb zusammengekniffenen Lidern vergnügt und zufrieden nach dem schmucken Soldaten, der jetzt stramm und aufrecht vor seiner Wache dahinschritt und sich nicht einmal mehr nach Marie umzusehen wagte. – – –

Noch mehrere Wochen vergingen, die für die Ungeduld des stets auf Lagerwache befindlichen Verhafteten gewiß zur Ewigkeit geworden sind. Aber eines schönen Tages, gegen Ende des Septembers, wurde der Gefreite Dornbusch wieder nach dem Stabsquartier des Generals geführt und ihm dort verkündet, daß ihm Seine Majestät der König in Anbetracht seines besonders guten Verhaltens vor dem Feinde die Strafe in Gnaden erlassen habe. Dem Befehle gemäß meldete sich der Begnadigte, dem wieder ein Seitengewehr umgeschnallt worden war, bei dem General.

Dieser gratulierte ihm, indem er ihm warm die Hand drückte.

„Nun halten Sie sich weiter so tapfer, Unteroffizier Dornbusch!“ Und als der so Angeredete verwundert aufhorchte, erläuterte der General: „Sie werden bei Ihrer Rückkehr ins Bivouac die Tressen bekommen für Ihre vorzügliche Haltung beim letzten Ausfall der Franzosen. Ich denke, das wird Ihnen auch Ihre Stellung zum Unteroffizier Schellbaum wesentlich erleichtern – oder grollt Ihr einander noch?“

„O nein, Excellenz! wir haben längst Frieden geschlossen.“

„Das freut mich, ein anständiger Mensch muß nichts nachtragen. Und nun gehen Sie mit Gott! Sollten Sie vorher noch ein gewisses Mädchen sehen wollen, so wenden Sie sich an meinen Stabskoch; er ist sehr zufrieden mit ihr.“

Anfang Februar, während des Waffenstillstandes, wurden in einem französischen Gotteshause der Unteroffizier Friedrich Dornbusch und Marie Segner vom Stabe des nten Generalkommandos ehelich verbunden. Unter den Zeugen befand sich Jesaias Schellbaum, der seine Rolle äußerst würdevoll spielte und dem jungen Paare als erster seine herzlichen Wünsche darbrachte

Nach der Rückkehr in die Heimath trat das Pärchen in die Privatdienste des kommandirenden Generals; Dornbusch als Kutscher, Marie als Küchenvorstand.

Als ich ein Jahr darauf bei dem General einmal zur Tafel geladen war, fragte er mich freundlich:

„Nun? schmeckt es Ihnen? Das freut mich! Meine Köchin verdient auch alle Anerkennung; Sie kennen sie ja noch; Sie haben sie, so zu sagen, eines Nachts aus dem Graben gefischt und ihren Mann habe ich mir gewissermaßen vom Galgen geschnitten. Sie erinnern sich doch der blonden Marie und des Fritz Dornbusch, der durchs Kriegsgericht verurtheilt und durch Seine Majestät begnadigt wurde?“

„Gewiß – ein schneidiger Bursche.“

„Ist jetzt auch zahmer geworben, seine Frau hat ihn gehörig unter der Fuchtel, nur wenn er ’mal ein Gläschen übern Durst getrunken hat, haut er gelegentlich über die Schnur. Aber da braucht ihn die Marie nur mit einem gewissen Blick anzuschauen und zu fragen: ‚Möchtest wohl wieder mal Champagner trinken, Fritze?‘ – dann wird er allemal mäuschenstill und giebt klein bei. Ist überhaupt ein kleiner Hausdrache geworden, die blonde Marie. Schad’t nichts, ist eine tapfere kleine Frau, hat sich ihren Mann aus dem Feuer geholt – eine Frau, wie Soldaten sie brauchen. Wir wollen anstoßen: Alle tapferen Frauen leben hoch!“




Ferdinand Gregorovius,
der Geschichtschreiber des mittelalterlichen Roms und Athens.

Mit Bildniß S. 689.

Der Klang des Namens Gregorovius erweckt bei jedem, der mit der neueren Litteratur vertraut ist, unwillkürlich den Gedanken an die Kulturbeziehungen Deutschlands und Italiens. Seit Winckelmanns und Goethes Zeiten hat die Sehnsucht nach dem Lande der schönen Natur, der Kunst und des Alterthums manchen Nordländer nach Italien geführt; wohl den meisten ist die Rückkehr schwer geworden; einige fühlten sich dauernd jenseit der Berge gefesselt und fanden in dem Lande ihrer Sehnsucht eine zweite Heimath. Unter allen diesen nimmt Gregorovius eine eigenthümlich hervorragende Stellung ein, denn wie keinem andern ist es ihm beschieden gewesen, in dem bedeutendsten Zeitraum der Umgestaltung beider Länder eine schöne Vermittlerrolle durchzuführen, sich durch glänzende schriftstellerische Leistungen das römische Bürgerrecht zu erwerben und doch ein deutscher Bürger zu bleiben. Als dauerndes Denkmal seines vieljährigen Aufenthalts in Italien steht sein großartiges Werk über die Geschichte Roms im Mittelalter da, eine Arbeit zugleich der Begeisterung und des unermüdlichen, wissenschaftlichen Forschens.

Es darf als ein besonderer Glücksfall betrachtet werden, daß die Vollendung dieses Geschichtswerkes zusammenfiel mit dem Schluß der päpstlichen Herrschaft und dem Beginn der Aufrichtung des italienischen Königreichs. Denn der Geschichtschreiber Roms war während jener Jahre noch von dem Zauber der alten römischen Welt umwittert; er schuf unter der Wirkung dieses Eindrucks, was nach der Umwandlung der Stadt der Päpste in die moderne Hauptstadt Italiens kaum noch möglich gewesen wäre. Seine Arbeit besitzt daher, abgesehen von ihrem historischen Werth, die besondere Anziehungskraft der Darstellung eines Augenzeugen, und zwar eines Augenzeugen, der, bei aller Begeisterung für die wunderbare Größe der ewigen Stadt in ihrer den Wechsel der Zeiten abspiegelnden Gestalt, seine Aufgabe von vornherein als moderner Mensch gefaßt hatte, dem es lediglich zu thun war um die großen Gesichtspunkte und Interessen der Geschichte und Kultur der Menschheit. Selbst die päpstliche Presse konnte nicht umhin, seine Unparteilichkeit anzuerkennen, während die neue Gemeindevertretung des wiedergeborenen Roms auf ihre Kosten die Fortführung des Drucks der Uebersetzung seines Werkes ins Italienische verordnete und ihm selbst das römische Bürgerrecht verlieh.

Nicht weniger als vier Auflagen des achtbändigen Werkes sind seit dessen Vollendung im Jahre 1872 erschienen. Jetzt aber hat Gregorovius jener Hauptarbeit seines Lebens eine „Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter“ folgen lassen. Ehe wir auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_704.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)