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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

aufrichtig freuen und dasselbe bei Seiner Majestät aufs wärmste befürworten. Die Disciplin in dem betreffenden Bataillon ist ja eine so glänzende, daß es dort eines besonderen Beispiels von Strenge wahrlich nicht bedarf; thun Sie also, was Rechtens ist, und melden Sie mir sofort nach dem Kriegsgericht das Ergebniß.“

„Zu Befehl, Excellenz! Ich kann übrigens meinerseits schon jetzt versichern, daß ich die Ansicht Eurer Excellenz vollkommen theile; zufällig bin ich durch den Bataillonskommandeur des Gefreiten Dornbusch über den Fall schon unterrichtet und muß gestehen, daß mir das Schicksal des Angeklagten sehr am Herzen liegt. Er hat sich schwer vergangen, aber er that es, weil er die Ehre seiner Braut vertheidigen zu müssen glaubte; der Beweggrund war sicher ein anständiger, wenn auch das Mittel unbesonnen und verwerflich war …“

„Sehen Sie,“ fiel der General befriedigt ein, „wir sind einerlei Meinung. Ich habe die Braut dieses Mannes … Sie hörten wohl schon davon? … unter den Schutz meines Stabes gestellt; sie ist ein heldenmüthiges Mädchen und hat für ihren Geliebten gethan, was nicht jedes Mädchen in gleicher Lage thun würde. Ohne Führer, ohne Geldmittel, ohne Schutz und ohne jegliche Kenntniß des Weges ist sie Tag und Nacht, über Stock und Stein, mit Dransetzung der letzten Körper- und Seelenkraft dem Heere gefolgt, um mich aufzusuchen, bei dem sie in ihrer Einfalt für den Geliebten erfolgreiche Fürsprache glaubte einlegen zu können … Na, wir wollen nicht sentimental werden! Erst heißt es, die Pflicht thun, und wenn sie noch so schwer ist, dann erst darf man sich den Luxus des Gefühls gestatten. Gehen Sie, mein lieber Major! … es ist gleich Zehn“ – er hatte meine Hand ergriffen und drückte sie, eigenartig lächelnd – „ich sage mit dem Könige Philipp von Spanien: ‚Kardinal, ich habe das Meinige gethan – thun Sie das Ihre!‘“ –

Ich war entlassen. Daß er Marie Segner für den heutigen Vormittag das Verlassen ihrer Küche verboten hatte, damit sie die Vorführung ihres verhafteten Bräutigams nicht etwa zufällig sehen sollte, das hatte er mir nicht gesagt; ich erfuhr es aber später aus dem Gange der Ereignisse.

Das Personal des Kriegsgerichtes war vollzählig versammelt. Der Gefreite Dornbusch wurde vorgeführt. Der arme Kerl sah bemitleidenswerth aus. Nicht daß er etwa Furcht gezeigt hätte, im Gegentheil! Er hielt sich so kerzengerade und trug das Haupt so stolz im Nacken, als ob er das beste Gewissen von der Welt hätte; aber den Ausdruck seines Gesichtes vergesse ich mein Leben lang nicht. Seine hübschen dunklen Augen starrten trostlos ins Leere; er schien uns gar nicht zu bemerken; seine Mundwinkel waren herabgezogen, seine Nasenflügel etwas erweitert; tiefstes Seelenleid, heftigster Schmerz sprach aus jedem seiner Züge. Mit dumpfer Stimme, nur schwach und langsam sprechend, beantwortete er die Fragen, die an ihn gerichtet wurden; sein Vergehen suchte er nicht zu beschönigen, er gestand ohne weiteres ein, daß er die Absicht gehabt habe, den Verleumder seiner Braut niederschlagen; daß es der Vorgesetzte war, gegen den er die Hand erhob, daran habe er, durch den genossenen Champagner und den jählings auflodernden Zorn übermannt, gar nicht gedacht. Er wisse, daß er sein Leben verwirkt habe, und ohne zu klagen werde er sich in sein Geschick fügen; nur die eine Bitte spreche er aus, daß man ihn nicht zu lange auf die Vollstreckung des Urtheils warten lasse und daß man ihm gestatte, mit dem Kreuz auf der Brust zu sterben. Seiner Leiche möchte man das Kreuz abnehmen und es nach X an seine Braut senden – der arme Bursche ahnte also nicht, daß dieselbe ganz in seiner Nähe weilte.

Er war wieder abgeführt worden, und einstimmig erkannte das Kriegsgericht, wie es nicht anders konnte, auf Todesstrafe. Aber ebenso einstimmig beantragte es, die Gnade des obersten Kriegsherrn für den Verurtheilten anzurufen. Nachdem ich die Mitglieder des Gerichtes noch vorschriftsmäßig ermahnt hatte, über das gefällte Urtheil so lange zu schweigen, bis seine Bestätigung oder die beantragte Begnadigung veröffentlicht sein würde, entließ ich die Versammlung und begab mich zum Kommandirenden, um ihm den Spruch des Gerichts zu melden.

„An meiner dringenden Verwendung soll’s nicht fehlen,“ erwiderte der General lebhaft und unverkennbar sehr erfreut, „ich hoffe, wir bekommen ihn gänzlich frei; die lange Untersuchungshaft ist für ihn Strafe genug gewesen.“

Als ich mir auf der Dorfstraße wieder mein Pferd vorführen ließ, kam Dornbusch gerade bei mir vorüber, gefolgt von einem bewaffneten Unteroffizier, der ihn nach dem Bivouac seines Truppentheils zurückzubringen hatte. Er schritt jetzt leicht vornüber gebeugt einher; sein Blick suchte träumerisch den Boden. Das Leben lag wohl nach seiner Ausicht hinter ihm, und die letzten Stunden, die ihm noch blieben, mochte er zum stillen Gedenken an seine fernen Lieben verwenden wollen.

Da durchschnitt der gellende messerscharfe Ruf „Fritz!“ die Luft und aus dem Hause hinter mir stürzte ein Mädchen und schoß bei mir vorbei geradeswegs auf den Gefangenen los.

„Fritz! mein Fritz! da bin ich! Wenn Du sterben mußt, sterbe ich mit Dir! Sie sollen uns nicht mehr trennen, weder im Leben noch im Tode!“

Sie schlang die Arme um seinen Nacken und bedeckte sein Antlitz mit leidenschaftlichen Küssen.

„Marie!“ stammelte Dornbusch verwundert und beseligt, „wie kommst Du denn hierher? O, der liebe Gott ist doch barmherzig, daß er mir noch diese Freude gönnt. Nun sterbe ich gern!“ Und ungestüm erwiderte er die Liebkosungen seines Mädchens.

„Nein, Du sollst nicht sterben, und wenn ich bis zum Könige laufen und Dich losbitten soll! Und wenn’s bei den Menschen kein Erbarmen mehr giebt, dann sterbe ich mit Dir, so wahr ein Gott lebt! Fritz, ich verlasse Dich nicht mehr und theile Dein Schicksal, so oder so!“

„Nun ist’s aber genug, Jungfer!“ mahnte der Unteroffizier, der den Verhafteten zu bewachen hatte und sich in seiner Ueberraschung jetzt erst bewußt wurde, was er zu thun hatte. „Sagen Sie ihm Ade und dann fort! Wir müssen weiter.“

„Ich gehe mit,“ erklärte mit aller Bestimmtheit das Mädchen, „ich trenne mich nicht mehr von ihm!“

„Dummes Zeug!“ brummte der Unteroffizier, „das darf ich nicht gestatten. Ein Arretirter darf sich mit niemand unterhalten. Erschweren Sie mir nicht nutzlos mein Amt! Ich muß dringend bitten, daß Sie uns jetzt allein lassen.“

Er wollte den Verhafteten weiter führen, aber das Mädchen hing sich wie eine Klette an den Hals ihres Bräutigams und machte die Abführung desselben unmöglich. Als der Unteroffizier sie mit sanfter Gewalt bei Seite schieben wollte, klammerte sie sich nur um so fester an ihren Geliebten und schrie wie außer sich: „Morden Sie mich nur! Stechen Sie mich über den Haufen, mir ist’s recht! Aber lebend lasse ich mich nicht mehr von ihm trennen! So hilf mir doch, Fritz! Er will mich von Dir reißen! Du brauchst Dich nicht zu fürchten, wenn er auch Dein Vorgesetzter ist; jetzt ist doch alles eins. Sie haben Dich zum Tode verurtheilt; ich hab’s mit eigenen Ohren gehört, als ich unbemerkt unter dem Fenster horchte. O, sie sind alle falsch! Der General auch; er hatte mir gelobt, daß alles gut werden sollte, und heimtückisch wollte er mich verhindern, Dich wiederzusehen. Aber ich merkte seine Absicht und habe mich fortgeschlichen. Nein, nein!“ wandte sie sich gegen den Unteroffizier, „ich lasse ihn nicht, und wenn Sie mich mit ihm umbringen!“

Es hatte sich ein kleiner Auflauf in der Dorfstraße gebildet. Mehrere französische Bauern, die verständnißlos dem Vorgange zusahen und nur die Entschlossenheit und Unerschrockenheit des jungen Mädchens erkannten, lächelten belustigt und tauschten billige Witze miteinander aus.

Ich zog den Fuß, den ich schon in den Steigbügel gesetzt hatte, wieder zurück und trat der Gruppe näher.

„Thun Sie ihr nichts zu leide, Unteroffizier!“ mahnte ich theilnehmend. „Ich will sie im Guten wegzubringen suchen.“

Und ich redete sie bei ihrem Namen an und bat sie, vernünftig zu sein und mir zu glauben, wenn ich ihr fest verspräche, daß sie den Geliebten noch wiedersehen würde.

„Um Gotteswillen!“ rief der Unteroffizier, der schnell hinzugesprungen war und ihre Hand ergriffen hatte, „sie ersticht sich!“

In der That, es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte sich das spitze Küchenmesser, das sie unbemerkt aus ihrer Tasche gezogen haben mußte, in die Brust gestoßen.

Nun galt kein Zaudern mehr.

„Nehmen Sie ihr das Messer fort!“ kommandirte ich, „in Güte oder mit Gewalt! Sie ist von Sinnen!“

Der Unteroffizier brach ihr die Finger auf und bemächtigte sich trotz ihres heftigen Widerstandes des gefährlichen Werkzeuges.

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