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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

das zerbrochene Fenster klirrte in der Nacht; – als die erschreckten Diener auf die Straße herausliefen, sah man keinen Menschen weit und breit; – der Brief war an den Ort seiner Bestimmung gelangt.


16.

In dem Palazzo des Gouverneurs herrschte seit einigen Tagen ein ungewöhnlich reges Leben. Botschaften auf Botschaften liefen aus allen Theilen der Provinz ein; alle berichteten von dem immer drohender sich gestaltenden Zustand der Insel, von der unter der anscheinend unbewegten Oberfläche immer beunruhigender sich fortpflanzenden Gährung der Volksmassen, von den in Hunderten von kleinen, nur scheinbar bedeutungslosen Vorfällen bemerkbaren Anzeichen eines nahen Unwetters. Die bekannten Volksführer reisten in unablässiger Bewegung im Lande umher; aus den Klöstern meldete man eine geheimnißvolle, nach allen Richtungen hin sich verzweigende Thätigkeit; die Mönche aller Orden hatten augenscheinlich viel mit einander zu berathschlagen. Hier und da, in verborgenen Winkeln des tiefzerklüfteten Berglandes, fanden nächtliche Zusammenkünfte statt; bewaffnete Banden tauchten in der Nähe der Städte und Städtchen auf; einzelne Gendarmenposten wurden überfallen; königlich gesinnte reiche Grundbesitzer wurden gepfändet. Kamen jedoch die Truppen der Regierung zur Stelle, so waren die Banden verschwunden, so betheuerte groß und klein, hoch und niedrig mit seltsamer Einmüthigkeit und unter den allerheiligsten Schwüren, daß von Banditen, von Ueberfall, von Pfändung hier überhaupt nichts bekannt sei, daß keiner je etwas davon gehört oder gesehen habe, daß alles nur auf bösartiger Erfindung beruhe. Glaubte aber die Regierung einmal den Faden einer solchen Verschwörung in der Hand zu halten, so geschah, was soeben dem Gouverneur in höchsteigener Person begegnet war, als er den von Banditen gepfändeten Giuseppe Russo, den angeblichen Marchese della Rovere, und den Bankier Lerche, der in die Sache verwickelt sein sollte, zu sich beschieden hatte: von dem ersteren hatte er erfahren, daß er lediglich in geschäftlichen Angelegenheiten die Berge hinter Taormina bereist, daß er auch nicht einmal den Schatten eines Briganten angetroffen habe und daß er niemals bei Wasser und Brot in einer Felsenhöhle eingekerkert gewesen sei – von dem zweiten aber, daß das Geldgeschäft, an welchem er sich betheiligt hatte und welches angeblich den Loskauf des andern bezweckt haben sollte, weiter nichts als eine harmlose Hypothekentilgung gewesen sei – was auch der Biedermann durch schriftliche, in authentischer Form beglaubigte Urkunden und Unterschriften aufs schlagendste zu beweisen sich beeilte. Und als der Herzog von Montalto sodann von Antonino Merlo als dem Mörder des Verwalters anfangen wollte, da mußte er zu seinem nicht geringen Befremden aus dem Munde des angeblichen Marchese selber erfahren, daß dieser junge Mann an jenem Morde völlig unschuldig und daß der Mörder kein anderer sei, als – der „frühere“ Marchese selbst. – „Wer hätte es geglaubt,“ meinte in kläglichem Tone mit seiner Fistelstimme das kleine fadenscheinige Marcheschen, „wer hätte es geglaubt, daß in seinem Alter der Marchese … ich meine, der Filippo Ruggieri … noch Liebeshändel haben und sich in solch gewaltthätiger Weise an einem glücklicheren Nebenbuhler rächen würde!“

Wer es hätte glauben können? Keiner von den Dreien, die hier zusammenstanden, glaubte es ja; aber dem, der die unglaubliche Geschichte so unverfroren hererzählte, konnte ja keiner seine Lüge nachweisen!

„Ich beschwöre es vor der allergnädigsten Madonna!“ rief das kleine Männchen mit erhobenen Händen, als in den Gesichtsmuskeln des Herzogs sich ein gewisses nicht mißzuverstehendes Zucken zeigte; aber mit gemessener Würde und mit einer nahe an Verachtung grenzenden Höflichkeit unterbrach ihn der Gouverneur:

„Laßt die heilige Madonna aus Eurem Spiele. Es schwören heutzutage zu viel Leute!“

Und ohne sich weiter mit dieser Sache zu befassen, fügte er in geschäftsmäßig kühler Weise hinzu, der Gerichtshof in Palermo habe nun in der Prozeßangelegenheit entschieden, der Marchesetitel gehöre dem alten rechtmäßigen Marchese wieder an, die erkauften Güter könne er, Giuseppe Russo, behalten, und dies sei ja auch die Hauptsache für einen so praktischen und geschäftskundigen Mann wie er. Worauf der Herzog dem auf seinen Beinchen hin und her schwankenden und nach Luft schnappenden Marcheschen den Rücken drehte und sich mit dem Bankier Lerche in eine leise, augenscheinlich sehr wichtige Unterhaltung einließ.

„Sie kamen noch wegen einer andern Sache zu mir?“ sagte er, als der kleine Russo schlotternd und unter heftigen Protesten zur Thür hinaus gewankt war, „was ist es denn mit diesem schweizer Offizier, für den sich plötzlich so viele Menschen interessiren – ehrenwerthe Leute wie Sie, Herr Lerche – denn nur durch einen Zufall sind Sie ja in dieses Winkeladvokaten schmutzige Geschäfte verwickelt worden und Ihnen thue ich nicht den Schimpf an, Sie mit jenem Gesindel in einen Topf zu werfen. Aber auch noch andere Leute, meine ich … Kennen Sie diese Schrift?“

Er hielt ihm einen Wisch Papier hin, den man ihm gestern abend durchs Fenster hereingeworfen hatte und auf dem von ungeübter Hand schwer zu entziffernde Worte zusammengekritzelt standen.

Lerche überflog mit raschem Blinzeln das unförmliche Schreiben des Marchese.

„Diese Schrift kenne ich nicht,“ antwortete er, „aber der Schreiber wußte seinerseits auch, was ich gerade Eurer Excellenz mitzutheilen kam.“

Etwas ganz anderes freilich war es, was der schlaue Lerche wußte – denn der Abbate Scaglione hatte Geld gebraucht, um jenen jungen Mann zu gewinnen, der vor dem Altar des heiligen San Rocco so reuig um Vergebung seiner künftigen Sünden zu beten pflegte, und Lerche war keiner von denjenigen, die ihr Geld wegleihen, ohne sich vorher Gewißheit verschafft zu haben, wozu es gebraucht werde und wer die Zahlung gewährleiste. Was die Gräfin von Cellamare gegen den Offizier plante, hatte er erfahren, nachdem er vorher mit heiligem Schwure gelobt hatte, das Geheimniß für sich zu behalten.

„Wie wäre dem jungen Blut zu helfen?“ hatte er aber, nachdem sich der Abbate verabschiedet, zu sich selber gesagt; handelte es sich doch um einen Schweizer, spürte der alte Lerche doch in seinem deutschen Herzen so etwas von Sympathie für diesen Stammesbruder und hatte er sich doch als Lebensziel gesetzt, jene Sicilianer, die er von Grund aus verachtete und denen er, nur um sie besser zu betrügen, ihre Schlauheit abgelernt hatte, auf alle erlaubte und unerlaubte Art zu hintergehen und auszuplündern.

Wie eine Fügung der Vorsehung, an die er doch so wenig glaubte als an sicilianische Redlichkeit, kam ihm der schmierige Brief des Marchese. Seinen Schwur brauchte er nun ja nicht mehr zu brechen, nicht einmal um eines Härchens Breite davon abzuweichen – und sein Ziel war erreicht ohne sein Mitwirken.

„Ja, ja, Excellenz!“ setzte er hinzu. – „junges, verliebtes Blut! – wir waren ja auch jung – haben auch solche Thorheiten begangen! – muß abgeholfen werden. Wenn Excellenz den Offizier in der Citadelle behalten – streng einschließen – oder besser noch, mit dem nächsten Kriegsschiff nach Neapel schicken, er kann ja zum Major befördert werden, um die Pille zu versüßen! – dann ist geholfen – dann sitzt der blutgierige Bräutigam da – mit seinem sauberen Bräutchen, ha! ha! – und hat das Nachsehen! ha! ha!“

Die Schadenfreude, die ihn bei dem Gedanken befiel, daß jener ihm doch unbekannte Sicilianer so in seinem Vorhaben betrogen werden, und daß auch er, Lerche, dabei mitgeholfen haben würde, äußerte sich durch ein sonderbar meckerndes Lachen und Husten des alten Gesellen.

„Sie sind ein kluger Kopf, Herr Lerche, und was zu thun ist, haben Sie erkannt. Die Gräfin von Cellamare hatte sich schon vor einigen Tagen bei mir für diesen Offizier verwendet, – er ist wohl ihr Liebling, dieser junge Herr? – Es wird sie freuen, von mir zu vernehmen, wie ich die Gefahr beseitigen werde!

Auch der Herzog sprach in diesem Augenblick nur die Hälfte, und zwar die falsche Hälfte seiner Gedanken aus; denn daß Eckart im Herzen der Gräfin einen größeren Platz einnahm, als dem Gouverneur lieb war, das verhehlte sich dieser nicht, – und daß er, indem er den jugendlichen Nebenbuhler entfernte, sich selber viel mehr noch als der Gräfin einen Dienst zu erweisen gedachte, dessen war er sich im Grunde der Seele gar wohl bewußt! Als er eine Viertelstunde später bei der Gräfin erschien und ihr in bewegten Worten die Gefahr schilderte, in welcher ihr Günstling schwebte und die sie selber vorausgesehen hätte, da brachte es seine staatsmännische Kunst leicht fertig, jene Hintergedanken völlig ins Dunkel treten zu lassen, und sogar die

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