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Eine neue „Sucht“ ist wiederum in Sicht, die sich bald der Morphium- und Cocainsucht anreihen dürfte! „Hört! Hört! Ein neues Heilmittel, heilt Migräne, Kopfschmerzen, neuralgische Schmerzen, hebt die Nachwehen von übermäßigem Wein- und Biergenuß auf! Vertreibt Rheumatismen! Kauft Antipyrin!“ So ruft die Reklame, und das Antipyrin, das, vom sachverständigen Arzte im gegebenen Falle in entsprechender Dosis vorübergehend verordnet, treffliche Heilwirkungen zu erzielen vermag, wird als Hausmittel benutzt und neben Antifebrin und Phenacetin „wie Sodawasser und Brausepulver“ gegen Katzenjammer und Aufregung gebraucht. Auch dieser Mißbrauch wird sich rächen, und bald wird man auch von Heilanstalten für „Antipyrinismus“ hören. In Norwegen ist schon ein Verbot erlassen worden, wonach Antipyrin und Antifebrin nur auf ärztliche Verordnung abgegeben werden dürfen. Bei uns kann man es in „allen Apotheken“ kaufen.

Es giebt noch trefflichere neue Heilmittel, welche den an Schlaflosigkeit Leidenden den so peinlich vermißten Schlaf bringen. Man hat früher einmal von dem „unschädlichen und gefahrlosen“ Paraldehyd geschrieben; heute liegt uns ein amerikanischer Krankheitsbericht vor, die neue Krankheit nennt der betreffende Arzt „Paraldehydomanie“; eine Dame, die das Mittel fortgesetzt gebraucht hatte, war das Opfer derselben.

Doch genug der Beispiele! Wir könnten noch eine Reihe von Fällen anführen, in denen das Publikum werthlose neue Heilmittel erhält, die zwar nicht schaden, aber auch nichts nützen und nur dem Verkäufer Gewinn bringen. Die Wissenschaft hat längst deren Unzulänglichkeit erkannt, aber der Geschäftsmann weiß noch den ersten Glanz derselben auszubeuten.

Giebt es denn keine Mittel, diesen thatsächlichen Uebelständen abzuhelfen? Man rufe nicht gleich nach Gesetzen; unsere Behörden sind nicht müßig, aber sie können doch nicht vorausahnen, welche Droguen Amerika, Afrika, Asien und Australien uns in den nächsten Jahren schenken werden, oder was für neue Stoffe die Chemie erfinden wird; sie können nur das verbieten, was als schädlich erkannt worden ist, denn gesetzliche Verbote müssen auf Thatsachen begründet sein.

Das beste Mittel, diesen und ähnlichen Uebelständen abzuhelfen, bietet ein vernünftiges besonnenes Verhalten des Publikums. Es sollte durch den Schaden so vieler Opfer gewitzigt sein und den sogenannten „neuen Heilmitteln“ nicht über den Weg trauen; es sollte sich durch die Reklame nicht beirren lassen und Medizin, welcher Art sie auch sei, grundsätzlich nur auf ärztliche Verordnung einnehmen. Es nützt dem Laien nichts, wenn er, auf sein Halbwissen gestützt, die als schädlich bekannten Mixturen meidet, Cocain oder Antipyrin zurückweist, aber mit einer anderen „in“- oder „ol“- Substanz auf eigene Faust Versuche anstellt. Nur ein grundsätzliches Ablehnen aller durch Reklame angepriesenen „neuen Heilmittel“ oder Geheimmittel schützt ihn vor Gefahr die an Leib und Leben.




Blätter und Blüthen.

Leopold von Dessau und die Annaliese. (Zu dem Bilde S. 672 und 673.) Wer kennt ihn nicht, den „Alten Dessauer“, dessen Name ein halbes, an Kriegen und Schlachten überreiches Jahrhundert erfüllt, dessen Andenken der „Dessauer Marsch“ bis in unsere Tage herein lebendig erhält, der unter dem Großen Kurfürsten als blutjunger Regimentskommandeur seine Sporen verdiente und noch Friedrich dem Großen seine ersten Siege gewinnen half? Fast ebenso bekannt wie sein Schlachtenruhm ist seine heiße Liebe zu der Anna Luise Föse, der „Annaliese“ oder „dem lieben Wiesgen“, wie er sie selbst in seinen Briefen nennt. Sie war die schöne und reichbegabte Tochter eines Apothekers zu Dessau; von ihrem siebenten Jahre an war sie mit dem um ein Jahr älteren, 1676 geborenen Fürstensohne zusammen aufgewachsen und Leopold gleich von Anfang an der holden Gespielin überaus gewogen, die allein seine fast unbezähmbare Wildheit und seinen halsstarrigen Trotz zu bändigen vermochte. Mit den Jahren aber erwuchs aus dieser kindlichen Zuneigung eine wilde Leidenschaft, die das ganze Wesen des heißblütigen Jünglings beherrschte. Vergebens suchte die Mutter des Prinzen durch Trennung der Liebenden die Flamme zu ersticken, vergebens schickte sie den Sohn im November 1693 mit dem Marquis von Chalisac auf eine mehr als jahrelange Reise nach Italien, damit er in dem rauschenden Leben der dortigen Fürstenhöfe der heimischen Geliebten vergäße, es war alles umsonst – kaum nach Dessau zurückgekehrt, ritt er am Schloß und an der Ehrengarde vorüber vor das Haus der Geliebten, um dann erst im Schlosse seine Mutter zu begrüßen. Ein furchtbares Ereigniß belehrte diese endlich, welch elementare Gewalt der Leidenschaft sie sich im Kampfe gegenüber hatte. Unter den Mitteln und Mittelchen, die sie ergriff, um dem Sohne die unebenbürtige Heirath zu verleiden, war auch das, Leopold die Treue seiner Geliebten verdächtig zu machen. Ein junger Arzt, Verwandter der Anna Luise, war von weiten Reisen zurückgekehrt und bezeigte der schönen Base harmlose Aufmerksamkeit. Kaum hatte die Mutter bemerkt, daß die Eifersucht Leopold zu reizen begann, so wußte sie es zu veranstalten, daß er, zufällig am Hause des Apothekers vorübergehend, den jungen Mann mit Anna Luise in traulicher Stellung am Fenster stehen sah. Aber die Wirkung dieses Anblicks war eine ganz andere, als die kurzsichtige Mutter gehofft haben mochte. Von fürchterlicher Wuth erfaßt, stürzte Leopold in das Haus, drang mit gezogenem Degen auf den unglücklichen Arzt ein, erreichte den Fliehenden in einem entlegenen Gemache und stach ihn nieder.

Der Widerstand, den die fürstliche Familie der Heirath des Thronerben gegenüberstellte, war damit zu Ende. 1698, in demselben Jahre, in welchem Leopold I. die Regierung des Fürstenthums aus den Händen seiner Mutter, welche sie bis dahin vormundschaftlich geführt hatte, übernahm, führte er auch seine heißgeliebte Annaliese als seine Gemahlin heim, und 47 Jahre lang, bis zu ihrem Tode am 5. Februar 1745, lebte er mit ihr in der glücklichsten Ehe, die nicht bloß ihm selbst die spärlichen Friedensmonate verschönte, sondern auch dem Lande zum Segen gereichte. „Denn Anna Luise verstand es meisterhaft, auf die rauhe, zur Willkür geneigte Gemüthsart ihres Gemahls besänftigend einzuwirken, sie hatte inniges Verständniß für alle Verhältnisse des dessauischen Landes und seiner Bewohner, sie befleißigte sich, wenn sie während der oft lange dauernden Abwesenheit des Fürsten die Regentschaft führte, einer weisen Sparsamkeit, sie war eine treffliche Mutter ihrer Kinder und erwarb sich, selbst aus dem Volke hervorgegangen, in hohem Grade die Zuneigung und Liebe desselben, so daß ihr Andenken noch jetzt in Segen steht.“

Bald nach ihrer Verheirathung, im Jahre 1701, wurde sie vom Kaiser in den Reichsfürstenstand erhoben und damit für vollständig ebenbürtig, ihre Nachkommenschaft für erbfolgefähig erklärt.

Der Künstler hat uns den Augenblick dargestellt, wo der jugendliche Fürst nach der Rückkehr von seiner italienischen Reise Anna Luise vor dem Thore ihres Vaterhauses – es wird heute noch in Dessau dem Schlosse gegenüber gezeigt – begrüßt. Gesenkten Hauptes und niedergeschlagenen Blickes, in holder jungfräulicher Zurückhaltung steht sie vor dem Geliebten, während er ihr vom Rosse herab zärtlich das Kinn streichelt. In ehrerbietiger Haltung verharrt der Vater, in stiller Theilnahme schauen Mutter und Geschwister auf die rührende Gruppe; die Begleiter des Fürstensohnes aber blicken mit allen Zeichen der Unruhe und Sorge hinüber nach dem festlich bewimpelten Schlosse, von dem ein Hoffourier eilig gelaufen kommt, den in seiner Liebe sich vergessenden Prinzen zu holen. S.

Ein Bühnenhaus für klassische Opernwerke. In Salzburg, der Geburtsstadt Mozarts, besteht eine „Mozartgemeinde“ oder, wie sie sich mit ihrem offiziellen Namen benennt, die „Internationale Stiftung Mozarteum“, welche sich neben der Erhaltung der Mozartschen Erinnerungen in Salzburg die Pflege der Tonkunst im allgemeinen und diejenige Mozartscher Musik im besonderen zur Aufgabe gestellt hat und welche unter dem Schutze der Kronprinzessin-Witwe Stefanie steht. In Verfolgung ihrer schönen Ziele hat diese Mozartgemeinde nun den Plan gefaßt, in Salzburg ein großes Festspielhaus zu errichten, in welchem die klassischen Opern deutscher Meister, wie Beethovens, C. M. v. Webers u. a., insbesondere aber Mozarts zur Aufführung kommen sollen. Hervorragende Größen der musikalischen Welt, u. a. Hans Richter, Frau Rosa Papier, Th. Reichmann haben ihre Unterstützung zugesagt und es ist kein Zweifel, daß ein Gelingen des Werkes für die Verehrer Mozarts und einer edlen Tonkunst Tage hohen Genusses bringen wird. S.

Huzulenjäger. (Zu dem Bilde S. 677.) Wer je den Boden jener wildromantischen Bergwelt betreten hat, welche unter dem Namen „Karpaten“ Ungarn von Galizien scheidet, dem weht aus dem Bilde Kowalskis sofort jene rauhe und doch so köstlich erquickende Bergluft entgegen, welche das Leben unter den einfachsten Bedingungen, ja schon das Athmen zum Genusse macht.

Die Menschen zwar, welche uns des Malers Pinsel vor das Auge führt, haben selbst keine Ahnung von dieser Wunderwirkung ihrer Heimath auf den Fremdling, aber das verringert ihnen kaum den Genuß derselben. Die Gesundheit der Lunge, die unverwüstliche Ausdauer und Kraft des Leibes, die Schärfe der Sinne, Eigenschaften, welche sie mit ihren treuen vierfüßigen Gefährten, ihren Rossen und Hunden, theilen, lassen auch sie bei aller Armuth das Leben sonder Sorge und Kummer genießen, jeder Gefahr kühn ins Auge schauen.

Daß der Huzule diese Eigenschaften aber nur der stählenden Luft seiner Heimath verdankt, geht schon daraus hervor, daß derselbe keiner bevorzugten Rasse, sondern gleich anderen mit Sondernamen bezeichneten Karpatenbewohnern gemeinschaftlich dem großen Volksstamme der Ruthenen (auch Russinen, Rusniaken oder Kleinrussen genannt) angehört, welcher in der Stärke von etwa drei Millionen Seelen zu beiden Seiten der Karpaten bis in die Tiefebenen der angrenzenden Ländergebiete die fruchtbare Scholle bebaut, dort aber den Stammesgenossen in den Bergen so wenig gleicht wie sein Ackergaul oder Hofhund.

Es ist Spätherbst. Mit dem ersten Schnee ist für den Bergbewohner die Zeit gekommen, seinen und seiner Herden Todfeinden, den Wölfen, auf den Leib zu rücken.

Angethan mit einer Hose aus selbstverfertigtem Wollstoff, dem Leibrock aus gleichem Zeuge, die Lenden vom breiten Ledergurt – Messer, Schießbedarf und Tabaksblase enthaltend – umschlossen, die Füße mit wasserdichtem Ziegenhaarstoff und Opanken (Sandalen), den Kopf mit der Pelzmütze verwahrt, den Schafpelz um die Schultern geschlagen, ausgerüstet mit der alten, vom Vater auf den Sohn vererbten Flinte und dem unentbehrlichen „Nasenwärmer“ – einer kurzen Pfeife mit kaum fingerlangem Rohr – und begleitet von seinen treuen Hunden, so zieht der Huzulenjäger auf seinem Rosse wohlgemuth zum ernsten Weidwerk aus.[1]

Haben die Hunde die Witterung ihrer Gegner erfaßt oder ihre Spur entdeckt, dann wird des Jägers Muth und Umsicht zugleich auf die Probe gestellt. Denn auch die Wölfe haben ihre Kriegstaktik, und


  1. Die häufig vorkommende Meinung, daß der Huzule eben so oft Räuber wie Jäger sei, mag daher rühren, daß das schwer zugängliche Wohngebiet der Huzulen zu allen Zeiten von Bösewichtern aller Art als Asyl benützt wurde. Dem Schreiber dieser Zeilen wenigstens wurde, obgleich er monatelang in unmittelbarer Nachbarschaft der Huzulen lebte und deren rauhe Heimath nach allen Richtungen durchstreifte, nicht der geringste Beleg für obige Annahme bekannt.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_687.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)