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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Deutsche Städtebilder.

Posen.
Von C. Fontane.       Mit Federzeichnungen von C. Ludwig.

Der Dom.

Wie kommt Posen in die Reihe der deutschen Städtebilder? So werden viele verwundert fragen, wenn sie die Ueberschrift dieser Aufzeichnungen erblicken. Im Auslande und selbst im Süden und Westen des lieben Vaterlandes ist vielfach die Meinung vorherrschend, daß Posen nicht nur seinem Ursprunge nach eine polnische Stadt sei, sondern auch noch heutigen Tages in überwiegendem Maße den Charakter einer solchen sowohl in seiner äußeren Erscheinung wie in den Nationalitätsverhältnissen seiner Bevölkerung aufweise, daß man es nur seiner politischen Zugehörigkeit zum Deutschen Reiche halber allenfalls als „deutsche Stadt“ bezeichnen könne.

Nichts ist irriger als diese Anschauung, wie wir im nachfolgenden zeigen werden.

Die Stadt Posen, deren Einwohnerschaft sich nach der Zählung des Jahres 1885 auf 68 315 Seelen belief, läßt sich in drei ihrer äußeren Erscheinung nach grundverschiedene Theile zerlegen, deren Entstehung auch um Jahrhunderte auseinander liegt.

Auf dem rechten Ufer der Warthe liegt der älteste Stadttheil, dessen Ursprung sich in das Gebiet der Sage verliert. Dort, an der Stelle, wo das Flüßchen Cybina in die Warthe mündet, sollen drei slavische Brüder, Ruß, Tschech und Lech, welche der Strom der Völkerwanderungen getrennt hatte, zufällig wieder zusammengetroffen sein, und der Freudenruf „poznaje!“ (ich erkenne) hat nach der Sage den Anlaß zu Begründung einer Niederlassung gegeben, welche den Namen Poznań, woraus das deutsche Posen wurde, erhielt. Ruß zog weiter nach Osten, wo er das russische Reich gründete, Tschech wanderte mit seinen Anhängern nach Böhmen und wurde der Gründer des Tschechenreiches, während Lech an der Cybina blieb und als Stammvater der Lechiten das Polenreich begründete.

Soweit die Sage. Die Geschichte berichtet uns, daß Mieczyslaw I. aus dem Stamme der Piasten im Jahre 968, nachdem er kurz zuvor das Christenthum angenommen hatte, das Bisthum Posen errichtete. Mieczyslaw mußte den deutschen Kaiser Otto I. als Lehnsherrn anerkennen, und dieser unterstellte das neue Bisthum dem Erzbisthum Magdeburg.

Jener älteste Stadttheil, welcher sich im Osten auf dem rechten Wartheufer um den Dom herum gruppirt, zeigt vielfach noch den Charakter eines alten polnischen Landstädtchens. Kleine, ärmliche, zum Theil mit Schindeln gedeckte Häuser, mit den Giebeln an der Straße stehend, geben diesem Stadttheile ein Ansehen, welches zu demjenigen der beiden Stadttheile auf dem linken Wartheufer einen starken Gegensatz bildet. Hier lebt auch der größere Theil der polnischen Bevölkerung der Stadt, hier hat namentlich das rege Leben und Treiben bei den großen Festen der katholischen Kirche seinen Mittelpunkt.

Das hervorragendste Gebäude dieses östlichen Stadttheiles ist der Dom, der allerdings, wie unser Bild erkennen läßt, in seiner äußeren Erscheinung nichts Ueberwältigendes hat. Die alte Form der Kathedrale ist durch wiederholte Zerstörungen und Wiederherstellungen vollständig vernichtet worden. Der gegenwärtige Bau stammt aus dem Jahre 1775. Im Innern birgt das Gebäude jedoch bemerkenswerte Kunstschätze, so namentlich ein Standbild der Könige Mieczyslaw I. und Boleslaw Chrobry, deren Gebeine hier ruhen, nach einem Modell von Rauch in Erz gegossen, ferner verschiedene künstlerisch vollendete Grabdenkmäler und werthvolle Bilder.

Dem Dome gegenüber, auf unserem Bilde aber durch diesen verdeckt, liegt der bischöfliche Palast, ein äußerlich schmuckloses, im Innern aber schön und würdig ausgestattetes Gebäude. Während der Schwedenkriege arg verwüstet, wurde es im Jahre 1732 fast gänzlich neu aufgebaut. 77 Bischöfe und 6 Erzbischöfe haben hier der Reihe nach ihren Sitz gehabt; der letzte derselben, Erzbischof Dinder, ist zugleich der erste Deutsche auf dem erzbischöflichen Stuhle von Posen und Gnesen.

Dem ältesten Stadttheile rechts gegenüber breitet sich auf dem linken Ufer der Warthe die sogenannte Altstadt aus, der Kern der heutigen Stadt Posen. Dieser Theil, in der Niederung auf dem Westufer der Warthe errichtet, wurde gegen Ende des 13. Jahrhunderts durch deutsche Ansiedler als selbständige Stadt begründet und nach magdeburgischem Recht verwaltet. Der Führer der Ansiedler, ein gewisser Thomas aus Guben, war der erste Vogt des neu begründeten Gemeinwesens.

Das Nachod-Denkmal und die königliche Kommandantur.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_683.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)