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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Vielleicht hat er einen alten verlegenen Rest, neu kann er es so wenig beschaffen wie ich. Wegen eines Stückes können die Fabriken ihre großen Bestellungen nicht unterbrechen!“

„Aber wenn Heliotrop nun wieder Mode würde?“ frug die Mama. „Sie haben es mir doch früher selbst verkauft.“

„Es wird nicht wieder Mode, gnädige Frau, wenigstens in den nächsten Jahren nicht! Es war überhaupt doch eigentlich eine Verirrung des Geschmackes … Der Kunstsinn schreitet doch vorwärts. Bei den vortrefflichen Kunstschulen, die wir jetzt haben …!“

„Sehen Sie,“ sagte der Kaufmann zu mir, als die Damen von ihrem Vorsatz sich durch alle Rednerkünste nicht abbringen ließen und fortgingen, „sehen Sie, das sind die unangenehmsten, aber auch zum Glück die Kunden der feinen Welt, die am seltensten sind – nämlich die, welche wissen, was sie wollen. Ich kann nur Leute brauchen, die sich erst dann darüber klar werden, was sie bei mir gewollt haben, wenn der Portier die Thür hinter ihnen zumacht. Man kann nicht in allen Stoffen alle Farben auf Lager haben und jedem Querkopf besorgen, was er gerade will. Hätten wir keine feste Mode, so gingen wir schon an den Vorräthen, die wir haben müßten, sicher zu Grunde. In dem Heliotrop habe ich vor drei Jahren ein Bombengeschäft gemacht. Jetzt muß aber einmal Schluß werden. Es ist nicht gut, wenn eine Ware sich zu fest einbürgert; Wechsel, immer Wechsel ist unser Wahlspruch! Ich bin auch zu stark in Seide engagirt. Der Schulze hat aber, so viel ich weiß, noch einen ganzen Posten Heliotrop, der wird sich als gefälliger Mann aufspielen, wenn die Damen wirklich zu ihm gehen, um ihm den Ladenhüter abzunehmen! Ich bin nicht neidisch – mag er den Ruhm haben, in Alterthümern stärker zu sein als ich!“ So schloß er lachend.

„Aber reden Sie nirgends von dem, was Sie hier gehört haben, Herr Doktor, das bitte ich mir aus!“ rief er mir noch nach. – –

Diese Beobachtungen waren mir doch recht überraschend. Also selbst diejenigen Damen, welche unsere Zeitungsberichterstatter für die Sturmfahnen der Mode ausrufen, selbst diese sind so wenig schuld an dem, was da kommt!

Ist’s nun in Paris anders?

Gewiß nicht. Auch dort wählen die tonangebenden Schneider die Damen zu ihren Stoffen, während die Damen glauben, die Stoffe zu wählen. Die ganz feinen Schneider sind sogar sehr vorsichtig. Erstens arbeiten sie nicht für Damen, welche ihnen nicht empfohlen sind; es soll nicht jede Frau sagen können: ich habe ein Kleid von dem und dem großen Meister. Und zweitens lassen sie sich nicht viel in ihr Fach hineinreden. Sie fühlen sich als Künstler, die das Recht des Ichs haben. Die Frau ist der zu schmückende Gegenstand. Der Meister betrachtet sie von oben bis unten und entwirft seinen Plan. Da giebt’s nicht viel Widerrede, selbst nicht für sehr vornehme Kundinnen. Der Schneider vertheidigt in jedem Kleide seine Geschäftsehre. Er darf nicht aus Gefälligkeit Geschmacklosigkeiten begehen, die doch ihm zur Last fallen würden. Arbeiten in Paris und London und zum Theil auch schon in Berlin und Wien die feinsten Herrenschneider doch auch nicht für jedermann! Sie wollen nicht viele Anzüge fertigen, sondern jeden einzelnen recht gut und entsprechend theuer. Es liegt ihnen daran, daß ihre Kunden gut gekleidet sind und daß sie somit an Zahlkraft, nicht an Zahl wachsen. In noch höherem Grade ist das bei den Frauenschneidern der Fall. Auch sie sind in den großen Städten nicht jene bescheidenen Gestalten, mit welchen die Frauen der mittleren deutschen Kreise zumeist noch zu thun haben: jene schneidernden Mädchen, die von Haus zu Haus gehen, jene kleinen Meister, die neben ihren Gesellen in Hemdsärmeln auf dem Tisch am Fenster sitzen. Auch bei uns haben die großen Geschäftsleute schon vielfach das Feld erobert, welchen der einzelne Kunde nur ein Bruchtheil der Kundschaft ist, den er in seinem Sinne ausbeutet. Die Mode ist von diesen Leuten längst fertig beschlossen, „kreirt“, ehe selbst eine von ihren „Königinnen“ weiß, was sie bringen wird. Es ist die verfassungstreueste Regierung der Welt, welche diese Damen führen: die Politiker der Mode kämpfen, riugen, beschließen, setzen durch – den Damen wird der fertige Beschluß zur Verkündigung übergeben, und die Menge jubelt ihnen zu als den Förderern des Geschmacks. Dem Könige die Ehre, den Ministern die Arbeit!




Ein deutsches Mädchen auf dem Kriegspfade.

Von Dagobert von Gerhardt (Amyntor).

Ja, meine Herren, – sagte der verabschiedete alte Oberst – Sie werden mir recht geben, denn Sie haben ja auch alle Pulver gerochen – der Krieg versetzt uns oft in die merkwürdigsten Lagen und schafft Verhältnisse, die keiner von den Romanschreibern jemals erfinden könnte. So erinnere ich mich an eine Geschichte, die mein kommandirender General von seinem Kutscher, den er unmittelbar nach dem französischen Kriege angenommen hatte, zu erzählen wußte … ich will Ihnen diese Geschichte wieder erzählen, zumal ich selbst, wenn auch nur als Nebenperson, in derselben vorkomme.

Also, es war in der zweiten Augustwoche des großen Jahres 1870, als auf dem Vormarsche gegen Metz eine Kompagnie Infanterie in ein eben erst von seinem Besitzer verlassenes Gehöft gerathen war. Der Gefreite Friedrich Dornbusch, ein geborener Rheinländer, der aus einem kleinen Neste seiner Heimath, wo er in einem Fuhrgeschäft als Kutscher gedient hatte, wieder zur Fahne einberufen war, hatte in einem Stalle dieses Gehöftes eine hinter verrottetem Stroh und Heu versteckte Holzkiste gefunden.

„Donnerwetter, Jesaias!“ rief er einem Unteroffizier zu, der seine Nase zur Stallthür hereinschob, „hier hat ein Franzose seine Schätze verborgen!“

Der Unteroffizier, der die nicht gerade dienstmäßige Anrede zu überhören schien, trat ungläubig lächelnd näher. Er hieß Jesaias Schellbaum, war seines Zeichens Tischler und seiner Sprache nach unverkennbar ein Schlesier. Auch er war eine Zeit lang in jenem rheinischen Neste, wo Dornbusch seinen Lebensunterhalt fand, thätig gewesen; er war dort mit dem großen und ungewöhnlich starken Kutscher näher bekannt geworden und beide hatten sich bald nur noch mit ihren Vornamen angeredet. So wurde es denn jetzt dem Gefreiten Dornbusch herzlich sauer, zu dem allzeit muntern und etwas prahlerischen Jesaias „Herr Unteroffizier!“ zu sagen, und auch Jesaias mußte sich immer erst seiner Tressen und seiner durch dieselben bedingten Würde bewußt werden, um seinen früheren Bekannten nicht wie sonst mit dem gemüthlichen „Fritze!“, sondern mit einem gemessenen „Gefreiter Dornbusch!“ anzureden.

„Da wird auch nichts Besonderes drin stecken, Fritze! Wart’ a bissel, mer wullen sie aufmachen! Wozu bin ich denn Tischler?“

Schon hatte der Unteroffizier sein Seitengewehr gezogen und schob die Klinge zwischen Kiste und Deckel. Mit einigen ruckartigen Armbewegungen sprengte er den Deckel ab, so daß die verbogenen Drahtstifte aus demselben herausstarrten; dann griff er mit kühner Hand in das Stroh, das in der Kiste sichtbar geworden war. Auch Friedrich Dornbuschs kräftige Rechte wühlte prüfend in den Halmen, und bald zog sie eine in buntes Seidenpapier gehüllte, dickleibige Flasche hervor.

„Hurrah, Champagner! Den können wir brauchen, Jesaias! … eins, zwei, drei … sechs Flaschen in einer Reihe …“

„Und zwei Reihen sind es,“ fiel der Unteroffizier ein, der immer tiefer wühlte, „das macht nach Adam Riese zwölf Butteln. Weißt Du was, Fritze? Die kneipen mer zwei beide ganz allein aus.“

„Du, das sollte uns verflucht sauer werden! Dieser französische Champagner hat den Teufel im Leibe – ich kenne ihn; habe ihn einmal bei einer Hochzeit verkostet, wo mir der Lohndiener eine Buttel heimlich auf den Wagen heraufreichte … Himmeldonnerwetter! ich weiß heute noch nicht, wie ich damals mit meiner Karre nach Hause gekommen bin! Nein, nein, keine Dummheiten! Weißt Du? diese vier Pullen bringen wir unserm Hauptmann …“

„Und diese vier unsern Lieutenants!“ stimmte Jesaias sofort bei, „die letzten vier aber – straf’ mich Gott! – stechen mer allein aus; warum hat uns dieses französische Narrenvolk aus unserer Ruhe aufgestört? Strafe muß sein!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_678.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)