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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Väter, Gatten, Bräutigame und Brüder gebeten, gespöttelt, gezürnt, als die Tournüre, diese Erfindung fremder Völker, bei uns im starken einigen Deutschland Nachahmung fand: die Frauen haben uns nicht gehorcht! Die Mode ging stolz lächelnd ihren Weg und stieß die Widerstrebenden mit übermüthiger Bewegung in jenen Winkel, in dem die Querköpfe sitzen.

Und nun, nachdem wir uns an seinen Anblick gewöhnt haben, nun fällt der Höcker auf einmal wieder fort und wir müssen uns mit den natürlichsten Verhältnissen begnügen. Und zwar nicht, weil unseren Frauen ihre alte Mode als häßlich erschien – Gott bewahre, weitaus die Mehrzahl legt mit Bedauern jenes kleine Stahlpolster fort, das ihnen bisher die „Haltung“ gab, – sondern nur, weil man in London oder Paris oder sonstwo befohlen hat: von nun an ist wieder „glatt“ Mode!

Unser Flehen und Zürnen, unser Anrufen der Vaterlandsliebe wie der Aesthetik, unser väterlicher oder eheherrlicher Befehl – sie helfen alle nichts. Aber jener unbekannte Jemand, dem gehorchen alle, selbst die tugendhaftesten Frauen und selbst zu innerlich mißbilligtem Beginnen.

Man möchte am Verstande der Welt verzweifeln. Alle Schwertschläge des Geistes erwiesen sich den Modeverirrungen gegenüber als wirkungslos. Die Strafgesetze des Mittelalters erschöpften sich darin, die Kleidertrachten zu regeln, die Ausschreitungen mit strenger Pön zu belegen, die Stände auf ein vernünftiges Maß des Prunkes zurückzuführen – alles vergeblich! Die großen Bußprediger zogen durch das Land, um durch Androhung himmlischer Strafen die langen Aermel der Kleider, welche den Boden streiften, oder die langen Schnabelschuhe, oder ein andermal die unziemliche Enge des Gewandes zu verbieten. Ihre Erfolge hatten nie Dauer. Die protestantische Geistlichkeit eiferte gegen die Stoffverschwendung des 16. und 17. Jahrhunderts, gegen die Faltenröcke und Pluderhosen, sie malte den Hosenteufel mit der finstersten Einbildungskraft – der Erfolg blieb aus!

Und als dann endlich, nach den Freiheitskriegen, unter der Macht des nationalen Gedankens, dem sich jener des romantischen „altdeutschen“ Wesens beifügte, eine deutsche Tracht erfunden wurde, so hatte auch diese nur kurzen Bestand bei einigen Schwärmern, sonst aber kein Ergebniß zu verzeichnen, als – daß es jetzt auf der Bühne ein festes, durchaus unhistorisches Gretchenkostüm giebt!

Und alle jene neueren Klagen, was haben sie genützt? Hat die Krinoline, haben die Volants und Festons der sechziger Jahre vor der vernichtenden Kritik der Ehemänner weichen müssen? Gewiß nicht! Die Mode brachte sie, die Mode nahm sie wieder mit fort. Hat die Ueberfülle falschen Haares, welche die Zeit des Chignons auf den Kopf der Frauen häufte, sich entfernt, weil man Abscheu vor dem Schopf fremder unbekannter Menschen, vor den ansteckenden Krankheiten bekam, die aus ihm entsprangen? Gewiß ebensowenig! Kommt morgen eine Mode, die mit eigenem Haar undurchführbar ist, so wuchert wieder die Zeit der falschen Strähnen ebenso, wie vor einigen Jahren viele junge Mädchen nicht abzuhalten waren, sich selbst ihres schönsten Schmuckes durch kecken Scheerenschnitt zu berauben. Die Mode ist der einzige Sieger über die Mode. Da hat die Erwägung, die Gesundheitslehre, der Schönheitssinn nichts mitzureden.

Die Mode will es so und so! Der Befehl ist da, der Ungehorsam mit dem Gelächter aller bedroht – wer wagt es, sich offen zu widersetzen?

Und doch setze ich die Feder wieder an zu einer Klage über die Mode. Nicht gerade über die, welche heute und morgen kommt, sondern darüber, daß wir so gar machtlos ihr gegenüber sind. Mir will scheinen, als wenn sich dies doch ändern ließe, als wenn bisher die Aufmerksamkeit nicht an die rechte Stelle gerichtet gewesen wäre.

Es kommt, wenn ein Haus brennt, nicht bloß darauf an, daß die Spritzen im Gang sind, sondern auch darauf, wohin man spritzt. Der Feuerwehrmann weiß, daß Bäche von Wasser der lodernden Flamme selbst wenig schaden, während gegen den brennenden Balken gerichtet, schwache Strahlen zu löschen vermögen. Man soll den Ursprung des Uebels, nicht die Folgen allein bekämpfen.

Nun bin ich der unhöflichen Ansicht, daß unsere Frauen herzlich schuldlos an ihren Modethorheiten sind, daß sie an ihnen so gut wie keinen thätlichen Antheil haben und daß jene, welche sich für Führerinnen der Mode halten, erst recht nur die Geführten sind.

Denn wie entsteht eine Mode? Glaubt man den Zeitungen, so wird sie in Paris von einer eleganten Dame „kreirt“. Die Sache ist sehr einfach: die Rennen in Longchamps sind angesagt. Es ist Frühlingsanfang. Ganz Paris ist gespannt, was es Neues geben werde. Man weiß, heute ist die große Entscheidungsschlacht der Moden. Man muß Paris an solchem Tage einmal gesehen haben. Der Wagenverkehr an einzelnen Theilen von London ist zu gewissen Stunden ungleich größer, in Rottenrow im Hydepark sieht man mehr und schönere Reiterinnen als auf der Avenue d’Etoile – aber nirgends ist der anmuthige Kampf um den Siegespreis der Eleganz so lebhaft. Die vornehmen Engländerinnen treiben gemeinsam eine Mode bis zu einem gewissen Grade, sie tragen sich sehr ähnlich, haben die Absicht, durch den erst dem aufmerksamen Beobachter bemerkbaren Werth ihrer Kleider an Stoff, Schnitt, Arbeit vornehm zu erscheinen. Die Französin trägt die Kleider im Hinblick auf sich, sie will gefallen und an solchen Tagen auffallen; jede Frau, welche in sich das Geschick empfindet, Neues schaffen zu können, sucht ihr Bestes zu geben. Zu Tausenden fahren die Bewerberinnen im Wettkampf der Eigenartigkeit durch die glänzenden Straßen, welche man in Paris die „Elyseischen Gefilde“ nennt. Welche wird die Siegerin sein? Es bedarf kräftiger Mittel, um aus der Menge heraus aufzufallen. Eines der stärksten ist, anders sich zu kleiden, als die Mode gebietet, ohne unmodern zu sein. Neues muß erfunden werden, das Ausschweifendste wird gewagt. Es sind ja Frauen genug in jener endlosen Wagenreihe, die im Wagniß nichts mehr zu verlieren haben, andere, die der brennende Ehrgeiz verlockt, es jenen gleich zu thun auf die Gefahr hin, für schlechter zu gelten, als sie sind.

Noch streiten sich die Parteien auf den bis Mitternacht überfüllten Boulevards, welche Mode vorgeherrscht habe. Da bringen die Blätter Kunde über die einzelnen Kleider. Ihre Berichterstatter haben wahre Luchsaugen und eine erstaunliche Kenntniß der Sprachweise der Modeblätter. Ein Blick in den vorüberfahrenden Wagen, und sie haben erkannt, wie Madame de A. vom Wirbel bis zur Zehe gekleidet war, und wie die Marquise de B. die „Tunique“ drapiert hatte, auf der sie saß; laut wird die Bewunderung für die neuen Stoffe verkündet, so laut, daß allen Pariserinnen das Herz vor Sehnsucht nach diesen Herrlichkeiten schwillt, und so entschieden, daß der Eingeweihte bald erkennt, welche Feder von den schönen Frauen selbst und welche von den großen Schneidern beeinflußt ist, die in zweiter Linie den Kampf der Eleganz an diesem Tage bestehen.

Und wenn die Frauen dann in die Geschäfte eilen, zu Hunderten, zu Tausenden, wenn die Provinz, wenn das Ausland ihnen folgt, wenn auf einmal endlose Mengen einer bisher wenig gangbaren Stoffart aller Orten gefordert werden – wunderbar, höchst wunderbar! – dann sind auch gerade von diesen Stoffen, welche die Führerinnen der Mode „kreirten“, gewaltige Vorräthe vorhanden. Man hört kaum etwas von einer ungewöhnlichen Preissteigerung in den so heftig begehrten Dingen und man hört ebensowenig, daß die Mode zufällig auf Dinge verfalle, von denen keine Vorräthe vorhanden sind; daß eine Mode nicht habe allgemein werden können, weil die ihr eigenthümlichen Stoffe nicht auf dem Markte gewesen seien. Und dann kommen die großen Verkaufstage der Magazine, in welchen diese ihre Neuheiten vorlegen. Diese mächtigen Bazare sammeln ihre Anziehungskraft auf die entscheidenden Tage. Die Reklame, die Neugierde der Frauen nach den an solchen Tagen neu ausgelegten Waren, die Bewegung auf dem ganzen Markte hat vorbereitend für den Erfolg gewirkt; dann strömt die sehens- und kauflustige Menge durch die Stockwerke des endlosen Geschäftshauses, Tausende von Verkäufern, Ladenmädchen, allzeit hilfsbereiten Dienern keuchen unter den Lasten von Aufträgen, Hunderte von Geschäftswagen führen die neuen Muster in alle Theile der Stadt, und wenn tief in der Nacht der Hauptkassirer das Buch schließt, verzeichnet er wohl den Umsatz von einer Million Franken! Die Mode hat sich der neuen Stoffe bemächtigt!

Es giebt also Menschen, welche ein Ahnungsvermögen dafür haben, welche Mode etwa im nächsten Jahre kommen werde, die dementsprechend Stoffe kaufen, ja es giebt Menschen, welche für eine kommende Mode schon Stoffe anfertigen?! Und wenn man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_675.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)