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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

oben bei den Ruinen des Klosters Fra Serafino, der emsig bemüht war, die Kirche von dem Schutt und Schlamm zu reinigen.

Freundlich winkte das Mönchlein ihnen zu. Felicita aber fühlte, wie ihre Augen sich mit Thränen füllten, und sie getraute sich nicht, ihren Blick nach der Kirche zu erheben, und eine warme Wallung von Liebesschmerz und Liebeslust und nimmer zu bewältigender Liebessehnsucht durchströmte ihr hoffnungslos klagendes Herz.

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Während Romeos Wagen in die Straßen der Stadt einbog, ertönte klingender Hufschlag zwischen dem Gemäuer, das sich zu Felicitas Häuschen hinaufzog.

„Wohin des Wegs, Herr Hauptmann?“ rief Fra Serafinos Stimme dem Reiter nach. – „Das Haus ist leer! Mit seiner Tochter, die Ihr gestern errettet habt, ist Romeo vorhin zur Stadt gefahren!“

Romeo? Was war dies für ein Name? Eckart zog den Zügel straff an.

„Romeo? Von wem sprichst Du?“

„Ei! Romeo! Der Volksanführer,“ erwiderte mit gutmüthigem Lächeln der Bruder, indem er dem Reiter die Hand zum Gruße bot.

Starr schaute ihn dieser an.

„Und Felicita wäre die Tochter …?“

„Ja! wußtet Ihr’s nicht? Die Tochter des Romeo habt Ihr gestern …“

Das Wort erstarb dem armen Bruder auf der Zunge. Was war es denn, das diesen Offizier so seltsam dabei bewegte? Leichenblässe hatte sein Gesicht bedeckt; seine Lippen bewegten sich wie zum Sprechen, aber kein Laut entrang sich seiner Brust; – und ohne zu antworten, ohne dem Mönche ein Lebewohl zuzurufen, drehte er sein Roß um – und gesenkten Hauptes, die Hände schlaff auf dem Sattelknopf, so ritt er heimwärts das Thal hinab.


14.

Am südlichen Ende der Stadt liegt, abseits von der Straße, unter Oelbäumen verborgen, ein von Kaktus und Agaven wilddurchwachsenes Gemäuer, ein alter Normannenthurm, der vor langen Jahrhunderten als Lugaus gegen die sarazenischen Seeräuber errichtet worden, jetzt aber nur noch ein zweckloses, verwittertes und zerfallenes Mauerwerk war. Zwischen den stachlichten Kaktushecken windet sich ein schmaler Pfad ins Innere – ein Pfad für Füchse und wilde Katzen, denn was hätte wohl ein menschliches Wesen in jenen einsturzdrohenden Gewölben zu suchen?

Wer jedoch an diesem Abend die Umfassungsmauer erklettert hätte, der wäre vor dem Kaktuszaun auf einen im Grase liegenden Krüppel gestoßen, der dort zu schlafen schien, – der aber seine Augen und Ohren offen hielt und an ganz anderes dachte als an das Schlafen; wie der getreueste Hund hielt er vor diesem geheimen Eingang Wache. Drinnen aber, nur vom Mondlicht, das durch eine Mauerritze drang, beleuchtet, saßen mehrere Männer in ernster flüsternder Unterredung.

„Die Gelegenheit ist günstig,“ sagte halblaut der eine; „Salvatore hat recht! Wie ein Mann wird das Volk sich erheben, erfährt es, daß ein Schweizer sich an der Ehre eines sicilischen Mädchens vergriffen hat! Und auf die Neapolitaner wälzen wir alle Schuld!“

„Von wem hast Du’s erfahren, Vater? Bist Du Deiner Sache sicher? Ich muß es wissen, denn mir galt der Schimpf – und mein ist die Rache!“

„Antonino,“ antwortete Salvatore, „ich weiß, was ich sage: der mir’s vertraute, ist der Abbate Scaglione, der selber Zeuge war. – Der Erzbischof hatte ihn, Gott weiß um welcher Sünde willen, in die Badiazza verwiesen; er sprach mit dem Schweizer heute morgen, als dieser das Haus verließ.“

„Donner und Hölle! Fluch über die Weiber! Eine blutige Sonne soll über Messina aufgehen!“

„Der Rache des beleidigten Bräutigams sind beide verfallen,“ fiel ihm ein anderer ins Wort, – „für uns aber soll Deine Rache die Stunde unserer Erlösung sein! Sprich, Salvatore! Wann soll diese Stunde schlagen? Was soll das Zeichen sein?“

„Hört!“ sprach Salvatore, indem er sich näher zu ihnen hinbeugte. „Die Freunde sollen sich bereit halten zum letzten Tage des Karnevals; die Glocken des Aschermittwochs werden wie ehemals die Vesperglocken das sicilische Volk zu den Waffen rufen. In der letzten Faschingsnacht versammelt die Gräfin von Cellamare alle Neapolitaner und Schweizer zu einem Feste in ihrem Palast; was dort geschehen soll, wird geschehen! Von dort geht das Zeichen aus! – Hört mich an und merkt auf meine Worte: nach altem Brauch wird in der Mitternachtsstunde der todte Karneval auf einer Bahre durch die Straßen getragen und der Strohmann feierlich ins Meer versenkt. – Trägt der Strohmann die schweizerische Uniform, so soll dies das Zeichen sein, so soll am andern Morgen das bewaffnete Volk aufstehen! – Trägt aber der Strohmann einen andern Rock, so ist Verrath im Hause, so ist die Stunde verfrüht, so versammeln sich die Führer hier, so warten wir eine günstigere Gelegenheit ab.“

„Weiß Romeo davon?“ fragte Antonino.

Salvatore zuckte die Achseln.

„Laßt Romeo aus dem Spiel! Kommt’s zum Kampf, so steht er in erster Reihe – mit mir; aber jetzt …“

„Weiß er nichts von Felicita?“

„Heute abend kehrte er mit ihr in sein Haus nach Messina zurück; er suchte mich auf, traf mich jedoch nicht; mehr weiß ich nicht von ihm.“

Er war aufgestanden.

„Antonino!“ sagte er, dem Sohne die Hand reichend, „Du bleibst wohl hier im Versteck?“

Antonino lachte hell auf.

„Ich könnte mich schon in den Straßen Messinas zeigen – Vorsicht ist aber besser – unter diesem Gewande wird keiner Deinen Sohn vermuthen.“

Lachend zog er ein langes, weißes Kapuzenhemd über Kopf und Schultern, wie es die Mitglieder der büßenden Brüderschaften an den Kirchenfesten zu tragen pflegen.

„In diesem Anzug,“ fügte er grimmig lachend hinzu, „werde ich meinen Freunden helfen, den Karneval zu begraben! In diesem Anzug gehe ich heute noch zur Stadt! Ihr berathet über des Volkes Rache – laßt mich über die meinige berathen!“

Lautlos trennten sich die düstern Gesellen.

„Du kannst gehen!“ raunte Salvatore dem wachehaltenden Krüppel zu; „morgen zur selben Stunde bist Du wieder hier!“

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In den oberen Straßen der Stadt wogte ein lustiges Faschingstreiben. Die Schenken waren dicht besetzt von einer lärmenden, schmausenden Menge. Ein weißer Kapuzenmann – war es eine Maske? war es ein büßender Bruder? – blieb an der Thür einer Wirthschaft stehen. Sein Blick heftete sich auf eine Gruppe, die plaudernd in einer Ecke saß. Er warf einem jungen Mann einen flüchtigen Wink zu. Dieser erhob sich und trat zu ihm auf die Straße.

„Was führt Dich nach Messina, Antonino?“ fragte der Unbekannte, indem sie beide langsam durch die schwach erhellte Straße weiter gingen.

„Ich brauche Dich und Deine Freunde; führe mich in Dein Haus!“

Sie traten ein.

„Habt Ihr Männer?“ fragte Antonino, als die Thür verschlossen war.

„So viel Du brauchst!“

„Es muß bald geschehen … und sicher getroffen werden!“

„Um was handelt es sich? und um wen?“

„Ein schweizer Offizier hat meine Braut verführt …“

„Felicita?“

„Felicita! Er muß sterben. Ich selber will die Männer anführen. Wie viel fordert Ihr?“

„Wie ist sein Name?“

„Eckart von Hattwyl.“

Der andere stutzte. Ein Lächeln hob die gekräuselten Spitzen seines Schnurrbartes in die Höhe.

„Der Hauptmann von Hattwyl scheint viele Feinde zu haben.“

„Verfolgt ihn noch ein anderer?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_671.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)