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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Untersuchung des entnommenen Mageninhaltes könne eine sicher gültige Diagnose herbeiführen.

Mit der chemischen Untersuchung des Ausgeheberten beginnt nun für den Arzt die Hauptaufgabe. Das Ganze wird vervollständigt durch die Vornahme eines künstlichen Verdauungsversuches.

Zunächst ein Wort über die chemische Untersuchung.

Nachdem man den Mageninhalt filtrirt hat, versäumt man nicht, den auf dem Filtrum zurückbleibenden Speisebrei genau zu beaugenscheinigen. Schon daraus lassen sich wichtige Schlüsse ziehen; man sieht, wie der Magen verdaut, was der Magen erträgt, das heißt, was gelöst und verschwunden ist, und was er nicht erträgt, das heißt, was noch sichtbar und nicht verdaut ist. In mehreren sogenannten Reagensgläschen, wie sie in chemischen Laboratorien gebräuchlich sind, prüft man das Verhalten des Mageninhaltes gegen verschiedene Farbstoffe und sieht an den Veränderungen, die diese Farben erleiden, ob die normalen Bestandtheile im Magensaft vorhanden sind oder nicht, ob und welche fremden Bestandtheile, z. B. Milchsäure, Buttersäure und dergleichen, in größerer Menge gefunden werden. Der Vollständigkeit wegen sollte ich eigentlich dem Leser alles vorführen, ihm zeigen, wie dieser Farbstoff granatroth, jener hellblau etc. wird, allein ich glaube mich dieser Aufgabe entschlagen zu dürfen. Vieles und doch ungenügendes Wissen macht Kopfweh! Vor allem ist die Salzsäure die eigentliche Verdauungssäure, deren Anwesenheit und Gewichtsmenge zu bestimmen sind. Wo Salzsäure ist, fehlt das Verdauungsferment Pepsin nie. Der normale Salzsäuregehalt des Magensaftes beträgt 0,15 bis 0,2 Prozent. Es kommen aber nicht selten Vermehrungen der Salzsäuremengen vor bis 0,5 und 0,6 Prozent. Man glaubte früher viel häufiger an ein Fehlen oder eine Verminderung der Salzsäure. Dieser Irrthum führte zur Verordnung von Salzsäure, wodurch jedoch der Zustand des Kranken meistens verschlechtert wurde. Das genaue Studium der Störungen der Magenthätigkeit hat gelehrt, daß viel häufiger ein zu großer Reichthum von Salzsäure krankhafte Erscheinungen veranlaßt. Diese Säure zu geben, ist der Arzt eigentlich nur berechtigt, wenn durch falsche Gährungen und Zersetzungen im Magen organische Säuren (Essig-, Milch-, Buttersäure) erzeugt werden.

Nun folgt der künstliche Verdauungsversuch. Diesen wichtigen, letzten Theil seiner Arbeit verrichtet der Arzt, indem er die Löslichkeit von geronnenem Hühnereiweiß im Mageninhalt innerhalb eines geschlossenen, auf Blutwärme erhitzten Raumes prüft. Zu diesem Zweck setzt er zu einer kleinen Menge filtrirten Mageninhaltes eine Scheibe beim Sieden geronnenen Hühnereiweißes von bestimmter Größe und Dicke in ein Reagensglas und dieses selbst in einen in der Chemie viel gebrauchten sogenannten Brütofen. Ein solcher stellt sich dar als ein längliches, rechteckiges, aus Kupferblech gefertigtes Kästchen, das innen mit einem Gestell für die Reagensgläschen ausgestattet ist und auf dessen oberer Platte ein Thermometer und ein Thermostat in zweckentsprechender Weise befestigt sind. Letzteres Instrument dient dazu, ein zu starkes Zuströmen von Gas zu der unter dem Kasten brennenden Lampe zu verhindern und auf diese Weise die Temperatur im Brütofen gleichmäßig auf etwa + 37° C., das heißt auf Blutwärme, zu erhalten. Wenn der Magensaft auf diese Weise innerhalb einer gewissen Zeit bei etwa + 37° C. die Eiweißscheibchen auflöst, so haben wir das Recht, anzunehmen, daß der betreffende Magen, aus welchem der Saft stammt, gute Verdauungskraft besitzt. Bei einem zu großen Reichthum des Magensaftes an Salzsäure findet dagegen eine zu rasche Lösung oder Verdauung statt. Löst sich aber die Eiweißscheibe nicht, ist sie nach Stunden oder Tagen unverdaut, so haben wir das Recht, aus dieser mangelhaften Verdauung auf ein schweres Leiden, zunächst auf Krebs zu schließen, trotz aller begründeter und unbegründeter Erörterungen, denen dieses Thema schon unterworfen worden ist.

Die chemische Untersuchung des Mageninhaltes, an die sich die mit dem Mikroskop oft anschließen muß, vorzunehmen, ist also immer da angezeigt, wo man den Ursprung einer Verdauungsstörung nicht genau kennt und nicht weiß, wie sie die chemischen Vorgänge im Magen ändert. Würde das öfter geschehen, so würde die orakelhafte und schablonenmäßige Diagnose „chronischer Magenkatarrh“ viel seltener gestellt werden. Wie die Diagnose auf chemischem Weg gemacht wird, so sind auch chemische Rückschlüsse ausschlaggebend bei der Heilung und besonders bei der Diät. Der Arzt hat nicht nöthig, zu probiren und alle möglichen Speisezettel aufzustellen, er kennt die chemische Zusammensetzung des Magensaftes und weiß genau, wie der Magen verdaut, was ein solcher an Speise und Trank ertragen kann und verlangt.

So kann ein Kranker, wenn er den Gebrauch der Magensonde und dabei die richtige Auswahl und Bereitungsweise der Speisen wenigstens dem Gesichtspunkt nach gelernt hat, eine begonnene Kur zu Hause fortsetzen; er hat bloß nöthig, seinen Arzt durch zeitweilige Zusendung von Magensaftproben auf dem Laufenden zu erhalten, nach deren sachgemäßer Untersuchung der Arzt fast in mathematischer Weise sich von den Fortschritten der Besserung überzeugen kann. Den sichersten Anhaltspunkt für die Beurtheilung des Krankheitsstandes, ob Stillstand, ob Besserung oder Verschlimmerung vorliegt, geben die sicher zu berechnenden Salzsäuremengen des Mageninhalts.

Auf diese Weise kann natürlich nicht jede Magenkrankheit sicher erkannt und darauf hin zweckgemäß behandelt werden. Aber Linderung der Schmerzen und Beschwerden kann der Arzt gewähren auch in unheilbaren Leiden mit Hilfe dieser neuen Methode. Wohl ist sie noch der Vervollkommnung und feineren Ausbildung fähig und bedürftig, aber auch so, wie sie jetzt sich darbietet, ist sie der Beachtung werth. Manches Vorurtheil, das dagegen herrscht, wird schwinden, sobald man allgemein das Wesen und den Werth der ganzen Methode kennen gelernt hat. Hierzu beizutragen, das ist der Zweck der obigen Darlegungen.




Gold-Aninia.

Eine Erzählung aus dem Engadin. Von Ernst Pasqué.
(Schluß.)


General Desolles war mit einem Theil des französisch-italienischen Heeres durch das Veltlin in Graubünden eingerückt und zog über Bormio, das Wormser- und Stilfserjoch den Oesterreichern in Tirol entgegen. General Lecourbe fiel von Norden her an drei Stellen über den Septimer, den Julier und den Albula in das Oberengadin ein.

Am Morgen des 11. März, am Tage nach dem Abzug der Frauen, Kinder und Greise aus Silvaplana nach dem Crestalta, erschienen die ersten Franzosen auf den Höhen über dem Dorfe Casaccia im Bergell, am Fuß des Malojapasses und nur etwa drei Stunden von Silvaplana gelegen. Dort kampirte noch immer eine kleine Abtheilung Oesterreicher, die nicht so glücklich gewesen war, sich rechtzeitig vor den wilden Feinden retten zu können. Nur zu rasch wurde sie überwältigt, theils niedergemacht, theils gefangen genommen, dann begann das Plündern des armen Dorfes, das Mißhandeln seiner unglücklichen Bewohner. Nun marschierte die Truppe der „Volksbeglücker und Freiheitshelden“ unter ihrem zum Siegesruf gewordenen Wahlspruch: „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit!“ weiter über den Maloja.

Sie durchzogen raubend und plündernd die oberen Dörfer Sils Maria und Sils Baseglia und fielen gegen mittag in Silvaplana ein, kurz nachdem der zweite und größere Theil der Brigade mit reitenden Jägern und einer Batterie unter wildlärmendem Singen der Marseillaise von der Höhe des Juliers in das Hochthal niedergestiegen und ebenfalls in Silvaplana eingetroffen war. Hier kommandierte der junge Brigadegeneral Mainoni, was sich als ein besonderes Glück für Silvaplana erweisen sollte, denn ihm war als Italiener auch der romanisch-ladinische Dialekt nicht ganz fremd. Hoch zu Pferde hielt er mit mehreren seiner Offiziere vor der Herberge „Zum wilden Mann“, auf der einzigen platzartigen Stelle in der langgestreckten Dorfgasse. Madulani hatte sich mit seinen wenigen alten Männern genähert und ihn mit zagenden Worten um Schonung gebeten. Auf die barsche Aufforderung des Generals, Speise und Trank für seine Soldaten herbeizuschaffen, erhielt der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_658.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)