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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

14. Ein Stückchen Weltgeschichte in entlegenem Hochthal.

Die Schweiz war durch die französischen Volksbeglücker aus einem freien Staatenbunde in eine durchaus unfreie „helvetische Republik“ umgewandelt worden und sah sich infolge dessen gezwungen, auf seiten der Franzosen gegen die Mächte der zweiten Koalition, an deren Spitze Oesterreich und Rußland standen, zu kämpfen. Nur Graubünden machte eine Ausnahme; es hatte sich nicht allein dem neuen Stand der Dinge nicht angeschlossen, sondern auch die Oesterreicher zum Schutze seines Bodens und seiner Freiheit herbeigerufen. Feldmarschall-Lieutenant Graf Bellegarde hielt mit einem Theil des Heeres, das unter dem Oberbefehl des Erzherzogs Karl stand, Tirol und die Pässe Graubündens besetzt. Im Rheinthal kämpfte General Auffenberg gegen den Oberbefehlshaber der französischen Armee, Massena. Am 7. März dieses Unglücksjahres 1799 wurde aber der österreichische General von Massena bei Chur geschlagen und mit seinen 6000 Mann gefangen genommen. Nur einige Kompagnien retteten sich über den Julier und den Albula ins Engadin und verbreiteten dort Schrecken und Entsetzen durch ihre Berichte über die Greuel, welche die wilden Sansculotten allerwärts verübten. Und die Franzosen zogen bereits heran, sogar von mehreren Seiten – und die Dörfer des Engadins waren von waffenfähigen Männern entblößt, die sich den freiwilligen Bündnertruppen zugesellt hatten. Nur Frauen, Greise und Kinder waren zurückgeblieben, wie überall im Engadin, so auch in Silvaplana. Wohl hatte Graf Bellegarde durch mehrere Kompagnien seiner Soldaten das Unter- und Oberengadin wie auch das Bergell bis nach Chiavenna hin besetzen lassen, doch was konnte diese Handvoll Leute, auf eine solch weite Strecke vertheilt, ausrichten? Bei dem ersten Anprall der Franzosen mußten die Oesterreicher verloren sein, niedergemacht oder gefangen genommen werden – wenn sie es nicht vorziehen sollten, ihr Heil in rascher Flucht zu suchen.

Die Stimmung der wenigen in Silvaplana zurückgebliebenen Leute war verzweiflungsvoll. Die Burschen und kräftigen Männer standen draußen im Felde, den Tod im Angesicht – vielleicht schon gefallen und eingescharrt! So dachten und jammerten die Frauen und Mütter und kein Trösten irgend einer energischeren Persönlichkeit wollte helfen. Auch das Gebahren der kleinen österreichischen Besatzung war nicht dazu angethan, diese Stimmung zu mildern. Die Anforderungen, welche die Soldaten für ihren Unterhalt stellten, überstiegen jetzt schon die Kräfte des armen Dorfes, und die rauhe, drohende Weise, in der gefordert wurde, konnte nur neue Schrecken erzeugen. Und dabei waren diese Oesterreicher noch als Freunde gekommen, das Dorf und seine Bewohner zu schützen! Wie würde es ihnen erst ergehen, wenn die Feinde, die Franzosen, einrücken sollten?!

Jetzt war die Uebersiedelung des ehemaligen Cavigs von Surley mit Frau und Tochter für die Silvaplaner ein wirkliches Glück geworden, denn die drei waren es hauptsächlich, welche in diesem allgemeinen Wirrsal den Kopf nicht verloren. Madulani war im Dorf geblieben, weil seine Körperkraft nicht mehr für den Kriegsdienst ausreichte; auch glaubte er hier dem Ort und den Zurückgebliebenen nützen zu können. In heimlicher Zwiesprache veranlaßte er die rüstigsten der alten Leute, welche noch im Dorfe weilten, alles werthvolle Hab und Gut nächtens in den Ställen und Kellern oder unter das Heu und Holz der Stadel zu bergen, zu vergraben, und Mutter Barbla wie Aninia versuchten, den Frauen Muth einzuflößen. Als dies wenig fruchten wollte, trieben beide die Zaghaften an, von sämmtlichen Vorräthen ihres Roggen- und Kastanienmehls Brot zu backen und es nach dem Crestalta zu schaffen als dem einzigen und sichersten Zufluchtsort für die Mütter und Kinder bei dem gewiß nahe bevorstehenden Einfall der Franzosen.

Und Eile that Noth! Das sagten sich auch die in Silvaplana liegenden Oesterreicher. Denn kaum waren die Flüchtlinge des vernichteten Heertheiles Auffenbergs mit ihrer Hiobspost in Silvaplana eingezogen – um so rasch als möglich ihre Flucht fortzusetzen – als die dortige kleine Garnison nichts Eiligeres zu thun hatte, als sich ihnen anzuschließen, und vereint marschirten sie nun in großer Hast nach Campfèr, dann dem Unterengadin, der schützenden Bündner- und Tirolergrenze entgegen. Jetzt war kein Augenblick mehr zu verlieren, denn schon in den nächsten Stunden konnten die Franzosen einrücken. Aninia trieb die Frauen zur Flucht nach dem Crestalta und führte den jammernden Zug mit gewohnter Entschlossenheit an. Sie wollte zum Vater zurückkehren, sobald sie die Frauen, die Kinder und die Kranken untergebracht hätte, aber Madulani bestand darauf, daß sie dies nicht thue, und Aninia fügte sich, wenn auch vielleicht nur scheinbar. Bald war sie mit ihrem Gefolge auf dem Hügel angelangt, wo sie sich vorerst für geborgen halten konnten. Nun harrten sie in banger Sorge, was unten in den Dörfern geschehen würde. – Madulani hatte den Seinigen gelobt, durchaus vorsichtig zu reden und zu handeln; er hatte sich auch schon einen Plan erdacht, die verhaßten Feinde so rasch als möglich aus dem menschenleeren Dorfe hinauszubringen. Mit den zurückgebliebenen Männern schaffte er die wenigen noch gefüllten Weinfässer des „Wilden Manns“ in ein schon früher wohl vorbereitetes Versteck, wo die Franzosen sie gewiß nicht suchen noch finden würden. Leere Fässer wurden dafür in den Keller gerollt, der außer diesen nur noch ein Fäßchen Branntwein enthielt. Das war alles, was die Eindringlinge nebst dem Wasser der Brunnen an Trank erwartete – zu beißen gab es, außer einigen harten Broten, auch nichts mehr im ganzen Dorfe. Nun konnten die Franzosen kommen – und sie kamen! – (Schluß folgt.) 




Oeffentliche Desinfektionsanstalten.

Desinfektionsapparat von Oskar Schimmel u. Komp. in Chemnitz.

Unserer Zeit war es vorbehalten, einen der grimmigsten Feinde der Menschheit, die Seuche, zu entlarven. Jahrtausende lang seufzte die Menschheit unter der Geißel der ansteckenden und epidemischen Krankheiten, rang mit dem Dämon der Pest und der Cholera, ohne das Wesen dieser verheerenden Krankheiten zu kennen, und war darum machtlos in der Bekämpfung derselben. Der Wissenschaft ist es nunmehr gelungen, die Ursache der meisten jener Krankheiten festzustellen, und wir wissen alle, welchen Antheil an diesem Triumphe die deutsche Forschung gehabt hat. Wir wissen nunmehr, daß Bakterien die Erzeuger der meisten Seuchen sind, und nachdem dies einmal festgestellt ist, rüsten wir uns, den Feind zielbewußt zu bekämpfen.

Zerstörung des Ansteckungsstoffes, Desinfektion, das war schon seit langer Zeit das Schlagwort der Aerzte. Aber nur zu oft tappte man dabei im Dunkeln umher, nur selten konnte man die richtigen Mittel finden. Feuer war noch das sicherste, und man verbrannte darum Kleider und Betten der an Seuche Erkrankten, zerstörte werthvolle Güter, um das werthvollste, das Leben, zu retten. Noch heute wendet man dieses Mittel an; wir möchten nur als Beispiel anführen, daß während der letzten Choleraepidemie auf Sicilien in Katania allein auf einmal 3500 Matratzen verbrannt wurden.

Die italienischen Behörden kannten damals anscheinend noch nicht eine deutsche Erfindung, welche es ermöglicht, fast alle Gegenstände unseres Haushaltes, unsere Kleidung und Wäsche aufs gründlichste zu desinfizieren, ohne deren fernere Benutzung irgend wie in Frage zu stellen. Wir haben bereits im Jahre 1883 (Nr. 52 der „Gartenlaube“) auf jene Erfindung kurz hingewiesen; heute sind wir in der Lage, von ihrem praktischen Nutzen zu berichten und gemeinnützige Anstalten zu beschreiben, welche durch sie hervorgerufen worden sind.

Schon im Jahre 1881 hatte die Firma Oskar Schimmel u. Komp. in Chemnitz die Anwendung heißer Dämpfe zur Desinfektion empfohlen und einen Apparat zu diesem Zwecke hergestellt. Zu dieser Zeit wurde durch die Arbeiten Kochs, des Entdeckers des Cholerabacillus, und seiner Schüler festgestellt, daß heiße

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_645.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2022)