Seite:Die Gartenlaube (1889) 627.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Herz schwoll von Bitterkeit gegen ihn, der eine solche Sündenlast auf dem Gewissen hatte.

Da wurde in der Ferne, hoch oben in den Bergen, durch Regen, Sturm und Rauschen der wilden Wasser das Knattern der herannahenden Felssteine hörbar. Zugleich begannen die schlammigen Fluthen, welche das am Fuße des Berges, etwas höher als das Dorf gelegene Haus erreicht hatten, langsam, doch unaufhaltbar in den Raum zu dringen, wo die drei Frauen weilten. Jetzt wurde die Büssin doch unruhig; sie eilte nach der Thür, öffnete deren oberen Theil, um nur einen Augenblick hinauszuhorchen und ihn dann jäh wieder zu schließen. Dann riß sie Mutter Barbla aus ihrer kauernden Stellung empor und beschwor sie und Aninia leise, sich in dem Verschlag auf das Bett niederzusetzen, da die Stube bald voll Wasser sein würde und ein Entfliehen nicht mehr möglich wäre. Aninia achtete in ihrer schmerzlichen Erregung der warnenden Worte nicht und blieb unbeweglich.

„Hörst Du denn nicht das seltsame Knattern?“ raunte die Büssin ihr dringender zu. „Es ist, als ob die Wasser des Baches Steinblöcke – ganze Felsen mit herunter führten!“

„Ach! wenn nur Beppo bei mir wäre!“ seufzte Aninia, indem sie die Kleine fester an ihre Brust drückte.

„Was mag hoch oben in der Fuorcla vorgegangen sein,“ fuhr die Büssin hinaushorchend fort, – „denn von dort kommt es her. Es sind wahrhaftig Felsblöcke, die der Bach mit sich führt. Welch ein Unheil werden sie unten im Dorfe anrichten – und dort steht auch das Gehöft Deines Vaters!“

„Sprich nicht von ihm!“ fuhr Mutter Barbla mit mühsam unterdrückter Heftigkeit auf. „Er muß ertragen, was über ihn kommt, – es ist das Strafgericht des Himmels!“

„O Mutter! redet nicht so!“ sprach Aninia sanft. „Wir haben ihn auch unglücklich gemacht, ebenso wie er uns. Das ist mir erst die Zeit her so nach und nach gekommen. Denke doch an seinen Stolz! Daß er mir früher nicht verziehen hat, das wundert mich jetzt gar nicht mehr. Aber heute, wenn er hier wäre und die arme Aninia sehen könnte – heute würde er mir verzeihen, das weiß ich!“

Schwere heiße Thränen tropften auf die Stirn des Kindes nieder, und Mutter Barbla sagte plötzlich:

„Sieh nur, Aninia, es schlägt die Augen wieder auf – sie blicken hell, und sein Mündchen lächelt. Ach! dem Herrn sei Preis und Dank! Es ist wohl gerettet und bleibt uns erhalten!“

In diesem Augenblick rief die Büssin von der Eingangsthür her: „Der Beppo kommt! – Nun werden wir erfahren, was draußen geschehen ist und wie es im Dorfe steht.“

Schon wurde die Thür in ihren beiden Hälften aufgerissen und Beppo erschien in schreckenerregender Gestalt auf der Schwelle. Er war kaum wiederzuerkennen; seine Mienen waren verzerrt, seine Augen glühten fast wie die eines Wahnsinnigen, die nothdürftigen, von Wasser triefenden Kleidungsstücke hingen zerfetzt um seinen Körper – er sah grauenhaft aus. Ohne die Aufregung der drei Frauen zu bemerken, ohne Aninias Ruf: „Beppo!“ der wie Erlösung aus Noth und Schmerzen klang, zu beachten, rief er mit einer unnatürlichen grellen Lustigkeit:

„Freue Dich mit mir, Aninia! Jetzt geht der Schwur Deines Vaters in Erfüllung – und er wird ein Bettler, wie er es gewollt hat. Die Wasser donnern an sein Haus, bald genug wird nichts mehr davon übrig sein!“ –

Ein dreifacher Aufschrei beantwortete diese Rede, und schon stand Mutter Barbla an seiner Seite und schüttelte ihn derb am Arme. „Was sprichst Du da?“ schrie sie ihn an – im selben Augenblick aber rief Aninia:

„Mutter! – Mutter! um Gottes willen stille! – denk’ an mein Kind – an mein armes – sterbendes Kind!“ –

Langsam, mit weit aufgerissenen Augen wandte sich Beppo nach ihr hin. Sein Körper zitterte wie im Fieber, er war unfähig, einen Schritt zu thun.

„Es stirbt?!“ rief er voll Entsetzen.

„Noch ist’s nicht so weit,“ beschwichtigte ihn Frau Barbla, „es kann plötzlich wieder besser werden“ – aber als er wankenden Schrittes zu Aninia getreten war und einen Blick auf das abgezehrte Gesichtchen seines Kindes gethan hatte, da brach ein lautes Schluchzen aus seiner Brust und er warf sich an der Seite seines Weibes auf den Boden nieder. Aninia, die eben selbst noch verzweifelt war, versuchte den Fassungslosen aufzurichten.

„Beppo,“ sagte sie leise, „Gott wird vielleicht barmherzig sein und das Kind leben lassen. Aber versündigen darfst Du Dich nicht durch solche Worte, wie Du sie vorhin sprachst. Wenn meines Vaters Haus in Noth ist, so mußt Du rasch zu ihm und ihm beistehen nach allen Kräften. Eile, Beppo, eile!“ fuhr sie dringender fort. „Hier kannst Du nichts helfen und draußen giebt es Menschenleben zu retten. Wirf allen Groll von Dir und sei gut, Beppo, damit der Herr sich über uns erbarme!“

Sein Herz war stets Wachs in ihrer Hand. Mit Thränen in den Augen wandte er sich dem Ausgang zu. Aber es war zu spät, niemand konnte mehr zur Thür hinaus, durch welche die Wasser nun unaufhaltsam hereindrangen. Die Frauen mußten sich bald auf das Lager retten, und Beppo erklomm den in der Ecke stehenden Feuerherd, auf dem er unbeweglich kauern blieb, die Stirn in seine Hände gepreßt und ein über das andere Mal in Verzweiflung aufstöhnend: „Was hab’ ich gethan! was hab’ ich gethan!“ – (Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

James Fenimore Cooper. Am 15. September sind es hundert Jahre, seitdem dieser einst so hochgefeierte Romanschriftsteller zu Burlington am Delaware das Licht der Welt erblickte. Auf keinem Gebiete der Litteratur herrscht die Mode so wie auf dem des Romans; nirgends aber ist sie vergänglicher, und auch das Werthvolle und mit Recht Gepriesene wird von den nachdringenden Strömungen verdrängt. Cooper war einst der erklärte Liebling der ganzen europäischen Lesewelt; sein Name stand mit demjenigen von Walter Scott in einer Reihe, und jetzt sind es nur noch zwei oder drei seiner hervorragendsten Romane, welche ihre Anziehungskraft auf das Lesepublikum, und in zahlreichen Bearbeitungen insbesondere auf die männliche Jugend, behaupten. Gleichwohl ist Coopers Darstellung in einem wenn auch noch so abgegrenzten Stoffkreise als Muster zu betrachten und die nordamerikanische Litteratur zählt ihn mit Recht zu ihren Klassikern. Cooper hatte auf dem College in New-Haven seine erste Bildung erhalten, war, noch nicht sechzehn Jahre alt, aus Begeisterung für die See und die Marine in den Seedienst getreten, doch schon nach fünf Jahren, 1810, wieder aus demselben geschieden. Mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigt, lebte er zu Cooperstown am Otsegosee, besuchte 1826 England und Frankreich, war bis 1829 Konsul der Vereinigten Staaten in Lyon, lebte dann eine Zeitlang in Dresden, Italien und der Schweiz und kehrte 1831 in sein Vaterland zurück. Am 14. September 1851 starb er zu Cooperstown. Auf seine Romandichtungen hatte die europäische Reise nur geringen Einfluß, obschon er dieselbe in einem sechsbändigen Werke beschrieben hat; in der heimatlichen Erde sind die starken Wurzeln seiner Kraft; da herrscht bei ihm Wahrheit, Leben, höchste Anschaulichkeit der Schilderung und ein warmer patriotischer Hauch. Die Scenerie des Urwalds, die Bilder aus dem Leben der Ansiedler und Hinterwäldler und der Rothhäute, das Kolorit des geschichtlichen Hintergrundes, besonders aus der Zeit des Befreiungskrieges: das alles findet sich mit ebenso viel Treue wie Frische in seinen Romanen wieder.

Sein Roman „Der Spion“ (1821), der erste, der ihm einen Weltruf verschaffte, verewigt alle diese Vorzüge; in noch höherem Maße müssen sie dem „Letzten der Mohikaner“ (1826) zugesprochen werden, in welchem das Leben der wilden Urstämme und die großartige unberührte Natur des Urwalds und der Prairien mit der ganzen Welt von Abenteuern, die sie für den Eindringling in ihrem Schoße birgt, in ebenso lebendiger wie spannender Weise geschildert wird. Dasselbe gilt auch von den andern sogenannten „Lederstrumpfromanen“, wie z. B. den „Pionieren“, der „Prairie“, dem „Pfadfinder“ und auch von manchen schwächeren Werken; denn Cooper war überaus fruchtbar und seine „Sämmtlichen Werke“ in deutschen Uebertragungen füllen 250 Bändchen. Wo er mehr schablonenhaft schreibt, da tritt die allzugroße Breite seiner Darstellungsweise ganz wie in den schwächeren Romanen Walter Scotts störend hervor, und das Verweilen bei Einzelheiten läßt den Zug und Schwung des Ganzen sowie die Spannung der Leser erlahmen; immer aber finden sich interessante Natur- und Kulturbilder.

Bahnbrechend erscheint Cooper auf dem Gebiete des Seeromans; da sind die Marryat und Eugène Sue und alle französischen und englischen Marinedichter als seine Schüler zu betrachten. Das erste dieser Werke war „Der Pilot“ (1823); es folgten die „Wasserhexe“ und eine nicht unbeträchtliche Zahl von Seegeschichten, in denen der heldenhafte Zug überwiegt, mag es sich nun um die Thaten oder die Leiden muthiger Seefahrer handeln. Coopers Romane wurden in fast alle lebenden Sprachen, „Der Spion“ selbst ins Persische übersetzt.

Das heutige Geschlecht, das längst mit Werken ähnlicher Art überfluthet worden ist, mag sich mit Pietät des Meisters erinnern, dessen Hauptromane noch immer nicht übertroffen worden sind, so oft die Muse aller

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_627.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)