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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

So hatte Eckarts guter Stern ihn seiner Meinung nach zum Ziele seiner Liebeswallfahrt geführt. Seine Freude verbergend, plauderte er mit Fra Serafino noch weiter von anderen Dingen, denn er kannte den leicht erregbaren Argwohn der Sicilianer, und da er voraussah, daß er die Hilfe des Mönchleins vielleicht noch nöthig haben würde, so durfte auch nicht der leiseste Schatten eines Zweifels in dieses Biedermännchens Seele auftauchen. Froher als er gekommen, trat er den Rückweg nach Messina an.

Felicitas Auge haftete von weitem unbeweglich auf dem Offizier, der sein Roß so kräftig und mit so vollendeter Sicherheit durch das Bett des Torrente leitete, die losen, kollernden Steinhügel behutsam umritt und das Pferd in kurzem Satze über die tiefen, am Rande zerbröckelnden Furchen des Bergstromes springen ließ. Weit hinter den ersten Häusern Messinas war er schon verschwunden, und noch lehnte das Mädchen an ihrem Fenster, dem Scheidenden, bald aber Wiederkehrenden in der Abendgluth ihr Lebewohl und Auf Wiedersehen! nachrufend, und tiefer, immer tiefer grub sich in ihr Herz der ersten Liebe jugendlich göttliches Hoffen.

Vergeblich suchte Eckart den Schlaf. Nur mit der schönen Unbekannten beschäftigte sich sein unruhig suchender Geist. Ihre Spur hatte er wiedergefunden … dieser Spur würde er nachfolgen, bis er die Heißersehnte selber wieder fände … morgen! vielleicht morgen schon! … War es schon der Traum? Wachte er noch? Umfing ihn der Schlaf mit seinen fiebernden Nachtphantasien? … Es war ihm, als schwebte er leichten Fußes über grünende Rasenteppiche, durch Thalgründe, wo hohe, stille Bäume dem Quellengemurmel lauschten. O die schattigen Wälder der Heimath! O die tiefen dunklen Augen des sicilischen Mädchens! Und siehe! … im Walde steht ein Häuschen, um Berge ziehen sich Rebengelände in die Höhe; und er klettert hinauf durch wunderbare, von Tannen und Citronenbäumen verflochtene Haine, und droben in dem weißen stillen Häuschen findet er sie, die Heißgeliebte. Sie winkt ihm freundlich lächelnd zu, eine Blume läßt sie von ihrem Busen herunterfallen auf sein Herz – und sein Herz öffnet sich und wie in einem kostbaren Schreine verbirgt sich darin die schwellende Knospe, daß er sie ewig bewahre in unveränderlicher Liebe … Plötzlich aber verschwindet das kleine, stille Haus – brennende Sonnengluth umhüllt den jäh Erschreckte wie mit einem heißen Strahlenschleier; – er ruft nach der Entschwundenen, und in stummen Felsenthälern eilt er ihr nach und durch ruinenhaft verfallene Klöster und Kirchen sucht er stürmend seinen Weg. Aus den alten Klosterfenstern nicken betende Mönchsgesichter; seine Fragen nach dem entschwundenen Lieb hören sie nicht, verstehen sie nicht, geräuschlos wenden sie im heißen Sirokkowinde die Blätter ihrer vergilbten Pergamentbücher; gespenstisch starren ihre Augen in die Oede. „Felicita!“ ruft es aus dem Thale hervor; „Felicita!“ ruft er der Stimme nach, und er stürzt weiter und weiter … Thalgründe öffnen sich zwischen den Bergen, unbekannte, nie gesehene, nie geahnte Klüfte – ohn’ Ende, ohn’ Ausgang! … und „Felicita!“ ruft er wieder durch die tonlose Einöde … und klagend antwortet es von ferne, ganz von ferne, in leisem, immer leiserem Weinen: „Addio Felicita!“ … Und in wirren Bildern verliert sich das fiebernde Träumen.

(Fortsetzung folgt.)




Die letzte Theatersaison.

Manche neue Trauerspiele und Lustspiele sind über die Bühne gegangen, doch nur wenige sind als ein dauernder Gewinn für das Repertoire zu verzeichnen. Den größten Erfolg hat wohl das Schauspiel von Ernst von Wildenbruch, „Die Quitzows“, davongetragen; es ist in Berlin geradezu volksthümlich geworden. Abgesehen von den zahlreichen Wiederholungen am Hoftheater, hat es sich der Kaiser selbst in einer Sondervorstellung vorspielen lassen, und in einer Schülervorstellung ist es auch dem jüngeren heranwachsenden Geschlecht zugänglich gemacht worden. In Breslau und an anderen preußischen Bühnen hat es Beifall gefunden, aber auch in Straßburg, und es wird noch an manchen Theatern, wo der Berliner Lokalpatriotismus und die brandenburger Provinzialgeschichte fremdartiger gemahnen, seinen Einzug halten; denn es ist eine Dichtung voll Mark und Kraft und jedenfalls die eigenartigste Schöpfung Ernst von Wildenbruchs.

Der Charakter des Haupthelden, Dietrich von Quitzow, mag an den Goetz von Berlichingen erinnern: er ist voll stolzer, aber wilder Männlichkeit, von einem selbstherrlichen Trotz, der das Gesetz verachtet und kein anderes anerkennt als das, welches er selbst diktirt. So sagt er sich von den Pommerherzogen los, welche ins Land gefallen sind, und schließt ein Bündniß mit der Stadt Berlin, bei welchem er aber den Löwenantheil für sich in Anspruch nimmt. Dem kaiserlichen Abgesandten, welcher den Burggrafen von Nürnberg als den Statthalter der Marken ankündigt, antwortet er trotzig im Namen Berlins, aber bereits im Widerspruch mit den Berliner Bürgern. Und dieser Widerspruch steigert sich zu heftiger Gereiztheit, als er Wins, den Bürgermeister von Straußberg, gefangen auf seine Burg Friesack abführen läßt. Dem Burggrafen von Nürnberg, dem Hohenzollern, der sich in einem Monolog voll hoher dichterischer Schönheit einführt, huldigen nun die meisten Ritter und die Städte, auch die Stadt Berlin; nur Dietrich von Quitzow verharrt in unbeugsamem Trotz, wird von dem Burggrafen in die Acht erklärt und in seiner Feste Friesack belagert. Doch nicht durch die Hand der Truppen des Hohenzollern fällt Dietrich von Quitzow, er fällt durch die Hand seines Bruders Konrad, der aus der Domschule des Propstes Ortwin zu dem kaum gekannten Bruder zurückkehrt, weichherzig und edelmüthig und dem gewaltthätigen Wesen feind. Die Frau und Tochter des gefangenen Bürgermeisters nimmt er dem Bruder gegenüber in Schutz, die letztere gewinnt sein Herz. Innerlich gebrochen durch den Zwiespalt mit Dietrich und dem Hohenzollern im Herzen zugethan, erhebt sich Konrad erst zu energischem Widerstand, als Dietrich, seiner Geliebten, der polnischen Königstochter Barbara, folgend, zu den ins Land fallenden Polen mit den Seinigen durchbrechen will. Da rafft sich Konrad auf, giebt Gegenbefehl, und es kommt zu einer hochdramatischen Scene zwischen den beiden, in welcher Dietrich von Konrads Hand fällt; dieser läßt sich dann selbst tödten vom Bannerträger der Quitzows.

Betrachtet man den Aufbau der ganzen Dichtung, so verdient es vielleicht Tadel, daß dieser entscheidende Konflikt zwischen den Brüdern erst so spät zum Ausbruch kommt und sich nicht von Anfang an ankündigt. Doch das Stück ist ja mehr als eine Tragödie der feindlichen Brüder; es hat einen breiten geschichtlichen Untergrund und weite historische Fernblicke; es ist eine Verherrlichung der Herrschaft des Gesetzes, welches mit den Hohenzollern in die Mark eingezogen ist, gegenüber dem wüsten Raubritterthum, das sich oft mit des Landes Feinden verband; es ist eine Huldigung für das Herrschergeschlecht, welches dem Volke ein Vaterland geschaffen hat, und dafür wird ja Konrad von Quitzow zum Brudermörder und bringt sich selbst zum Opfer. So ist das Stück nicht in knapper dramatischer Fassung, sondern weitläufig aufgebaut, um Raum und Licht zu lassen für die geschichtliche Entwicklung. In den ersten Akten nehmen die Volksscenen einen breiten Raum ein; wie ein kleines Lustspiel, das selbst seinen Abschluß hat, spielt die Liebe des Köhne Finke, des flotten Vagabunden, zur Meisterstochter Riecke in die Handlung mit herein, und durch den Berliner Dialekt, dessen Einführung von zweifelhafter Berechtigung ist für die Zeit der Quitzows, in denen „Nante“ noch nicht geboren war, erhalten einzelne Scenen fast das Gepräge einer geschichtlichen Berliner Lokalposse; sie sind aber dabei so frisch und naiv, so gesund und kernig, daß sie nur Wohlgefallen erwecken. Die Frauencharaktere treten weniger bedeutsam hervor; einige sind nur für die Straßenscenen geschaffen; die irrsinnige Agnes, geheilt durch die in ihrem Herzen aufgehende Liebe zu Konrad, hat einen wehmüthigen Reiz; am meisten greift die kühne Polin Barbara, die etwas von Schillers Marina im „Demetrius“ hat, in die Handlung ein, als sie den Anmarsch der von ihr herbeigerufenen Polen verkündet. Die Sprache hat in den ernsten, geschichtlichen Scenen einen markigen Vollklang, bisweilen weihevollen Schwung; es ist der Ton Shakespearescher Dichtung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_618.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)