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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

das ist seine Pflicht, und es zu befehlen, dazu hat der Cavig ein Recht. Das merke Dir wohl! Am Tage bleibst Du von jetzt an hübsch daheim; damit Du nicht allzusehr verwilderst, kannst Du meinetwegen meiner Frau am Herde helfen, die Suppenbrühe kochen, oder das Maronen- und Roggenbrod backen. Am Abend gehe ich dann selber mit Dir zu Deinem Weibe.“

„Ich will thun, wie Du sagst, um meiner lieben Aninia willen. Freilich – ihr so nahe zu sein und sie nicht immer sehen zu können –“

Clo ließ ihn nicht ausreden, packte ihm seine Habseligkeiten unter den Arm und zog ihn fort.

Beide waren unter den letzten Arven am Fuß des Crestalta, in der Nähe der Häuser von Surley angelangt. Clo hielt inne und spähte scharf nach dem Dorfe hin, denn nahe der Wohnstätte des Cavigs, gleichsam unter dessen Augen mußten sie Clos Haus zu erreichen suchen. Dann aber rief er mit raschem Entschluß: „Voran! Gleichviel, ob der Brummbär uns sieht oder nicht – erfahren wird er es doch!“ und beide eilten über die Schneefläche der Wiese dem Dorfe zu.

Da wurden sie unvermuthet und just am Ziel aufgehalten. Aus dem Hause der Cadruvi trat in großer Hast die Maria Büssin, ein in Leinen gehülltes Päckchen unter dem Arm und begleitet von der Staschia. Kaum hatte erstere die beiden Männer erblickt, als sie mit einem Freudenruf auf sie zueilte und fast überlaut rief: „Beppo, freue Dich! Deine Aninia hat Dir vor einer Stunde ein kleines Mädchen geschenkt. Sie ist wohl, und das hübsche kleine Ding zappelt und schreit recht kräftig und lustig.“

Beppo war bei dieser unerwarteten Freudenbotschaft wie erstarrt stehen geblieben. Dann schlug er die Hände zusammen, stammelte einen Freudenlaut und im folgenden Augenblick riß er sich von der Seite Clos und stürmte ohne Rücksicht auf Ort und Zeit, auf den Freund und seine Mutter in der Richtung nach dem Hause der Büssin davon. Die anderen eilten ihm besorgt nach, doch Beppo, der wie im Fluge weiterstrebte, hatte bereits einen großen Vorsprung. Jetzt mußte er über das Wasser – nun an dem Hause Madulanis vorüber; er bemerkte nichts davon in seiner Aufregung, ebenso wenig wie er die funkelnden Augen des Cavigs bemerkte, der hinter dem kleinen Fenster stand und mit größtem Erstaunen und aufloderndem Zorn den Verhaßten und Gebannten am hellen Tage in Surley erkennen mußte. Mit keinem Blicke sah Beppo, daß der Wächter und Büttel ihm gerade entgegenkam – und diesmal konnte der wackere Mann dem Bergamasker nicht ausweichen, denn der Cavig stand bereits unter der Thür seines Hauses und kehrte die scharfen Augen nach ihnen beiden hin. Schon aus der Ferne schrie der Büttel dem Dahinstürmenden zu: „Halt ein! – halt!“ – Da fuhr Beppo jäh zusammen und blickte auf. Kaum hatte er das Hinderniß erkannt, das sich ihm auf seinem Wege entgegenstellte, da erfaßte ihn eine sinnlose Wuth. Die Fäuste geballt, sprang er in weiten Sätzen wie ein Raubthier auf den Mann zu, erfaßte ihn, und noch bevor der andere sich des plötzlichen Angriffs voll bewußt worden war, schleuderte er ihn mit wilder Gewalt mehrere Schritte zur Seite und zu Boden. Dann setzte er seinen eiligen Lauf fort und war in wenigen Augenblicken für die ihm Nachschauenden verschwunden.

Schon war der Cavig zur Stelle. Am ganzen Leibe bebend vor Zorn, sagte er zu dem sich ächzend vom Boden erhebenden Manne mit keuchenden Lauten nur die Worte: „Komm! jetzt will ich ein Ende machen – für immer!“

Mit dem ihm nachhinkenden Büttel schritt er weiter, sich nicht um die Büssin, den langen Clo und dessen Weib kümmernd, die voll Entsetzen über das, was da vorgegangen war – und was jetzt geschehen konnte, ihre Schritte beschleunigten, an Madulani vorbeieilten und in das Haus, wo die junge Mutter weilte, eintraten, als jener noch eine ziemliche Strecke davon entfernt war. Bald hatte auch Madulani den Eingang erreicht, da erschien im selben Augenblick sein Weib Barbla auf der Schwelle. Mit blitzenden Augen und einer heftig abwehrenden Bewegung rief sie ihm zu:

„Hinweg! hier hast Du nichts zu suchen – wenn Du nicht mit Reue im Herzen kommst, um Deinen Frevel gutzumachen!“

„Gieb Raum, Weib!“ donnerte Madulani ihr entgegen, „ich, der Cavig, befehle es Dir – wenn ich mich nicht an Dir vergreifen, mir den Eingang nicht mit Gewalt erzwingen soll.“

Da reckte sich hinter Mutter Barbla die lange Gestalt des Clo hoch empor, und mit gemüthsruhigem Ton sagte er: „Was fällt Euch ein, Herr Madulani? Wäret Ihr zehnmal der Cavig, so habt Ihr in diesem Hause – und mit Gewalt erst recht nichts zu schaffen. Ihr vergesset, daß ich seit zwei Tagen eingesessner Bündner bin und in meinem Hause wie in dem meiner Mutter jetzt allein Recht zu sprechen habe, beherbergen kann, wen ich will, und Gewalt mit Gewalt begegnen darf. Versucht’s nur und Ihr sollt es erfahren!“

Madulani fuhr einen Schritt zurück, einen dumpfen Zorneslaut ließ er hören und schwer athmend mußte er sich an der Mauer des Hauses halten. Die Worte Clos hatten ihn wie Keulenschläge getroffen, denn er wußte genau, daß jener im Rechte war und er nichts gegen ihn ausrichten konnte. Da sprach Mutter Barbla ruhig zu Clo: „Gehe hinein, Clo, und siehe zu, daß der Beppo in seiner Aufregung keine Dummheiten macht – ich habe mit dem Cavig zu reden.“

Clo entfernte sich, im Grunde wohl froh, einer weiteren Auseinandersetzung mit dem gefürchteten Manne überhoben zu sein, und Madulani keuchte höhnisch: „Was könntest Du mir zu sagen haben? Schmach und Schande habt Ihr reichlich auf mein Haupt gehäuft und nun wollt Ihr auch noch dem Cavig Trotz bieten?“

„Laß den Mann dort sich entfernen,“ sprach Mutter Barbla, auf den Büttel weisend, mit gleicher Ruhe wie früher, „was ich dem Cavig, meinem Mann, zu sagen habe, braucht vor der Hand kein anderer zu hören, wenn es auch bald das ganze Dorf erfahren wird.“

Einen Augenblick zauderte Madulani, eine seltsame Unruhe überkam ihn, dann gab er dem noch immer in seiner Nähe harrenden Büttel einen Wink, und der Mann, selber froh, einer peinlichen Obliegenheit überhoben zu sein, eilte so rasch davon, als seine geschundenen Gliedmaßen es nur erlaubten. Dann sagte der Cavig: „Jetzt rede! es hört und sieht uns niemand mehr.“

„Weißt Du, was da drinnen in dem elenden Steinkasten vorgeht, weshalb der Beppo ein Recht hat, dort bei Deinem Kinde zu sein, während Du, der Vater, draußen in Schnee und Kälte wie ein Büßer harren mußt? Ich will es Dir sagen. – Vor wenigen Stunden hat Deine – unsere Tochter, das Weib des Beppo, einem Kinde das Leben gegeben, während ihr eigenes Leben an einem Faden hing. Doch Gott der Herr hat die Aermste beschützt, die Mutter und das Kindchen, ein liebes Mädchen mit goldblonden Härchen, sie sind gesund – und werden es mit Gottes Hilfe und unserer Pflege auch bleiben.“

Ihre Stimme zitterte von verhaltenen Thränen. Madulani stand noch immer gegen die Mauer gelehnt, keines Wortes war er im Augenblick fähig; was er da vernommen, hatte bei ihm eine Empfindung im Herzen erweckt, die er bis dahin noch nie gespürt hatte. Es war wie ein heißes Aufwallen von innen heraus, er wollte sagen: „Laß mich hinein zu meinem Kinde!“ Aber er vermochte die Worte nicht auszusprechen. Er würgte sie hinunter. Im gleichen Augenblick schoß ihm der Gedanke durch den Kopf: „Sie wollen dich übertölpeln!“ und hiermit war die bessere Regung verflogen und der alte Haß und Grimm kehrten wieder. Da er kein Wort laut werden ließ, mit keiner Gebärde kundgab, was in ihm arbeitete, zum Guten oder zum Schlimmen, sprach Mutter Barbla, die erwartungsvoll in sein Gesicht gesehen hatte, hoffnungslos und traurig:

„Nun weißt Du, was ich Dir zu sagen hatte, nun gehe heim, denn ich muß zu meinem Kinde, bei dem ich auch die nächsten Tage bleiben werde!“

Nach diesen Worten trat sie in das dunkle Innere des Hauses zurück und schloß die beiden Theile der Thür. Madulani stand noch eine ganze Weile stumm und regungslos an derselben Stelle, endlich machte sein Körper eine unwillige, trotzige Bewegung, dann schritt er davon, seinem öde gewordenen Heim zu, ohne nur den Versuch zu wagen, heimlich durch eines der Fenster in die Stube zu schauen, wo seine Tochter mit ihrem Kindchen ruhte.

Dort war Beppo bei seinem Eintritt in die Kniee gesunken und, die Hände gefaltet, die von Freudenthränen nassen Augen auf Aninia und sein Kindchen, das an der Mutter Brust lag, gerichtet, schien er in vollkommener Verzückung sich zu befinden. Sein junges,

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