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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

und Winden des Hundes, den all die neuen Eindrücke „schier narrisch“ machen. Bald ist die Jagdhütte erreicht – nur eine breite Lichtung, über deren Kräutern schon der Abend dämmert, muß noch überschritten werden. Da zieht ein Gabelhirschlein, mit erhobenem Grinde (Kopfe) sichernd, aus den dunklen Tannen hervor. „Da schau, Mandei,“ flüstert der Jäger, „da schau her!“ Söllmann steht verdutzt, aber seine Augen funkeln, seine Haare sträuben sich, ein Zittern befällt seinen Körper, und jetzt erwacht in ihm das Blut, und kläffend stürzt er dem äsenden Wild entgegen, um sich freilich schon nach dem ersten Sprunge an der würgenden Leine zu überschlagen. Das ist die erste Lehre für Söllmann – scheu zieht er den Schweif zwischen die zitternden Beine und schleicht mit scheinheiligen Blicken hinter die Fersen seines lachenden Herrn.

Droben in der Hütte beginnt die „höhere Stubendressur“, welche bei der Energie, mit der sie gehandhabt wird, gewöhnlich schon nach wenigen Tagen beendet ist. Willig fügt sich Söllmann allen Geboten der „Propridät“; er lernt es, sich während der Nacht ruhig zu verhalten, statt durch rastloses Umhertrippeln den kurz bemessenen Schlaf seines Herrn zu stören, und gewöhnt sich das lästige Betteln bei des Jägers Mahlzeiten ab.

Inzwischen lernt er auch draußen im Bergwald, vorerst das richtige Gehen, immer zur Seite seines Herrn oder dicht hinter dessen Fersen, ohne daß es der zwingenden Leine oder eines mahnenden Lockens bedarf. Kein Wurzelstock am Wege soll ihn länger als nothwendig aufhalten, er darf sich keine privaten Spaziergänge und Entdeckungsreisen seitwärts in die Büsche erlauben, er soll über einen spitzen Stein nicht winseln, beim Anblick eines Wildes nicht knurren. Keine den Weg kreuzende Fährte, und wäre sie noch so frisch, darf seine Jagdlust in Versuchung führen, kein Schuß darf ihn „hitzig“ machen. Er soll nicht einmal aus dem Gleichgewicht seiner Ruhe fallen, wenn er das Wild im Feuer stürzen sieht, und muß sogar das harte Stücklein lernen, bei einem auf der Erde liegenden Rucksack oder Wettermantel ungefesselt auszuharren, bis der Jäger, welcher auf einem besonders heiklen Pirschgang seinen treuen Gesellen gerade nicht brauchen kann, wieder zurückkehrt, um den braven Söllmann aus seinem Zittern und Fiebern zu erlösen. Das ist schon eine schöne Summe von Künsten, und dennoch ist das nur die Vorbereitungsschule; bevor der Hund in all diesen Dingen nicht fest und ferm ist, sollte der Jäger mit ihm die Schweißarbeit nicht beginnen. Gegen diese Regel wird allerdings, aus Noth oder Ungeduld, vielfach gesündigt.

Es würde zu weit führen, wollten wir Schritt für Schritt der Schule folgen, welche Söllmann von der Stunde an durchzumachen hat, in welcher er zum erstenmal den rothen Schweiß (Blut des Wildes) zu kosten erhält. Er mag um zwei oder drei Jährlein älter werden und dann zeigen, was er gelernt hat. Da muß er auf gangbarem Boden am Riemen der Schweißfährte folgen, eifrig und doch nicht zu ungestüm; jedes Tröpflein Schweiß muß er „zeichnen“, damit der Jäger jede rothe Flocke untersuchen oder, wenn diese Zeichen nicht erfolgen und auch auf dem Schußplatz weder „Schnitthaare“ noch Schweiß zu finden waren, mit Sicherheit schließen kann, daß seine Kugel gefehlt hat. Wird das Gelände so unwegsam oder das Dickicht so streng, daß der Jäger dem ziehenden Hunde nicht mehr zu folgen vermag, so muß Söllmann, vom Riemen gelöst, ebenso ruhig und besonnen weitersuchen wie zuvor an der Hand des Jägers. Findet er das Wild im „Bette“ schon verendet, so muß er es so lange „todt verbellen“, bis der Jäger herbeikommt. Wird aber das noch kräftige Wild vor dem Hunde munter, so muß er dasselbe „stellen“, was ihm in manchen Fällen wohl erst nach langer und beschwerlicher Hetze gelingt. Auf dieser „freien Suche“ beweist der Gebirgsschweißhund die ganze Eigenart seiner Begabung und seines selbständig arbeitenden Instinktes, fast möchte man sagen: Verstandes. Da hört das Wild gar häufig zu schweißen auf, und dennoch darf er die einmal angefallene Fährte nicht mehr verlassen oder verlieren. Kein „Wiedergang“ und Seitensprung des Hirsches darf ihn täuschen, und wenn das flüchtende Wild über eine Kluft hinweg „fällt“, welche für die Kräfte des Hundes zu breit ist, muß ihm sein Orientirungssinn den nächsten Umweg zeigen und seine gute Nase muß ihn jenseit der Schlucht die richtige Fährte wiederfinden lassen. So oft und so lange er bei der Hetze das Wild erblickt, muß er es seinem Herrn durch lautes „Halsgeben“ anzeigen, und ist es ihm gelungen, den Hirsch zu stellen, so hat er unter unaufhörlichem Standlaut vor ihm auszuharren, bis der Jäger erscheint, um das Wild durch einen Fangschuß zu strecken. Das währt oft viele Stunden und manchmal den ganzen langen Tag, und es sind sogar Fälle zu verzeichnen, daß besonders tüchtige Hunde, wenn die Jagd nach irgend einem verlorenen Winkel ging, Tage und Nächte bei dem gestellten oder verendeten Wilde ausgehalten haben, und Fälle, in denen Hunde nach mehrtägiger Abwesenheit zurückkehrten und den im pfadlosen Bergwald suchenden Jäger aufspürten, um ihn zu der stundenweit entfernten Stelle zu führen, wo seine Beute zu finden war. Da mag man es wohl begreifen, wenn solch ein Hund dem Jäger um keine Summe feil ist, und mag es verstehen, wenn es von den beiden im Volksliede heißt:

„Und das is Dir a Lieb’
Ohne Falsch, ohne End’,
Und das is Dir a Lieb’,
Wo kein’ Eifersucht kennt.

Und ich und mei’ Hundei,
Wir zwei halten z’samm’,
Wie d’ Stern’ mit’n Himmi,
Wie der Wald mit die Baam’.“

Das alles, von Anfang bis Ende, lernt sich nun freilich für Söllmann nicht so leicht und schnell, wie es da gesagt ist. Und gar fleißig hat in dieser Schule das Haselnußstöcklein mitzureden. Es faßt und lernt der eine Hund wohl leichter als der andere, auch will ein jeder in dieser Schule nach seinem Temperament behandelt werden. Ein „weicher“ Hund will mehr mit guten Worten gezogen sein, ein Schlag zur Unzeit kann ihn für immer scheu und stützig machen; ein anderer wieder, einer von der „groben“ Art, der braucht seine gesunden Hiebe ebenso nothwendig wie die volle Schüssel. Der verständige Jäger wird in beiden Fällen das richtige Maß zu halten wissen, er wird seinen Hund weder verzärteln, noch durch grausame Strafen „verschlagen“. Allerdings giebt es auch Ausnahmen, aber sie beweisen immer jenen Satz, daß die falsche oder schlechte Behandlung des Hundes einen schlechten Jäger verräth. Solch einer wird sich schließlich auch des gealterten Hundes ohne sonderliche Gemüthsbewegung entledigen, während dem echten Weidmann mit dem Verluste seines Hundes immer ein Stück eigenen Lebens vom Herzen geht. Es ist aber auch eine harte Sache für den Jäger, wenn er dem treuen Gesellen, mit dem er in einsamer Höhe Leid und Freud’ getheilt hat durch lange Jahre, die Kugel geben muß, um das von Alter und Strapazen gebrochene Thier doch wenigstens vor elendem Siechthum zu bewahren. – –

Da kommt mir die Erinnerung an einen Oktobertag, an dem ich zur Hirschbrunft auf die Berge stieg. Der Jäger, welcher mich führen sollte, erwartete mich in der Jagdhütte. Ich freute mich schon des lustigen Alten, machte aber verdutzte Augen, als ich seine trübselige Miene sah und den mürrischen Gruß hörte, den er mir bot. „Ja was is denn?“ meinte ich kopfschüttelnd. „Was machst denn Du heut für an Kopf? Mir scheint, heut’ hast an schiechen Tag?“

„Ja,“ murrte er mit heiserer Stimme vor sich nieder, „woltern an schiechen Tag! Mein’ Söllmann hab’ ich derschießen müssen – weißt, weil’s halt gar nimmer mit ihm ’gangen is. Den ganzen Sommer hab’ ich ihm noch ’s Gnadenbrot ’geben – aber den Winter hätt’ er nie nimmer überstanden – auf ei’m Aug’ hat er schon nix mehr g’sehen, und ’s Schnaufen hat er auch bald nimmer vermocht. No mein, da hat’s schon ihm z’lieb sein müssen, wann’s mich gleich so viel hart an’kommen is – denn so an Hund giebt’s ja gar nimmer, und wie der an ei’m g’hängt is, das kann ich kei’m Menschen net sagen! Aber no – – heut’ in der Fruh, da hab’ ich ihm fürs letztemal noch a Fleisch auf’kocht, und nachher hab’ ich ihn ’nausg’führt ins Holz, an a recht a schöns Platzl hin. G’wiß wahr, dreimal hab’ ich auffahren müssen mit der Büchs, so viel haben meine Händ’ ’zittert – und wie ich’s dengerst z’samm’bracht hab’, da hat er sich g’streckt im Schnall – a kleinwunzigs bißl hat er noch g’wedelt – und g’rad a wengerl hat er den Grind noch g’hoben und hat sich umg’schaut nach meiner, mit zwei so trübe, traurige Augen, wie wann er im letzten Schnaufer noch sagen hätt’ mögen: So? so machst es Du mit mir – mit mir …“

Dem Alten schlug die Stimme über; schnüffelnd fuhr er sich mit dem Aermel über die Nase und wandte sich ab, damit ich die Zähren nicht sehen sollte, die ihm über die furchigen Backen niederkollerten in den grauen Bart.




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