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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

noch schlimmer, von ihr geliebt zu werden! … Soll sich in acht nehmen, der brave Hattwyl! Bruder, Vater, Bräutigam …“

Die Gräfin fiel ihm rasch ins Wort.

„Bruder? Vater? Bräutigam sagt Ihr? So kennt Ihr das Mädchen? Wer ist sie? Sprecht!“

Glatt wie ein Aal entwand sich aber Lerche ihrer Frage.

„Wie sollt’ ich das Mädchen kennen! Ihr habt sie ja gesehen, nicht ich, und nur vom Hörensagen kenne ich des Hauptmanns Liebe.“

Des Hauptmanns Liebe! … Wenn man von Eckarts Liebe sprach, so war also jene andere gemeint! … Vom Hörensagen! … Die ganze Stadt wußte also davon! … und sie, die Verschmähte, die Verlachte, sie hätte nicht auf Rache sinnen sollen gegen den Verräther? Auch sie war eine Sicilianerin – und der Verächter sollte es erfahren! Da – es kam wie eine mahnende Antwort auf den Sturm, der sich in ihrem Herzen zusammenzog – da flüsterte leise, keinem andern hörbar, Scagliones Stimme in ihr Ohr: „Die Rache ist ein Gericht, das kalt genossen werden muß!“

Und siehe! Was war mit ihr geschehen? Mit ihrem verführerischen Lächeln auf den Lippen wandte sich die Gräfin zu dem Herzog. „Reicht mir den Arm, Excellenz!“

Und zu den Umstehenden gewendet, fügte sie mit huldvoller Grazie hinzu: „Sie werden mich wohl einen Augenblick entschuldigen; Staatsgeschäfte bespricht man unter vier Augen.“

Als sie sich allein mit dem Herzog in einem dem Gewoge des Festes entzogenen Boudoir sah, blieb sie vor dem Gouverneur stehen, und mit der süßesten Stimme, die ihr zu Gebote stand, und in dem flehend natürlichsten Tone sagte sie zu ihm:

„Excellenz! Diesem, einem Ihrer besten Offziere, droht Gefahr; Lerche wollte es nicht aussprechen; er weiß es aber wohl besser als wir alle – denn er verkehrt ja mit allen. Bruder, Vater, Bräutigam sind da, die das Mädchen an dem fremden Liebhaber zu rächen trachten. Darf ich den allmächtigen Gouverneur um eine Gnade bitten?“

„Eine Gnade, schönste Frau? Eine Gnade werdet Ihr mir verleihen, wenn Ihr mir erlaubt, einen Eurer Wünsche zu erfüllen.“

„Darf ich? und ist meine Bitte erhört?“

„Was verlangt Ihr von mir, Teresina? Sprecht, und morgen ist Eure Bitte erfüllt!“

„Morgen schon? … Morgen ist wohl zu schnell! … Die Gefahr, die dem jungen Manne droht, ich kenne sie ja noch nicht. Aber am Tage, wo ich sie wissen werde, dann gelobet mir, zu erfüllen, was ich … für den Hauptmann … von Euch erbitten werde!“

„Mein Wort habt Ihr.“

Sie reichte ihm die Hand; er drückte einen langen Kuß darauf.

Als sie am Arme des Herzogs die Runde in ihren Salons machte und nach rechts und links mit leicht lächelnder Gebärde grüßte, da sang tief unten in ihrem Herzen eine nimmer zum Schweigen zu bringende, immer wieder das Geräusch der Unterhaltungen und der fröhlichen Tanzmusik durchbrechende, leise flüsternde Stimme den Kehrreim des sicilischen Liebesliedes:

„Die Rache ist ein Gericht, das kalt genossen werden muß.“


6.

Langsam kletterte in den ersten Nachmittagsstunden des folgenden Tages der Esel, auf dessen Rücken Romeo seine Reise unternommen hatte, den letzten, steilen Felsenweg hinan, der vom Meere zu dem alten Sarazenenneste von Taormina führt.

Wie würde wohl die Antwort lauten, die Romeo von dort oben zu holen kam? Seinen alten Freund, den der Palermitaner Mönch gestern schlechtweg Don Filippo und den er selber mit so energischer Betonung den Marchese genannt hatte, kannte er seit langen Jahren; er wußte, daß auch er in früheren Zeiten von einer Gemeinschaft mit Briganten und mit der Maffia nichts hätte wissen wollen; – aber war er jetzt noch der alte? Konnte man nach den schweren Schicksalsschlägen, die in den jüngsten Monaten auf ihn niedergeschmettert waren, noch auf seine früheren Gesinnungen zählen? Und würde er nicht, in seinem nur allzugerechten Zorn und auch in Vermengnug seiner persönlichen mit der gemeinsamen sicilischen Sache, bereit sein, nur um sich an seinen Feinden zu rächen, zur ersten besten, – auch zu gemeinsten Waffe zu greifen?

Don Filippo mit seinem urgermanischen Gepräge, mit seinem früher blonden, jetzt weißen Haupthaar und seinen blauen Augen, mit seinen breiten Händen und breiten Füßen, mit seinem alle andern um eine Kopfeshöhe überragenden herkulischen Wuchs und mit seinem derben, fast bäuerischen, rücksichtslos geraden Wesen war eine seltsam gewaltige Erscheinung inmitten jener Mischrasse von Griechen, Römern und Sarazenen. Er war der letzte Abkömmling einer der im elften Jahrhundert mit den Normannen- und Schwabenkönigen nach Sicilien eingewanderten Baronenfamilien, und machte man ihm auch heute das Recht streitig, den Namen seiner Ahnen und den Titel eines „Marchese della Rovere, Barone di Roccafiorita“ zu tragen, so stand dies Recht doch in unauslöschbarem Gepräge in seinen Gesichtszügen und seiner ganzen Gestalt, andrerseits aber auch in seinen sorgfältig in eiserner Truhe aufbewahrten Familienurkunden eingeschrieben.

Eigenthümlich genug und für die damaligen Zustände bezeichnend war die Geschichte des Prozesses, der den alten Edelmann aus der Gemeinschaft seiner Standesgenossen ausgeschieden und aus dem Marchese vorderhand einen einfachen Bürgerlichen gemacht hatte. In früheren Jahren hatte sich Don Filippo eben so wenig um die Verwaltung seiner Güter gekümmert, als dies sein Vater und Großvater gethan hatten; er hatte sich damit begnügt, am Ende jedes Vierteljahres, ohne zu zählen noch nachzurechnen, seine Einkünfte aus der Hand seines Verwalters, des Rechtspraktikanten Giuseppe Russo, einzukassieren; er hatte nicht daran gedacht, sich bei diesem reichbezahlten Diener zu erkundigen, wie es mit seinem Vermögen stehe, und war höchlichst erstaunt, als ihm derselbe eines Morgens mit unterthänigster Verbeugung eröffnete, die Schulden des gnädigen Herrn wären nun so hoch gestiegen, daß man an eine Veräußerung der Liegenschaften in Roccafiorita und des alten Schlosses della Rovere denken müßte; es lägen sehr vortheilhafte Anerbieten zum Ankaufe dieser ohnedies werthlosen Besitzungen vor; das sogenannte Schloß della Rovere sei ja nichts als ein mit Einsturz drohender Haufen Steine, die Oliven- und Citronengärten von Roccafiorita kosteten mehr, als sie eintrügen, und durch den Verkauf dieser unnützen und kostspieligen Ländereien befreie sich der Marchese nicht nur von seinen Schulden, sondern verschaffe sich auch noch eine erhebliche Summe flüssigen Geldes, die ihm erlauben würde, den Palazzo in Taormina besser in stand zu setzen und die damit zusammenhängenden weit erträglicheren Grundstücke ausgiebiger zu verwerthen. Wie unerwartet diese Eröffnung auch dem Marchese kam, so mußte er sich doch dazu bequemen, den Rath seines Verwalters zu befolgen. Schloß und Acker wurden verkauft, und zwar mit solcher Eile, daß es fast schien, als sei die Sache schon längst mit dem Käufer abgekartet gewesen, um so mehr, als letzterer kein anderer war denn der weit und breit als der schlaueste Fuchs und geriebenste Geschäftsmann bekannte Bankier Lerche, von dem die Steine auf den Straßen erzählten: keiner verstehe besser als er, den altadeligen in Schulden versunkenen Geschlechtern aus ihrer Verlegenheit, sich selber aber, dank diesem geschickten Zuvorkommen, zu einem der beträchtlichsten Vermögen von ganz Messina zu verhelfen. Die Hälfte wohl der früheren Feudalbesitzthümer war durch seine Hände gegangen, denn er kaufte nur, um wieder zu verkaufen.

Auch diesmal blieb des Marcheses Besitzthum nicht in seinen Händen hangen. Zur nicht geringen Verwunderung des alten Edelmanns entpuppte sich nach einiger Zeit sein Rechtspraktikant Giuseppe Russo in höchst eigener Person als sein endgültiger Nachfolger in Rovere und in Roccafiorita; so unnütz und so kostspielig mußten denn doch die Steinhaufen und Oelbäume nicht gewesen sein! Die Verwunderung des Marchese schlug aber in grimme Entrüstung um, als er wenige Tage nachher einen Brief von seinem ehemaligen Verwalter empfing, in welchem ihm derselbe mit der ausgesuchtesten Höflichkeit mittheilte, daß er sich von nun an, auf Anrathen seiner Familie und obgleich er selber gar wenig von solchen Aeßerlichkeiten und Nobilitätstiteln halte, den Titel und das Wappen eines Marchese della Rovere, Barone di Roccafiorita beizulegen gedenke; das Recht dazu besitze er unstreitig, da aus den noch in Händen des „bisherigen“ Marchese sich befindenden, von ihm aber in beglaubigter Abschrift bei den Gerichten niedergelegten Urkunden klar hervorgehe, daß der Marchesentitel an dem Besitze des Schlosses und Grundeigenthums hänge und folglich durch Ankauf auf ihn, Giuseppe Russo, übergegangen sei. Er schloß mit dem ehrerbietigen Erwarten, daß der „bisherige“ Marchese ihm wohl die Originalurkunde einhändigen und seinerseits seinen „bisherigen“ Titel „zur Vermeidung von unliebsamen Verwechselungen“ ablegen werde.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_600.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)