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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

zu ihr herab. Die Gräfin hatte das Mädchen erkannt; wie festgewurzelt blieb sie einen Augenblick stehen; dann wandte sie sich zu Scaglione.

„Abbate!“ flüsterte sie ihm mit bebender Stimme ins Ohr, „seht Euch diese Dirne an! Ich muß wissen, wer sie ist, wie sie heißt, wo sie wohnt.“


5.

Während des Essens wurde in dem Kreise der Mönche und der Volksführer mit keinem Worte der vorhergegangenen Besprechung erwähnt; alle plauderten vergnüglich zusammen, als wären sie nur zu harmloser Geselligkeit versammelt; selbst Salvatore fand fröhliche Worte, und unter Lachen und Scherzen brach die Nacht herein. Als sie sich endlich erhoben, wandte sich Romeo zu seiner Tochter.

„Felicita,“ sagte er, „Du wirst im Wagen unseres Freundes Merlo nach Hause fahren; ich kehre heute nicht nach Messina zurück.“

„Wo gehst Du hin, Vater?“ fragte sie, und es flog wie ein banges Ahnen durch ihr Herz, als sollte die Abwesenheit des Vaters die Pforte ihres Hauses einem drohenden Unglück eröffnen.

„Zu den Freunden nach Taormina und Milazzo muß ich reisen; in acht Tagen bin ich wieder zurück. Nina,“ fügte er zu ihrer Begleiterin gewendet hinzu, „hüte mir meine Tochter sorgsam; in die Stadt soll sie mir nicht gehen, nur zur Kirche im Badiazzakloster!“

„Trägst Du Deinem Vater keine Grüße für Antonino auf?“ fragte Salvatore das Mädchen.

Verwundert schaute sie ihn an.

„Weshalb sollte ich’s? Ein Mädchen, sagst Du ja selber, darf sich nichts mit jungen Männern zu schaffen machen.“

„Dem Bräutigam aber darf jede …“

Scharf schnitt sie ihm aber das Wort ab.

„Antonino ist doch nicht mein Bräutigam! … Einen Bräutigam habe ich nicht.“

Das Wort flog rasch und kräftig. Das Mädchen erröthete dabei bis zu den Wurzeln ihrer Haare. Was war es doch, das dabei so besonders in ihrem Herzen klopfte?

Salvatore hatte sich zu Romeo gewendet.

„Was die Väter verabredet …“

„Lassen wir das, Salvatore! Du weißt ja, sie denkt nicht wie wir darüber. Bringe sie glücklich nach Hause; ich danke Dir zum Voraus.“

Und als hätte niemals auch nur die kleinste Wolke ihre Eintracht getrübt, schüttelten sich die beiden die Hände zum Abschied.

„Was nur der schweizer Offizier dort hinten noch so spät auf der Landstraße zu suchen hat?“ sagte beim Heimfahren Salvatore, indem er mit der Peitsche auf zwei Reiter deutete, die in gemessener Entfernung hinter dem Wagen hertrabten.

Felicita sah sich um. Das helle Mondlicht leuchtete über Meer und Berge.

„Wird’s Dir zu kühl, Felicita?“ fragte Salvatore, als er sah, daß sie ihre Mantille fester über den Kopf zog.

Nicht kühler war es ihr geworden: wie eine Welle heißen Blutes war es ihr zum Herzen geschossen, als sie in dem vorderen Reiter den Offizier aus dem Klostergarten erkannte.

Still und leer lagen die Straßen Messinas, in welche das kleine Fuhrwerk zu später Stunde einlenkte. In der Mitte der Straße Ferdinanda, wo die Paläste der Aristokratie lagen, leuchtete die Fensterfassade eines einzigen Hauses in vollem Lichterglanze; in dem weiten Hofe hielten herrschaftliche Wagen, ein betreßter Diener stand unter dem Portal.

„Guten Abend, Benedetto!“ rief ihm im Vorbeifahren Salvatore zu; „habt Ihr wieder Gäste?“

„Empfangsabend der Gräfin!“ antwortete der andere; „nimmer Ruh in diesem Hause!“

„Wird auch schon ruhiger werden!“ warf Salvatore zurück und ließ die Peitsche knallen.

„Wollen ’s abwarten!“ tönte es lachend dem Davonfahrenden nach. –

In den weiten Räumen des Palastes Cellamare herrschte ein reges Leben. Hier versammelten sich einmal in der Woche die alten adeligen Familien, die Offiziere, die höheren Beamten, alles, was noch zum Könige hielt. Auch der Herzog von Montalto, der Gouverneur von Messina, beehrte seit kurzem diese Abende mit seiner Gegenwart. „Je drohender die Gefahr,“ meinte er zu seinen Freunden und Untergebenen, „desto enger müssen sich die Königlichen zusammenscharen.“

Als einer der letzten erschien heute der Herzog. Mit ritterlicher Grazie küßte der alte Edelmann die Hand der Gräfin.

„Früher wohl,“ sagte er zu ihr, „hätte mich mein Herz hierher gezogen, aber der Dienst unseres Königs verbot es; ich mußte Nachricht erwarten von San Placido, wo unsere Feinde heute zusammen beriethen.“

Die Gräfin zuckte leicht zusammen: „Der Dienst?“ Dasselbe Wort hatte sie heute schon einmal gehört.

„Sind Sie wirklich der Meinung, Excellenz,“ fragte sie mit einem seltsamen Lächeln, „daß des Königs Dienst jederzeit dem Frauendienst vorzugehen habe?“ Ihr Auge flog bei diesen rasch hingeworfenen Worten der Thür zu, die sich einem neuen Gaste, einem schweizer Offizier, geöffnet hatte; – der, den ihr Blick wohl suchen mochte, war aber nicht hereingetreten.

„Schönste Gräfin!“ antwortete der Herzog, „wenn Ihr mir erlaubtet, Euch meine Königin zu nennen, so ginge Frauendienst jedem andern vor.“

Der Major von Büren war zu der Gräfin hingetreten.

„Kommt Ihr ohne Euren Freund, den Hauptmann von Hattwyl?“ fragte Teresina.

„Den Hauptmann, gnädige Frau, gedachte ich hier zu treffen; er ritt zu Ihnen nach San Placido.“

Ein schelmisches Lächeln spielte um des Herzogs Lippen.

„Wie werden wir den Abwesenden zu ersetzen vermögen?“ meinte er.

Die Gräfin schien den neckenden Scherz nicht zu verstehen.

„Ach, ja! San Placido!“ antwortete sie lachend. „Ja! wohl haben wir Ihren Abtrünnigen dort gesehen! Im Klosterhofe hatte er sich ein Rendezvous mit einem bildschönen Mädchen bestellt. Dort sahen wir beide – nicht wahr, Scaglione, ein reizendes Bild! und eine köstliche Idylle! Am sprudelnden Brunnen – im lauschigen Gange! – sie reicht ihm eine Blume – er drückt sie an sein Herz – sie flieht in das Kloster – er setzt ihr nach – der Brunnen plätschert das ewige Lied von der ewigen Liebe dazu.“

„Eine Sicilianerin?“ fragte rasch und bestürzt der Major.

„Nun ja, eine Sicilianerin! An was Besonderes denkt Ihr denn dabei, Herr Major?“

Dem nach einer passenden Antwort Suchenden half der Herzog aus der Verlegenheit. „Wer kennt nicht des Hauptmanns Abenteuer und sein Frauenglück! Die plätschernden Brunnen scheinen darin eine ganz besondere Rolle zu spielen; die Unfindbare, die er bei dem Brunnen von San Gennaro aus den Händen der betrunkenen Matrosen errettete, beim Brunnen von San Placido hat er sie wohl wieder gefunden, der glückliche Schwärmer.“

Das Herz der Gräfin schnürte sich zusammen. „Wer kennt nicht des Hauptmanns Abenteuer und dessen Frauenglück?“ Und vor ihr hatte er mit keiner Silbe dieses Abenteuers erwähnt. Sie hatte sich also nicht getäuscht, als ihr Zorn und ihre Eifersucht dort im Klosterhofe in hellen Flammen aufloderten. Nein, noch viel schändlicher, als sie es dort ahnte, war sie von ihm mißachtet worden, und wie der frechste Hohn klang jetzt in ihren Ohren die Entschuldigung wieder, die er ihr dort unter den Orangenbäumen entgegengestammelt hatte. Sie mußte sich Gewalt anthun, um die wild in ihrer Brust auftobenden Gefühle zu unterdrücken. Das Lächeln verschwand nicht von ihren Lippen; kaum merkbar spielte nur ein grimmig spottender Zug um ihre Mundwinkel, als sie langsam erwiderte:

„Ach, wie schade! Da hätte ich ja beinahe, ohne es zu ahnen, ein schönes, langerhofftes Liebesglück gestört! Das Mädchen, sagtet Ihr, hatte er dorthin bestellt? … Ei, seid mir gegrüßt, Herr Bankier Lerche! wie freundlich, daß Ihr uns nicht vergeßt! … und nun haben sie sich gefunden! – Wußtet Ihr auch schon, Lerche, von dem Liebesglücke unseres Freundes, des Hauptmanns von Hattwyl?“

Lerche schaute sich behutsam forschend um.

„Aengstigt Euch doch nicht, Lerche!“ lachte der Herzog, dem sonderbaren Menschen auf die Schulter klopfend, „Ihr vergebt Euch nach keiner Seite etwas; wir kennen alle die Geschichte.“

„So darf ich sie auch kennen,“ antwortete schief lächelnd Lerche. „Dummes Zeug, die Liebe! Hab’s den jungen Offizieren schon oft wiederholt … eine Sicilianerin lieben ist eine schlimme Sache! …

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_599.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)