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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 36.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Sicilische Rache.

Ein Kulturbild aus den vierziger Jahren von A. Schneegans.
(Fortsetzung.)


4.

In einer kleinen Zelle im ersten Stockwerke des Klostergebäudes waren mehrere Männer versammelt; vor der Thür hielt ein altersgrauer Mönch Wache und bat mit gedämpfter Stimme die Nahenden, die Andacht des Priors und der Aeltesten nicht zu stören. Von einer andächtigen Stimmung war freilich dort drinnen nichts zu merken; auch waren es nicht lauter Mönche, die um den grobgezimmerten Tisch Platz genommen hatten. Dem Prior gegenüber saß, in einfacher Bürgerkleidung, ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren, unscheinbar, in etwas gebeugter Haltung, den mit dichtem, schon silberdurchzogenem Haarwuchse bedeckten, zwischen den Schultern eingesunkenen Kopf nach vorn geneigt. Seine breiten Hände und dicken Finger deuteten auf einen Arbeiter; aus seinem klugen, jugendlich blitzenden Auge leuchtete aber eine Klarheit des Denkens und eine selbstbewußte, ihres Zieles sichere Kraft des Wollens, die auf eine nicht gewöhnliche Bildung schließen ließen, und zugleich schaute das Auge mit so langsam bedächtigem Ueberlegen von einem Sprecher zum andern, daß man sich fragen mußte, ob diese schlichte Kleidung und dies bürgerlich einfache Aeußere nicht einen andern als einen gemeinen Handwerker verbärgen. Dem war jedoch nicht so, denn dieser Mann war kein anderer, als Romeo, der Tischlermeister aus der Straße Ferdinanda in Messina, – dieser aber war wieder kein Geringerer, als der von den kleinen Leuten vergötterte, von den Großen gefürchtete und gehaßte mächtige Capo Popolo, von dessen Wort und Wink die Ruhe und Sicherheit der Stadt und der Provinz abhingen, der mit einer Silbe, mit einer Gebärde die nur leise schlummernden Leidenschaften des Volkes zu hellem Aufruhr zu erwecken oder, sofern es ihm nöthig schien, die immer ungestümer drohende Revolution zu beschwichtigen, die drängenden Genossen zu längerem, vorsichtigem Aufschieben zu veranlassen vermochte. In keinem Herzen brannte flammender als in Romeos der Haß gegen den Bourbonen; keiner ertrug mit tieferem Ingrimm als er das Joch der Neapolitaner; keiner erwartete mit größerer Ungeduld den Tag, wo das Volk sich in offenem Kampfe gegen die Unterdrücker erheben würde. Nur von offenem und ehrlichem Kampfe wollte aber Romeo wissen, und mit seinem Genossen, dem andern messinesischen Volksführer, dem alten Salvatore Merlo, der heute neben ihm an des Priors Tische saß, war er öfters deshalb in Streit gerathen. Denn mit allen und jeglichen Mitteln, meinte dieser, sei der Bourbonenwirthschaft ein Ende zu machen; das Vorbild der sicilianischen Vesper dürfe nicht vergessen werden, und mit Hilfe der geheimen Gesellschaften, der Maffia und der Briganten, käme man schneller und sicherer zum Ziele als mit einem ungleichen Kampfe des schlechtbewaffneten Volkes gegen die kriegstüchtigen und zu allem entschlossenen schweizer Regimenter.


Bianca.
Studienkopf von F. Dvoràk.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_597.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)