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einverstanden, so besiegelt ein frohes Mahl, das sogenannte „Brautvertrinken“, die Wichtigkeit des Tages, wobei freilich „die Mitgift“ das Hauptgespräch bildet. Vier Wochen nach dem „Vertrinken“ folgt der Ringwechsel, das „Eigenmachen“, das im Pfarrhause in Gegenwart von zwei Verlobungszeugen erfolgt. An dem darauf folgenden Familienfest betheiligen sich die zwei neuen „Freundschaften“ (Verwandtschaften), dann beginnen die Zurüstungen zur Hochzeitswoche. Der „Altknecht“ schickt sechs Brüder (die Unverheiratheten gehören alle zur „Brüderschaft“) in jedes Haus des Dorfs, welche die Hausthür öffnen und den Ruf erschallen lassen: „Bringt Rahm!“ eine Aufforderung, ins Hochzeitshaus irgend eine freundliche Gabe zu senden. Und in der That beeilt sich dann jeder, Milch, Rahm, Speck, Fleisch dorthin zu liefern. Am Trauungstage selbst, dem Ehrentage, begeben sich zwei Freunde des Bräutigams, die sogenannten „Lader“, im Sonntagsschmuck und mit einem buntbemalten Stock, dem „Laderstöckchen“, versehen, zu allen Verwandten des Bräutigams und der Braut, um sie nochmals zum Hochzeitsschmaus einzuladen. Ist die Trauung vollzogen, so gehen beide Freundschaften unter Vorantritt eines guten Sängers und unter Absingung eines Kirchenliedes ins Haus des Bräutigams. Bei diesem Einzug findet die Braut im offenen Thore vor einem umgeschlagenen Bottich, der als Pult dient, eine vermummte Gestalt mit langem weißen Bart, die ihr und ihrem Gefolge so lange den Eingang zu wehren sucht, bis die Köchin des Hochzeitsschmauses einen Aschentopf vor den Bottich geworfen hat. Im Hofe beginnt Beschenkung des jungen Paares von seiten aller Hochzeitsgäste, wobei der Vater der Braut seinem Schwiegersohn einen blanken Pflug als Symbol seines Berufes überreicht. Außerdem giebt es bei der Hochzeit, die dann durch Festmahl und Gesang gefeiert wird, allerlei Mummereien. Der Hochzeitsprediger, mit langem grauen Bart, in ein langes weißes Gewand gehüllt, reitet auf den Schultern eines Knechtes unter die Gäste und hält eine humoristische Predigt, in welcher er die Gegenstände der Mitgift bespricht. Dann folgen oft pantomimische Darstellungen, das sogenannte „Königslied“ und vor allem der „Rößchentanz“, bei welchem nach längerer dramatischer Einleitung zwei Rößchen in weißen Strümpfen, mit farbigen Tüchern und Bändern behangen, zur Belustigung der Gäste tanzen. Oft findet auch das „Gänserennen“ statt, bei welchem junge Burschen in wildem Rennen unter einem quer aufgespannten Seile hindurchreiten und, in den Steigbügeln aufgerichtet, den herabhängenden Kopf einer Gans oder schwarzen Henne abzureißen suchen. Am zweiten Hochzeitstage, „dem Jungfrauentage“, versammeln sich die Gäste im Hause der Braut, wo Vermummte die junge Braut erwarten und ihrem Gatten rauben, der sie dann im Kampfe zurückerobern muß.

Diese Sitte des Brautraubes findet sich ja in mannigfachen Formen bei den verschiedensten Völkern.

Die Edelfäule. Alte Weinkenner am Rhein behaupten, daß man erst im Jahre 1822 gelernt habe, aus edelfaulen Trauben den köstlichsten Wein zu bereiten. In jenem Jahre war der Sommer dem Weinstock außerordentlich günstig, so daß schon Ausgangs September eine Ueberzeitigung eintrat und gelesen werden mußte. Die Weinbauer wurden dadurch sehr unangenehm überrascht, da allgemein der Oktober als Herbstmonat gilt und um jene Zeit Vorbereitungen zum Empfang des neuen Gastes getroffen werden. So kam es, daß an vielen Orten „eine faule Brühe“ gelesen wurde. Der Wein, den man erzielte, erwies sich jedoch ausgezeichnet, und man erzählt (vgl. J. Schlamp „Die Weinjahre des 19. Jahrhunderts“), daß auf dem Johannisberg nur zwei Stück zu 1200 Litern geherbstet wurden, diese aber auch dafür alle Erwartungen übertrafen. Der mildere Wein wurde Braut genannt und zu 15 000 fl. verkauft, der kräftigere erhielt den Namen Bräutigam und wurde mit 16 000 fl. für das Stück bezahlt. Seit jenem Jahre wurde der Werth der Edelfäule anerkannt; die „Gartenlaube“ berichtete darüber in dem Artikel „Aus der Zeit der Weinlese“ in Nr. 44 des Jahrganges 1884. Es dauerte aber lange, bis die Edelfäule wissenschaftlich erklärt wurde. Neuerdings ist dies gelungen, und wir entnehmen einer lehrreichen Arbeit von Dr. Hermann Müller-Thurgau folgendes:

Die Edelfäule wird hauptsächlich durch einen besonderen Pilz verursacht, der Peziza Funckeliana heißt. Die günstige Wirkung dieses Pilzes beruht nun darauf, daß er in den Beeren Zucker und Säure verzehrt, aber stets mehr Säure als Zucker; dabei verlieren die Beeren an Wassergehalt, so daß der Most zuckerreicher und säureärmer wird. Das ist das Geheimniß der Edelfäule, welches durch zahlreiche mühevolle Versuche und Analysen festgestellt wurde. Die Peziza Funckeliana ruft jedoch nur bei wenigen Traubensorten diese günstigen Veränderungen hervor. In erster Linie ist es der Riesling, dessen edelfaule Trauben die herrlichsten Weine des Rheingaues, die besten Sorten der Mosel- und Saarweine, die feurigen Franken- und vollen Haardtweine liefern. Dagegen führt das Befallen durch den Pilz bei den sogenannten „weichen“ Sorten entschieden zum Nachtheil.

Die Edelfäule zerstört bekanntlich das Rieslingbouqnet, erzeugt aber dafür ein anderes, welches dem Sherrybouquet ähnlich ist.

Neben der Peziza befällt noch ein anderer Pilz die Trauben: der bekannte Pinselschimmel (Penicillium glaucum); dieser verdirbt den Most und die Winzer werden von jetzt ab noch mehr darauf achten müssen, daß bei der Auslese die vom Pinselschimmel befallenen, eine schmutzig hellgrüne bis gelbliche Färbung zeigenden, speckig faulen Beeren ganz entfernt werden.

Peziza Funckeliana wollen wir in Ehren halten; sie ist eine der „wohlthätigen Mikroben“, vor denen die Menschen sich nicht durch Karbol- und Salicylsäure zu schützen brauchen. *

Taschenflora des Alpenwanderers. Wer in die Alpen wandert, dem thut sich eine neue Welt auf, und diese neue Welt schmückt sich auch mit ganz eigenartigen Blumen. Seit lange ist die Alpenflora der Gegenstand sorgfältigster Studien, und wir besitzen prachtvolle Darstellungen derselben, Werke, die wahre Kunstwerke sind. Leider kann man sie nicht in die Tasche stecken und bis zu der Gletscherregion hinauftragen; sie sind keine Taschenbücher. Und doch würde so manchem Touristen ein „Bädeker“ durch die alpine Pflanzenwelt recht willkommen sein, denn nur zu oft fesseln Alpenblumen seine Aufmerksamkeit und er kennt sie leider nicht. Zwei Brüder, Ludwig Schröter, naturwissenschaftlicher Zeichner, und Dr. C. Schröter, Professor der Botanik am eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, haben sich zusammengethan, um eine solche „Taschenflora des Alpenwanderers“ herauszugeben. Das Büchlein ist im Verlage von Meyer und Zeller in Zürich erschienen und bringt uns farbige Abbildungen von 115 der verbreitetsten Alpenpflanzen nebst ganz kurzen botanischen Erklärungen derselben. Es beansprucht keinen besonderen wissenschaftlichen Werth, für den Touristen aber, der gleichzeitig Blumen- und Pflanzenliebhaber ist, bildet es den längst vermißten „Bädeker“ der Alpenflora. In diesem Sinne sei es für die Wanderzeit empfohlen. *

Die Schlange im Paradiese. Unter diesem Titel hat Rosenthal-Bonin einen Novellenkranz (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt) veröffentlicht, der einen mannigfachen, bunten Inhalt bietet. Der Vorzug dieser kleinen Erzählungen besteht darin, daß sie alles Langathmige vermeiden, während wir den eingefädelten Verwicklungen mit Spannung folgen. Da werden wir durch die weite Welt geführt, in die Umgegend des meerbeherrschenden Genua, an das „Goldene Horn“, an die Spielbank von Monaco, in die Hauptstadt Kaliforniens. Die Schilderung versetzt uns mit ein paar kräftigen Zügen rasch in die Landschaft, in das Volksleben der verschiedenen Erdregionen. Eine Türkensklavin in Konstantinopel, welche einen dort lebenden Deutschen auf eine Zeitlang so verzaubert, daß er sie als Gattin heimzuführen beabsichtigt, bis er sich eines Bessern besinnt und eine für ihn schwärmende deutsche Witwe heirathet, ist die Heldin der einen Erzählung; in einer andern ist es eine schöne spanische Witwe in San Francisko, welche ihre Hand einem viel umhergetriebenen Manne reicht, der zuletzt als Straßenschreiber sich durch die Abfassung von Liebesbriefen sein spärliches Brot verdient. „Eine Aschermittwochsgeschichte“ knüpft an die zufällige Begegnung eines nach einem Maskenball in der Weinlaune über die Straße spazierenden Herrn mit einer schwerhörigen jungen Dame eine ganze Reihe von Verwicklungen, einen Wortwechsel mit dem Begleiter der letzteren, ein Duell zwischen diesem und dem übermüthigen jungen Manne, welcher sich bald darauf als der ausgezeichnete Specialarzt entpuppt, der die Dame von ihrem Leiden erlösen soll und dem zu Liebe sie in diese Stadt gekommen ist. Natürlich finden sich die Herzen und der bisherige Beschützer der jungen Dame hat das Nachsehen. Pikant ist die Erzählung „Die schwarze Rose“. Eine junge Kokette verlangt von ihrem Verehrer für den Ballabend ein solches Blumenwunder. Dieser weiß sich nicht anders zu helfen, als daß er ihr eine schwarzgefärbte Rose überreicht; doch diese heimtückische Blume entfärbt sich am Ballabend. Der maßlose Zorn der Schönen klärt den Verehrer darüber auf, daß er eine schlechte Wahl getroffen, als er diesem eiteln und herzlosen Mädchen huldigte, und er schenkt der anmuthigen Blumenverkäuferin Herz und Hand. Die Skizze „Haschisch“ enthält eine lebendige Schilderung der Wirkungen dieses Giftes, und seiner Vorliebe für Thierbilder huldigt der Autor wieder in der Geschichte „Henri Martin“. Es ist dem verschiedenartigsten Geschmacke in dieser Novellensammlung Rechnung getragen; nur das einzige verbotene Genre, das Langweilige, ist nicht darin vertreten.




Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Antragen werden nicht berücksichtigt.)

Otto P. in W. Der Bau der ersten sogenannten Trambahnen fällt, wie Sie richtig vermuthen, in den Anfang dieses Jahrhunderts. In den englischen Bergwerksdistrikten gewann die Eisenbahn, das heißt die zur bessern Bewegung der Förderwagen in den Zufuhrstraßen zu den Fabriken und Kohlenminen erbaute Holzbahn mit Eisenbelag, schon Ende des vorigen Jahrhunderts immer mehr an Ausbreitung. Jedoch erst im Jahr 1800 baute ein gewisser Outram in Derbyshire wirkliche Eisenbahnen im heutigen Sinne mit eisernen Schienen auf Steinunterlagen, welche nach ihrem Erfinder Outramways, auch blos Outrams oder Tramways benannt wurden und bald eine weite Verbreitung fanden. Später übertrug man den Namen Tramway auf die von Pferden gezogenen, der Personenbeförderung dienenden Schienenbahnen im Gegensatze zu den Lokomotivbahnen, die man Railways, Eisenbahnen, nannte.

F. M. in Genf. Ihre Mittheilungen treffen nicht zu. Die Sorbonne in Paris hat ihren Namen von einem Geistlichen, Robert de Sorbon, der im 13. Jahrhundert aus tiefer Armut, durch Almosen guter Leute unterstützt, sich emporschwang, die Weihen erhielt und Kapellan des Königs Ludwig des Heiligen wurde. In Erinnerung seiner harten und entbehrungsreichen Jugend wünschte er andern die Wege zu ebnen, erbat und erhielt von der Königin Blanca, damals Regentin, ein Haus zur Aufnahme armer Schüler, die dort in einer Art von kirchlicher Gemeinschaft leben und studiren sollten. Die Stiftung, im Jahre 1253 eröffnet, erhielt dann den Namen La Sorbonne; bald kamen außer den armen Schülern auch vermögende, die zahlten, statt Almosen zu nehmen; ausgezeichnete Theologen übten das Lehramt und die anfangs so bescheidene „Congregation der armen Lehrer von der Sorbonne“ erweiterte sich sehr bald zur theologischen Fakultät, die einen Weltruf genoß und alle europäischen Berühmtheiten anzog. Die große Revolution hat mit andern Resten des Mittelalters auch die Sorbonne aufgehoben. Napoleon benutzte dann die leerstehenden Gebäude zur Gründung der Universität. Neuerdings wurden dieselben sehr gründlichen Umbauten unterzogen, und vor wenigen Wochen erst wurde die „neue Sorbonne“ unter großen Feierlichkeiten bezogen und eingeweiht.

Ludwig Y. in A. Der größte Walfisch, der je existirt hat, ist Wohl derjenige gewesen, den Albertus Magnus, der große Gelehrte des 13. Jahrhunderts, gesehen haben will. Die Augenhöhle dieses Fisches sei nämlich so groß gewesen, „daß darinnen zum wenigsten zwanzig Personen sitzen konnten“. In Frankreich soll übrigens im Jahre 1640 ein Walfisch gefangen worden sein, der 320 Schuh lang, 62 Schuh breit und dessen Rachen 40 Schuh weit gewesen ist, so daß ein Reiter mit sammt dem Pferde darin Platz finden konnte.


Inhalt: Sicilische Rache. Ein Kulturbild aus den vierziger Jahren von A. Schneegans. S. 581. – Der treue Freund in Versuchung. Illustration. S. 581. – Steinerne Schätze. S. 587. Mit Illustrationen S. 584 und 585, 588 und 589. – Gold-Aninia. Eine Erzählung aus dem Engadin. Von Ernst Pasqué (Fortsetzung). S. 590. – Ohne Argwohn. Illustration. S. 593. – Blätter und Blüthen: Fanny Lewald †. S. 595. – Hochzeitsbräuche der siebenbürger Sachsen. S. 595. – Die Edelfäule. S. 596. – Taschenflora des Alpenwanderers. S. 596. – Die Schlange im Paradiese. S. 596. – Kleiner Briefkasten. S. 596.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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