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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Ihr seid von Sinnen! Wer wird wohl hier an den Grafen denken?“

An den Grafen dachte man freilich am wenigsten in diesem gräflichen Hause – und der Herr Graf hatte sich längst sein Leben danach eingerichtet.

Eine Purpurgluth überströmte plötzlich das Antlitz der Gräfin – dort unter den Bäumen nahte eine Gestalt. Er war’s, der lang Vermißte, der heiß Ersehnte! Er kam, er hatte sie nicht vergessen! In wildem Toben kämpfte in ihrem Herzen die Freude, ihn zu sehen, und der Groll, daß sie ihn so lange hatte erwarten müssen. Ein Wort von seinen Lippen, ein reuiges Wort sollte die Lösung bringen – ein Blick aus seinen Augen, ein Blick der stummen Verehrung sollte die Freude und die triumphirende Liebe den Sieg davontragen lassen; – wie kühl aber und mit wie vollendeter, weltmännischer Eleganz verbeugte er sich vor ihr und vor dem schlummernden Grafen und dem Abbate und wie ruhig und gemessen, ohne auch nur das leiseste Erzittern unter einem wärmeren Gefühle, trafen seine Worte ihr Ohr:

„Der Dienst erlaubte mir nicht, Frau Gräfin, zur gewünschten Stunde zu erscheinen; ich bitte, mich entschuldigen zu wollen.“

Der Dienst? Was wollte er mit diesem Worte? Wußte sie doch wohl, daß er heute keinen Dienst zu versehen hatte, und hatte sie ja gerade für diesen Tag von ihrem Freunde, dem Gouverneur, die Erlaubniß für den Hauptmann von Hattwyl erwirkt, ihre Einladung anzunehmen! Was sollte diese Lüge? Was verbarg sich hinter dieser Ausflucht?

Sie that sich Gewalt an, um Herrin ihrer selbst zu bleiben. Kalt erwiderte sie seinen kühlen Blick; dann verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln. „Dienst!?“ sagte sie endlich, ohne dem Harrenden die Hand zu bieten; „mich dünkt, Herr Hauptmann, es dürfte damit ein ganz besonderer ‚Dienst‘ gemeint sein, – und ein Mädchen ist wohl hier im Spiele!“

Eckart erröthete, das Wort hatte ihn getroffen, und der Gräfin entging diese verrätherische Röthe nicht. So hatte sie’s errathen? so verschmähte er sie um einer andern willen? Kaum war die zornerglühende Frau noch ihrer selber mächtig. Er wollte jetzt sprechen; mit gebieterischer Gebärde, als stünde der Richter vor dem Gerichteten, schnitt sie ihm aber das Wort ab, und fast rauh klang ihre Stimme, als sie, sich langsam erhebend und ohne ihn eines Blickes zu würdigen, zum Abbate sagte:

„Wir haben zu lange gewartet! Der Herr Hauptmann wird dem Grafen Gesellschaft leisten, während wir uns unter den Bäumen ergehen! Trage Sorge, Benedetto,“ fügte sie über die Achsel zum Diener hinzu, „daß es den Herren nicht an Champagner fehle!“

Einen Augenblick schaute Eckart der Gräfin nach. Was sollte diese Sprache, was sollte dies Aufbrechen bedeuten? Roberts mahnende Worte flogen ihm durch den Sinn. Er wandte sich zum Grafen hin – sanft schlummerte aber der edle Herr in seinem Strohsessel weiter und mit regelmäßig langsamem Pfeifen sang sein gesundes Schnarchen unter den Orangenbäumen hin.

„Der Herr Hauptmann müssen schon allein trinken!“ meinte, mit lächelndem Augenzwinkern zu dem schlafenden Gebieter hindeutend, der feiste Benedetto, und in der südlich familiären Weise, die kaum einen Rangesunterschied zwischen Diener und Herrschaft zugiebt, fügte er, mit dem umgebogenen Daumen nach der unter den Bäumen entschwindenden Gräfin zeigend, hinzu:

„Die Frau Gräfin sind heute gar schlechter Laune; es weht Sirokko übers Meer, da pflegen die Nerven …“

Das Ende hörte Eckart nicht mehr. Rasch kehrte er dem Tische den Rücken und entfernte sich in der entgegengesetzten Richtung dem Kloster zu, von wo das laute Singen und Lachen der fröhlichen Menschenmenge herübertönte.


3.

Er trat durch die Klosterpforte in den ersten, innern Hof; es war ein weites, längliches, von einem Bogengang umrahmtes Viereck, in dessen Mitte ein antiker Brunnen krystallhelles Wasser in breiten, schimmerndem Silberwellen über den Rand seiner schöngeschweiften Schale in das untere Becken und von da in die in vollem Blumenschmucke prangenden Beete goß. Eine wohlthuende Stille erfüllte den von kühlem Schatten durchwebten, einsamen Raum. Oben an den Dachfirsten spielte die Sonne in hellem lachenden Licht. Weit hinten aus der Klosterkirche ertönte gedämpftes Singen und Orgelspiel.

Wie wohl fühlte sich Eckart in dieser lauschigen Ruhe! Sein ganzes Wesen öffnete sich mit einer Art von Wonne diesem heimlich trauten Eindruck. Er setzte sich auf eine der Steinbänke, die sich im Kreise um die Bäume herumzogen, und, den Kopf auf die Hand gestützt, ließ er den schönen Liebestraum seiner jüngsten Tage vor seinem Geiste sich entfalten und ungehindert, unbeengt, sein ganzes Denken und Fühlen durchdringen. Einen „Schwärmer“ hatte ihn sein alter Freund heute morgen geheißen, und fürwahr! ein Schwärmer war seit jenem Tage aus ihm geworden. Wie damals sah er jenes Mädchen wieder vor sich stehen, in seinem hohen, schlanken Wuchs, mit dem halbaufgelösten Haar über die Schulter, mit dem vor Schreck und Zorn funkelnden Auge, und dann mit welch lieblich suchendem und fast kindlich flehendem Gruß im Blicke! Wie damals hörte er heute noch des Mädchens Stimme … Und was war das? Er fuhr auf und schaute sich um. War es eine Täuschung seiner Sinne? oder war sein Traum zur lebendigen Wirklichkeit geworden? Vom Kreuzgang her hatte eine Stimme an sein Ohr geschlagen, so silberhell und wohllautend, wie die ihre gewesen war! Dort, nur halb durch einen Pfeiler verdeckt, standen zwei Frauengestalten; sie drehten ihm den Rücken; es schien als betrachteten sie eine in der hinteren Mauerwand angebrachte Gedenktafel. Die eine hatte sich umgewendet; sie schien den niederen Ständen anzugehören, die Magd wohl, die ihre Herrin begleitete.

„Dort sitzt ein schweizer Offizier,“ sagte sie, „der kann Dir die alte Inschrift vielleicht erklären.“

Eckart bemerkte, wie bei diesen Worten die andere zusammenzuckte; rasch bog sie sich um; – ja! sie war’s, die Langgesuchte, Langersehnte! Er sah, wie bei seinem Anblick eine dunkle Röthe ihr Antlitz übergoß, wie ein freudiges Funkeln aus ihrem Auge hervorblitzte, wie ihre Lippen sich halb öffneten, als sprächen sie ein frohes Wort des Willkomms. Rasch bemeisterte sie aber das aufwallende Gefühl.

„Ach!“ rief sie dem zu ihr hineilenden Offizier zu, „wie freue ich mich, Herr Hauptmann, daß ich Euch hier begegne und Euch endlich meinen Dank aussprechen kann!“ und zu ihrer Begleiterin gewendet: „Dieser war es, der mich damals vertheidigte, als ich mit meinem Pathen Salvatore zur Stadt gegangen war, und … mein Pathe,“ fügte sie, dem Offizier die Hand reichend, hinzu, „dankte in seiner Art, er versteht es eben nicht anders, – ich will aber in der meinigen danken, von ganzem, ganzem Herzen thue ich es!“

Eine tiefe Erregung zitterte durch ihre Worte.

Die Antwort des Offiziers schnitt sie durch die rasch hingeworfene Frage ab, ob er ihr wohl den Sinn der auf der Gedenktafel eingegrabenen Inschrift deuten könne.

„Es ist wohl Lateinisch, und Lateinisch,“ meinte sie lächelnd, verstehe ich nicht.“

„Wie mag Euch aber diese alte Inschrift interessiren, Fräulein?“ erwiderte Eckart, den des Mädchens seltsame Wißbegierde in Verwunderung setzte.

„Alles, was unsere sicilische Vergangenheit betrifft, soll uns Sicilianer doch interessiren!“ antwortete sie mit einer Bescheidenheit, die fast wie eine Entschuldigung klang.

Die Mönche hatten vor drei Jahrhunderten zum Andenken an Kaiser Karls des Fünften Aufenthalt in diesem Kloster, im Jahre 1535, nach dem tunesischen Feldzug, jene Marmortafel gestiftet. Aufmerksam hörte das Mädchen den Erklärungen zu, welche Eckart ihm über jene Begebenheiten gab.

„Kaiser Karl der Fünfte?“ sagte sie endlich; „von diesem hat mein Vater nie gesprochen. Für Sicilien hatte dieser Kaiser wohl auch kein Herz, sonst wüßte ich etwas von ihm. Ach! von den früheren Königen hat doch nur ein einziger Sicilien geliebt!“

„Und wie hieß denn dieser einzige?“ fragte Eckart, den ihre Worte und ihr Wesen in wachsendes Staunen versetzten.

„Ruggiero hieß er,“ antwortete sie mit einem stolzen Aufwerfen des Kopfes, als fände sie eine Ehre darin, diesen Namen auszusprechen; „der Graf Ruggiero, der Sicilien befreite und die Fremden aus unserem Lande …“

Das Wort, das schon auf ihren Lippen schwebte, hielt sie rasch zurück; den Fremden, der vor ihr stand, wollte sie nicht verletzen.

„Ach Fräulein,“ erwiderte aber Eckart, „ob das Wort ausgesprochen wird oder nicht – daß der Gedanke, den Euer Mund nicht verrathen will, in aller Herzen lebt, das wissen wir ja alle!

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