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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

würde! Nein, Robert, herrlicher strahlte noch keines Weibes Bild vor meinen Augen, tiefer grub sich noch keines in mein Herz! Wie eine aus ihrem Rahmen herausgestiegene Madonna …“

„Schwärmer!“ unterbrach ihn der Major.

„Träumer, sagtest Du besser; denn wie ein Traum war es ja, – entschwunden, verloren, wer weiß, in welche Ferne entrückt, – auf Nimmerwiedersehen!“

Ein trauerndes Sehnen klang durch die anscheinend lächelnd hingeworfenen Worte.

Still beobachtete der Major einen Augenblick seinen jungen Freund, dann fuhr er mit ernst forschendem Ausdrucke fort: „Und nun reitet der Träumer mit einer moschusduftenden Einladung dem Kloster von San Placido zu, wo unter blühenden Orangenbäumen dem Madonnasehnenden eine liebreizende Gräfin ein Stelldichein giebt!“

„Ein Stelldichein? … zusammen mit dem gräflichen Herrn Gemahl und mit dem Abbate Scaglione!“

„Thue nicht, als wüßte ich nicht, was alle Welt sich erzählt! Der schönen Gräfin von Cellamare macht Hauptmann von Hattwyl den Hof!“

„Alle Welt mag es erzählen, – so wäre alle Welt im Irrthum: der Gräfin Cellamare trage ich keine anderen Gefühle entgegen als diejenigen, die ein jeder von uns für eine liebenswürdige und – noch schöne Frau zu hegen pflegt. Sieh! ich möchte von Dir weder der Unbescheidenheit, noch eines eiteln Dünkels geziehen werden, – aber alle Welt, von der Du sprachst, kennt auch der Gräfin … ‚Eigenschaften‘; … ‚Tugenden‘ darf ich doch nicht sagen! Wenn eine Frau, deren Jugend eine lange Liebesangewöhnung und Liebesverwöhnung war, an die Schwelle der Vierziger gelangt, so pflegt die Liebesumworbene sich zur Liebeswerbenden umzuwandeln, und …“

„Ich weiß es! Die Gräfin sucht im letzten Jugendwallen die Rechte ihrer Schönheit zur Geltung zu bringen, und Du bist dieser vielleicht letzten Leidenschaft – vielleicht unbewußtes Ziel! Ob ihre Gefühle Erwiderung finden …“

„Du scherzest, Robert!“

„Ich scherze nicht. Nimm im Gegentheil ein ernstes Wort mit auf den Weg: Verschmähte Liebe ist – besonders zur Herbstzeit – ein gefährlich Ding, und in Sicilien flüchtet die verlassene Schöne nicht verzweifelt aus dem Leben, wie Dido bei Vergil.“

„Laß gut sein, Freund! Zur verlassenen Dido gehört ein ungetreuer Aeneas!“

„Und wenn Eckart von Hattwyl diesen Helden nicht zu spielen gedenkt, so möge er sich bei Zeiten vorsehen, daß die schöne Gräfin sich nicht in die Rolle der verlassenen Königin von Karthago versetzt dünke!“

„So gut der Rath gemeint, so leicht ist er auch zu befolgen. Lebe wohl!“

Mit raschem Sprunge saß Eckart im Sattel und, von seinem Diener begleitet, galoppirte er über die dröhnende Zugbrücke ins Freie.

O des jubelnden Reitens in die Lenzespracht hinein! Ein Jauchzen erfüllte Herz und Sinne des jungen Offiziers, wie er hinaussprengte aus dem finstern Thorwege der Citadelle in das offene, von glänzendem Lichte überfluthete Gelände. Gerade gegenüber, durch den breiten Hafen von der sichelförmig ins Meer hinausspringenden Landzunge getrennt, auf der sich Festung und Leuchtthurm erhoben, lag Messina mit seinen unzähligen Kuppeln und Thürmen, mit seiner herrlichen Reihe von Palästen am Ufer entlang, mit den die oberen Viertel beherrschenden langhingedehnten Klosterbauten. Was brüteten wohl hinter jenen düstern Mauern die im Kampfe gegen die Neapolitanerherrschaft verbündeten Verschwörer? Und wie lange würde es noch dauern, bis von einem jener Thürme das Zeichen zum offenen Aufruhr heruntertönte? Arme Leute! was konnten sie denn erhoffen gegen diese Kanonen und diese Festen? – Und dennoch! Hatten die alten Schweizer nicht dasselbe gethan, was diese jetzt zu thun trachteten, als dort am Vierwaldstätter See todesmuthige Männer sich zusammenscharten, um die Freiheit des Vaterlandes gegen die Fremdherrschaft zu verfechten? Rasch und kurz blitzte dieser Gedanke vor Eckarts Geiste auf; – wo war heute bei dem Drängen und Laufen und Lachen und Rufen auf den frühlingssonnigen Straßen Platz für solch trübes Denken? Mit frohem Zuruf erwiderte Eckart die Grüße der Freunde und Bekannten; Freunde durfte er ja alle, Sicilianer und Schweizer, nennen, welche ihm seit seinem kaum einjährigen Aufenthalt in Messina nahe gekommen waren; im Fluge hatte sein ritterliches Wesen, seine elegante Gestalt und der treue, fast noch kindliche Ausdruck seiner blauen Augen aller Herzen erobert, und es war nur natürlich, wenn dem sein Roß mit kräftiger Hand bändigenden und gleich einem nordischen Götterjüngling dahinjagenden blonden Reiter auch von Unbekannten Rufe der Bewunderung nachflogen.

„Wie schade, daß dieser ein Freund der Neapolitaner ist!“ konnte man den einen und den andern halblaut zum Nachbar hinflüstern hören; oder aber auch: „Ja! wenn sie alle so wären wie dieser da!“ –

Bis zu Eckarts Ohr drangen aber diese Worte nicht, und hätte er sie auch vernommen, weiter als bis zu seinem Ohre wären sie nicht gedrungen, denn nach ganz anderer Richtung hin bewegte sich sein Sinnen. In raschem Fluge war, nach des Majors letzten Worten, sein Geist zu seinen Träumen zurückgekehrt, zu jenem göttergleichen lieblichen Bilde, das sich mit so wunderbar unwiderstehlicher Gewalt in sein Herz gesenkt hatte und – warum sollte er’s zu leugnen versuchen? – das sich mit jedem Tage tiefer darin eingrub. Ein Lächeln flog über seine Lippen und er konnte ein rasches Achselzucken nicht unterdrücken, als er an seines Freundes letzte Mahnung zurückdachte. Was war denn für ihn die Gräfin von Cellamare? und wie konnte sie neben jener Unbekannten nur erwähnt werden? Dankbar hatte er ihr liebenswürdiges Zuvorkommen hingenommen, als sie den fremd inmitten dieser fremden Gesellschaft stehenden Offizier zu ihren Festen heranzog, als sie ihn – erst jetzt fiel ihm auf, in welch außergewöhnlicher Weise – vor allen andern auszeichnete und ihn durch die mannigfaltigsten und sinnigsten Gunstbezeigungen näher an sich heranzuziehen nicht müde wurde. Er dachte sich damals nichts weiter dabei, der unerfahrene, unverdorbene, mit dem südlichen Wesen und auch mit den Frauenherzen so durchaus unbekannte Weltneuling! Was wollte auch diese Frau in seinem Leben? Was drängte sie sich an sein Herz heran? Fast unwillig richtete sich Eckart in den Bügeln auf, als schüttele er ein lästiges Gewicht von den Schultern, und siehe! war es nicht, als gäbe jetzt eine sinnige Schicksalsfügung die versöhnende Antwort auf jene harten Fragen, die vor seinem Geiste aufstiegen? – Dort, an der Kreuzung jener zwei Straßen, bei jenem von einem alten, moosbedeckten Wassergott überragten Brunnen, dort war es gewesen, wo er vor kaum vierzehn Tagen das Mädchen erblickt hatte! Dort, um jene Straßenecke kam er herumgebogen, als ein Lachen und Schreien in fremder Sprache an sein Ohr schlug; ein paar betrunkene englische Matrosen drängten sich lärmend um die Stufen; eine Mädchenstimme klang durch das wüste Toben – irgend eine Magd wohl, die beim Wasserholen mit den dreisten Gesellen schäkerte oder sich ihrer derben Zudringlichkeiten erwehrte. Wie er aber näher hinzugekommen war, da entrollte sich vor seinen Augen ein ganz anderes Bild: ein Mädchen aus dem Bürgerstande, die schwarzseidene Manta über den Kopf gefaltet, lehnte an dem Brunnenpfeiler; drohend blitzten seine großen, zornentflammten Augen auf die Angreifer zu; mit beiden Händen riß es jetzt einen schweren Steinkrug vom Brunnenrande und schwang ihn gegen die lachende Horde.

„Zurück! Der erste, der mich berührt, ist des Todes!“

Das Wort war ihren Lippen noch nicht entflohen, da stand schon der Offizier an ihrer Seite, und wie in ein Rudel Hunde, so hieb er mit seiner Reitpeitsche unter die Matrosen hinein. Sie waren sechs gegen einen; der Wein tobte in ihren Köpfen, wüthend drangen sie auf den Schweizer ein; aber blutige Striemen riß ihnen die sausende Peitsche über Gesicht und Hände, und als führe er ein feuriges Schwert in der Rechten, so brachte Eckart die wilde Rotte zum Weichen und zur Flucht. Ja, wie ein Erzengel Michael, der den Drachen tödtet und dem bösen Feind den Fuß auf den Nacken stemmt, so mochte er wohl der ob dieser so unverhofften und so wunderbaren Rettung noch ganz betroffenen Jungfrau erscheinen! Unbeweglich stand sie da, den Gewaltigen anstaunend, – und an seinem Auge blieb ihr Blick wie gebannt haften, als er sich nun zu ihr wandte und mit freundlich gewinnendem Lächeln, als wäre nichts geschehen, zu ihr sagte:

„Wohin soll ich Euch geleiten?“

Was war es denn, daß er die Worte kaum zu beendigen vermochte? Es schien ihm, als flösse unter des Mädchens Blick all sein Blut in seinem Herzen zusammen, – da trat ein Mann herzu, – ein Sicilianer war es, ein Bürger, – ein Feind der Schweizer wohl, denn in ein sonderbares Gewand kleidete er den Dank, den er mit

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