Seite:Die Gartenlaube (1889) 579.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

in seinem Hause und Gertrud, sein sonst so gehorsames Kind, in ein bewußtes, liebendes Weib verwandelt, das seinen Segen dankbar als eine Vergrößerung ihres Glücks, aber nicht als dessen unerläßliche Bedingung hinnahm – und aufrichtig, wie sie war, auch kein Hehl daraus machte.

Es war ja nun gut so, – dachte der Vater bei sich, – aber es hätte auch anders kommen können, und – – nun, er wollte hoffen, daß für sein Kind alles zum Glück sich wenden würde, und, da sein Schwiegersohn ihm von Stunde zu Stunde besser gefiel, Gertrud auch freudigen Herzens in das selbsterwählte Leben ziehen lassen. – – – – – – – – – – – –

Am nächsten Morgen wurde die schöne Ophelia zur letzten Ruhe gebettet. Gertrud hatte den Geliebten zum Kirchhof begleitet, und nun standen sie, ein stilles Gebet sprechend, an dem frischen Hügel, an dem sie außer Miß Sikes und dem Geistlichen die einzigen Leidtragenden waren.

Nur ein Mann noch war zu der frühen Stunde in einiger Entfernung anwesend.

Als der Miß Sikes befreundete Geistliche das Vaterunser sprach, machte er eine Bewegung, als wollte er näher treten, – aber er wagte es nicht. Scheu blieb er hinter dem Stamme einer alten Ulme stehen und sah voller Erregung nach dem Sarge. Er hatte eigentlich das größte Recht, eine Handvoll Erde auf den schönen Leib dort zu werfen, – er sagte sich, es wäre thöricht, daß er es nicht thäte, – – nein, es wäre thöricht, daß er hierher gegangen, und er wollte auch der Komödie ein Ende machen!

Er wendete sich und eilte, innerlich von Reue geschüttelt, wie vor wenig Tagen von der lebenden, – heute von der todten Ophelia.

Aber ihr Bild kann er nicht mehr los werden, – wie sie sich flehend an ihn klammert, wie er sie von sich stößt, – und wie sie dann, ihrem unglücklichen Vorbild gleich, in den trüben Fluthen Ruhe sucht vor ihren Träumen.

Alles das steht ihm immerdar vor Augen, und damit zugleich auch sein Verschulden an dem Edelsten der Schöpfung . . . einer Menschenseele! –




Blätter und Blüthen.

Der Soldatenbrief. Der „Gartenlaube“ ist aus ihrem Leserkreise ein Schreiben zugegangen, dessen Verfasser sich eifrig dafür verwendet, es möchte doch die Portofreiheit, welche die Briefe an Soldaten genießen, ausgedehnt werden auf die Briefe von Soldaten an ihre Angehörigen. Und in der That, es hat den Anschein, als ob eine solche Maßregel wohl am Platze wäre. Nicht mit Unrecht weist die erwähnte Zuschrift mit beweglichen Worten auf die bedrängte Lage hin, in welcher sich der Soldat befindet, der von Hause nicht mit einem Zuschuß an Geld versehen wird und ganz auf seine täglichen 22 Pfennig (soviel bekommt der Soldat in die Hand) angewiesen ist.

„Von diesen 22 Pfennig muß der Soldat vorweg sein Putzmaterial und seine Wäsche bezahlen. Dann kann man doch wohl nicht von ihm verlangen, daß er sein Kommisbrot jeden Abend trocken genieße. Kommt er vollends auf Wache, was in Garnisonen mit starkem Wachdienst sehr häufig der Fall ist, dann verlangt die vermehrte Anstrengung auch eine vermehrte Zufuhr von Stärkungsmitteln. Man rechne einmal nach, und man wird finden, daß nach all diesem von den 22 Pfennig nicht mehr viel übrig sein kann.

Warum nun dem Soldaten, der ja doch auch auf der Eisenbahn ermäßigte Fahrtaxen genießt, nicht noch die 10 Pfennig erlassen, die, so gering der Betrag ist, in seinem Haushalte eine gar nicht unerhebliche Rolle spielen!“

So dachte der Verfasser der Zuschrift und so denken wohl noch viele unserer Leser mit ihm. Indeß liegen die Dinge doch nicht so einfach, als man anzunehmen geneigt ist.

Der Versuch mit der vorgeschlagenen Einführung ist früher schon einmal in einem der vor 1866 selbständigen norddeutschen Postgebiete gemacht worden. Die Soldaten mußten dort, wenn sie Portofreiheit genießen wollten, ihre Briefe auf dem Dienstzimmer des Feldwebels abgeben, der dieselben stempelte und zur Post bringen ließ. Anfangs wurden die Briefe in einen offenen, im Zimmer aufgestellten Kasten gelegt; aber Unteroffiziere und Mannschaften gingen fortgesetzt in dem Zimmer ab und zu, und so liefen wiederholt Klagen ein über abhandengekommene Briefe. Daher erfolgte die Aufstellung eines verschlossenen Kastens mit Briefeinwurf. Nicht lange dauerte es aber, da kamen von zahlreichen Landespostanstalten Beschwerden wegen Mißbrauchs der Portofreiheit.

Die Soldaten hatten eben für irgend einen Gegendienst den Briefkasten des Feldwebels wacker mit den Korrespondenzen ihrer Freunde und Freundinnen vom Civil gefüllt; den Beamten der Bestimmungspostanstalten, die ja an kleineren Orten die Verhältnisse der Briefempfänger einigermaßen zu kennen pflegen, wurde die Sache auffällig, und gelegentliche Erkundigungen offenbarten ihnen bald den Zusammenhang. – So ging es also wieder nicht; daher Verschärfung der Kontrolle. Die portofrei zu befördernden Briefe mußten fortan dem Feldwebel offen übergeben werden; dieser überzeugte sich – wenn er gelegentlich Zeit dazu hatte – ob keine Civilbriefe eingeschmuggelt wären, und ließ dann die Briefe verschließen und absenden.

Damit aber war die ganze Einrichtung so gut wie werthlos geworden: der Soldat sparte sich lieber 10 Pfennig vom Munde ab, um seinen Brief mit einer Freimarke zu versehen, als daß er die Ergießungen seines Herzens um den Preis einer vorangehenden Kontrolle durch die Vorgesetzten hätte kostenlos befördern lassen.

Das sind die Erfahrungen der Praxis, die uns ein sachverständiger Fachmann freundlich mittheilte, als wir uns mit ihm über den angeregten Gedanken besprachen. Sie laden nicht zur Wiederholung des Versuches ein.

Aber vielleicht könnte doch in einer andern Form dem dringendsten Bedürfnisse genügt werden, nämlich durch Einführung einer „Soldaten-Postkarte“. Sie müßte, mit dem Stempel der Kompagnie versehen, in den Kantinen um den Selbstkostenpreis (2 Stück um einen Pfennig) für den Soldaten erhältlich sein. Sie würde dem Soldaten ermöglichen, kurze Mittheilungen, Fragen etc. an seine Angehörigen gelangen zu lassen, sie wäre – auch durch die aufgenöthigte und daher entschuldigte Kürze der schriftstellerischen Leistung – eine Wohlthat für ihn, während die Bedenken wegen Mißbrauchs so gut wie ganz in Wegfall kämen.

Es würde uns freuen, wenn die deutschen Postverwaltungen diesem Gedanken näher treten und einen praktischen Versuch damit machen würden.

Der „wilde Mann“ an der kleinen Windgelle. (Mit Abbildung S. 565.) Amsteg, ein vor dem Bau der Gotthardbahn lebhafter Verkehrs- und Touristenort im Kanton Uri, ist auch der Ausgangspunkt einiger sehr interessanter Hochgebirgstouren; es liegt in engem Thalkessel zwischen den Abhängen des Bristenstocks (3075 m) und der großen und kleinen Windgelle (3189 und 3001 m) am Eingang in das großartige Maderanerthal. Geübte Berggänger, welche die kleine Windgelle besuchen wollen, steigen am Eingang des Maderanerthales über steile Wälder und Bergwiesen, über Schnee und Felstrümmer hinauf auf die obersten Alptriften der Oberstäfeli. Auf dieser Wanderung erblickt das erstaunte Auge ein sonderbares, menschenähnliches Felsgebilde, ungefähr so hoch wie eine große Tanne; ganz abgesondert und allein steht es da, man nennt es den „wilden Mann“. Unter den Bewohnern der Gegend knüpft sich daran die Sage, daß ein Gemsjäger, der dort an einem hohen Festtage entgegen dem kirchlichen Verbote eine Gemse erlegen wollte, zur Strafe sogleich in einen Fels verwandelt worden sei. Auch soll es unmöglich sein, in seine unmittelbare Nähe zu kommen. Der erste Besteiger der beiden Windgellen und überhaupt einer der frühesten Bergsteiger, Georg Hofmann aus Basel, entdeckte dieses Steingebilde mit den deutlich ausgeprägten Linien der Stirne, des Mundes und der Nase im Jahr 1844 und machte auf das seltene Naturspiel zuerst aufmerksam; aber die wenigsten Alpenbesucher haben Kenntniß von dieser merkwürdigen Figur. Umhüllt von durchsichtigen Nebelgebilden macht der „wilde Mann“ einen besonders tiefen Eindruck; unerschüttert, mit geheimnißvollen Kräften ausgerüstet, scheint er den Stürmen und Unbilden des Hochgebirges Trotz zu bieten.

Die Kunst zu reisen. Viele unserer Leser dürften ein bereits in vierter Auflage erschienenes Buch, „Reiseschule für Touristen und Kurgäste“ (Leipzig, H. Haessel), willkommen heißen, in welchem Arthur Michelis (Adolf Gumprecht) in geistreicher unterhaltender Weise ausführt, wie Reisende vor, während und nach der Reise sich am besten einrichten. Es ist ein Büchlein, in dem ein reicher Schatz an Erfahrungen und Lebensweisheit in liebenswürdiger Form dargeboten wird, das mit seinen mannigfaltigen Rathschlägen in der That Nutzen zu stiften berufen ist und darum bestens empfohlen werden kann.

Es wendet seine Aufmerksamkeit auch den Kleinigkeiten zu, deren Beobachtung selbstverständlich erscheint und die doch so vielen noch entgehen. Wie viel Aerger verursacht mitunter schon das Packen des Koffers, wenn der Raum nicht reichen will oder allerlei leichtgefährdete Sachen nicht unterzubringen sind! Da giebt die „Reiseschule“ praktische Anleitung: „Unten in den Koffer kommen dünne breite Stücke zu liegen, Schreibmappe, Papier, Landkarten. Dann folgen in einer Umhüllung schwere, eckige, scharfkantige gebundene Bücher, Kästchen, Stiefel und ‚Sperrgut‘, wobei zu sorgen, daß beide Seiten des Koffers ungefähr gleichmäßig belastet werden. Zur Ausfüllung der Lücken dienen Strümpfe, Nachthemden, Unterkleider und andere weiche, schmiegsame Gegenstände, die sich in jede Lage, auch die gedrückteste, schicken, die man deshalb recht haushälterisch vertheile, nicht leichtsinnig irgendwohin staue. Cigarrenpackete, nur in Papier gewickelt, lieben die unmittelbare Nachbarschaft von Büchern nicht, ertragen sie aber, wenn man ihre Oberhaut durch einen Strumpf schützt etc.“

In Sachen der Sparsamkeit beruft sich Michelis auf vielfache praktische Erfahrungen. Der Schein des Reichthums in Kleidung und Auftreten ist möglichst zu vermeiden, da derselbe, wie durch Beispiele aus eigener und fremder Erfahrung belegt wird, nicht selten erhöhte Reisekosten verursacht.

Selbst auf die Eisenbahnunfälle geht der Verfasser ein und führt einige beachtenswerthe Vorsichtsmaßregeln an. Er räth, wenn mehrmalige, rasch einander folgende Bremszeichen Gefahr anzeigen, eine zusammengekauerte Stellung einzunehmen, den Kopf tief zu neigen, die Füße auf den Sitz, die Kniee unters Kinn heraufzuziehen und mit den Armen zu umschlingen. Vor dem Verlassen des Wagens während der Fahrt warnt er, da ein Hinausspringen meist schwere Verletzungen nach sich ziehe; „muß aber durchaus gesprungen sein, so werde beachtet, daß nicht rück- oder seitwärts, sondern der Richtung der Fahrt thunlichst parallel nach vorn zu springen ist.“

Wenn indeß in dem Buche auch der Gefahr gedacht wird, welche das

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_579.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)