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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

die nöthige Ruhe und Schonung für die heißen Tage des Kampfes zu haben.

Am 20. Juni erschien die erste Nummer der „Festzeitung“, von J. Ritter von Schmaedel redigirt, aufs trefflichste mit Aufsätzen und künstlerischen Gaben ausgestattet. In Tausenden von Exemplaren versandt, gab sie über den Fortgang der Vorbereitungen zum Feste genaueste Auskunft.

Die Festwoche begann für München bereits am Sonnabend den 21. Juli mit einem Turnen des Turngaues München, dem auch der Ehrenpräsident Prinz Ludwig beiwohnte, welcher, von dem Bürgermeister Dr. von Widenmayer begrüßt, in seiner Erwiderung den Wunsch aussprach, daß das Fest „zur Verherrlichung ganz Deutschlands, Bayerns und dessen Hauptstadt“ gereichen möge, und alsdann das Siebente deutsche Turnfest für eröffnet erklärte. Zu dem am Mittwoch den 24. Juli stattfindenden Turnen von 3000 Volksschülern hatten sich bereits nicht wenige Gäste, besonders Turnlehrer, eingefunden. Der 27. Juli brach an; alles war bereit, die Eisenbahnen hatten namhafte Fahrpreisermäßigungen gewährt, und von früh ab rollten die Sonderzüge mit fröhlichen Turnerscharen von allen Seiten heran, von Mitgliedern des Festausschusses mit herzlicher Ansprache und einem Willkommentrunk empfangen. Ein Turnverein (Tölz) kam sogar auf einem Floß die Isar herabgeschwommen. Leider war das Wetter sehr ungünstig. Die Berliner z. B. fuhren unter strömendem Regen in den Bahnhof ein. Und dieses Wetter hat auch die folgenden Tage angehalten, den Festplatz fast ungangbar gemacht, den Hauptverkehr und auch das Turnen in die Festhalle gebannt, und daß trotzdem das Fest als ein besonders auch turnerisch gelungenes bezeichnet werden kann, verdankt es in erster Linie den trefflichen Anordnungen des Festausschusses, aber auch der musterhaften Disciplin und dem willigen Gehorsam der Turner sowie der trefflichen Haltung des Münchener Publikums.

Den Verlauf des Festes eingehend zu schildern, kann hier nicht die Aufgabe sein. Es möge an dieser Stelle nur einiges hervorgehoben werden. Zunächst ist des Empfangsabends am 27. Juli in der Festhalle zu gedenken, die trotz ihrer bedeutenden Größenverhältnisse für solche Massen doch bei weitem nicht ausreichte. In der Mitte war ein Raum freigelassen für die Ehrengäste und den Ausschuß der Turnerschaft und der Stadt München. Laute Hochrufe verkündeten die Ankunft des Ehrenpräsidenten Prinzen Ludwig. Er trat ein, nicht ohne Mühe wurde eine Gasse freigemacht, die in den mittleren Raum führte. Hier ließ er sich an einem der kleinen runden Tische nieder, rechts und links saßen der Ehrenvorsitzende der deutschen Turnerschaft, Rechtsanwalt Georgii aus Eßlingen, und der stellvertretende Vorsitzende, Professor Böthke aus Thorn (der erste Vorsitzende Direktor A. Maul aus Karlsruhe war durch schwere Familientrauer am Besuch des Festes gehindert), ferner der Geschäftsführer der deutschen Turnerschaft, Dr. Goetz aus Lindenau-Leipzig, der zweite Vorsitzende, Verlagsbuchhändler Rudolf Lion aus Hof, der erste Bürgermeister von München, Dr. v. Widenmayer, und andere. Als die Musik ihr Stück beendet hatte, erhob sich der Prinz und hielt unter lautloser Stille die unsern Lesern durch die Tagespresse längst bekannte Ansprache, welche den tiefsten Eindruck auf die Zuhörer machte, ihren begeisterten Beifall erregte und freudigen Wiederhall in ganz Deutschland und besonders auch in Oesterreich gefunden hat. Der Prinz sprach mit Feuer und fester Bestimmtheit, offenbar jedes Wort erwägend und durch Handbewegungen gleichsam bekräftigend.

Nicht zu beschreiben ist der begeisterte Beifall, der die Halle durchbrauste.

Musterriegenturnen am Pferd.

Und als Georgii dann die Rednertribüne bestieg und, betonend, daß gerade die deutschen Turner seit 1860 mit ihrem ganzen Schaffen und Thun und Trachten dahin gestrebt hätten, aus dem deutschen Volk ein ganzes und einiges zu machen und ein wehrhaftes und tüchtiges Geschlecht für alle Zeiten zu erziehen – auf den Prinzen ein dreifaches donnerndes Hoch ausbrachte, da wollte der Jubel kein Ende nehmen.

Noch andere tüchtige Reden wurden gehalten; besonders zeichnete sich die des Bürgermeisters von Widenmayer durch Frische und Kernigkeit aus; ihm erwiderte Professor Böthke. Eine Deputation der Stadt Dresden, an ihrer Spitze der Stadtrath Karl, überbrachte die seit 1885 verwahrte Bundesfahne, welche mit einem von den Frauen und Jungfrauen Münchens gestifteten prächtigen Fahnenbande geschmückt wurde. Dr. Goetz gedachte der nichtdeutschen turnerischen Gäste in warmen, zu Herzen gehenden Worten.

Darauf erhob sich der Vorhang der Bühne für das von Felix Dahn gedichtete Festspiel, das in flottester Weise gespielt wurde. Prinz Ludwig wohnte noch dem Festspiele bei, in den Pausen sich eifrigst mit seiner Umgebung unterhaltend.

Am folgenden Tag, Sonntag den 28. Juli, hatte sich München in sein Festgewand gehüllt. Die Häuser waren mit Fahnen, mit Teppichen, Laubgewinden und Blumen geschmückt. Trommelklang ertönte durch die Straßen, die Turnvereine zogen nach den Sammelplätzen. Um zehn Uhr sollte der Festzug beginnen. Da öffnete der Himmel wieder, wie an den vorhergehenden Tagen, seine Schleusen, ein endloser Regen strömte herab, der Zug mußte vertagt werden. Man begab sich nachmittags auf den Festplatz; hier spielten Mitglieder des Akademischen Turnvereins zu Berlin trotz grundlosen Bodens und drohenden Regens mit gewohnter Meisterschaft ihr beliebtes Schleuderballspiel.

In der Festhalle sammelten sich mittlerweile die Turner, um dem Turnen der „Musterriegen der Ausländer“ zuzuschauen. Niemand konnte schließlich mehr hinein, niemand heraus! Die Schweizer (Züricher) führten vorzügliche Uebungen am Pferd vor, zeigten die Schule des Schwingkampfes in regelrechtem Griff und Wurf, die Bukarester turnten am Reck, die Moskauer am Barren, die Londoner bekundeten ihre außerordentliche Gewandtheit im Keulenschwingen, einer neuerlich sehr beliebten Uebung, und trieben, die Fäuste mit dicken gepolsterten Handschuhen umwunden, das Boxen; mit Spannung verfolgte man die blitzschnellen Bewegungen, Schläge und Stöße, bekehrt wurden wir aber zu diesen Uebungen nicht. Sie widerstehen dem deutschen Charakter. Auch aus Kansas City in Amerika traten Turner auf mit wohlgelungenen Eisenstab- und Keulenübungen.

Am Montag den 29. Juli sollte der Festzug bestimmt stattfinden; das Wetter zeigte sich auch günstig, der Zug ging vor sich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_574.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)