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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Der Tanz in Deutschland.

Kulturhistorische Skizze von Hermann Streich.

Die vergleichende Völkerkunde lehrt uns, daß der Tanz überall in religiösen Gebräuchen seinen Ursprung hat; am besten wird uns diese Thatsache ja durch das Beispiel der Völker des klassischen Alterthums, der Griechen und Römer, veranschaulicht. Daß dem auch bei unseren germanischen Vorfahren so war, wird uns merkwürdigerweise durch keine unmittelbare Mittheilung überliefert; nur von Waffentänzen weiß der Römer Tacitus aus dem ersten Jahrhundert nach Christus zu berichten. Aber Spuren davon, daß auch bei unseren Altvordern der Gebrauch heimisch war, gottesdienstliche Verrichtungen durch Tänze zu verherrlichen, haben sich doch noch bis heute erhalten.

So war es z. B. in Mecklenburg noch bis in die jüngste Zeit Sitte, bei der Ernte ein Aehrenbüschel ungeschnitten so lange stehen zu lassen, bis das ganze Fruchtfeld abgeerntet war, worauf die Schnitter um die noch stehenden Aehren herumtanzten und dabei sangen:

„Wode, Wode, hol dinen Rosse nu Voder!“
(„Wodan, Wodan, hol deinem Rosse nun Futter!“)

Dieser Brauch herrschte auch in anderen Gegenden in ähnlicher Weise und das Aehrenbüschel hieß „Wodans Antheil-Strauß“.

Ein noch deutlicherer Beweis liegt darin, daß mit dem Auftreten des Christenthums unter den Germanen sofort auch das Tanzen als ein wesentlicher Theil ihres christlichen Gottesdienstes sehr eifrig ausgeübt wurde. Es ist aber erwiesen, daß die christlichen Glaubensboten sich bei Einführung gottesdienstlicher Handlungen möglichst eng an diejenigen Gebräuche hielten, die von den heidnischen Priestern bei ihren Opfern und andern Verehrungen ihrer Götzen beobachtet wurden.

Wie hold unsere Vorfahren dem Tanze waren, davon geben auch die altgermanischen Sagen Zeugniß, in denen von tanzenden Elfen, Nixen, Riesen und Zwergen gar oft die Rede ist, und ein Volk, das in seinen Sagen Götter und Halbgötter, Menschen und Thiere, ja sogar die Hausgeräthe tanzen läßt, hat gewiß den Tanz nicht nur bei kriegerischen Festen und bei heiligen Opfern, sondern auch bei allen häuslichen Feierlichkeiten, bei Hochzeiten und Todtenfesten ausgeübt.

Die gottesdienstlichen Tänze fanden in den Kirchen statt. Dort war für diesen Zweck ein eigenes, erhöhtes Podium errichtet, welches den Namen „Chor“ erhielt und von der übrigen Kirche abgesondert war. Auf diesem Podium tanzten die Andächtigen und die Priester unter Vortanz der Bischöfe an den Sonn- und Festtagen und wie jedes Fest seine eigenen Lobgesänge hatte, so hatte es auch seine eigenen Tänze.

Mit den jetzt üblichen Gesellschaftstänzen hatten diese religiösen Tänze freilich gar keine Aehnlichkeit. Es waren theils pantomimische Aufführungen, in welchen Begebenheiten oder Gleichnisse der biblischen Geschichte dargestellt wurden, theils „Ringeltänze“, eine Art Reigen mit ernsten würdevollen Bewegungen, wobei Tanz, Wort und Melodie unzertrennlich verbunden waren.

Bald arteten aber diese Tänze aus. Da sie gewöhnlich bei Nachtzeit gehalten wurden, so gaben sie mitunter auch Anlaß zu Ausschweifungen und Unordnungen, die endlich einen so hohen Grad erreichten, daß die Geistlichkeit, um das Uebel mit der Wurzel auszurotten, zum Verbot der Tänze in den Kirchen schritt. Insbesondere nahm der Apostel der Deutschen, Bonifacius, den Kampf gegen das zur Unsitte gewordene Tanzen mit dem ihm eigenen Feuereifer auf, aber nur langsam thaten die Gegenmaßregeln der Geistlichkeit ihre Wirkung. In vielen Gegenden, namentlich am Rhein, hielt das Uebel noch lange an, und noch im Jahre 1617 mußte der Erzbischof von Köln dagegen einschreiten.

Dem Volke war aber das Tanzen eines seiner liebsten Vergnügen geworden, welches es sich nicht ganz und gar nehmen lassen mochte, und als der Tanz aus den Kirchen verdrängt wurde, schlug man außerhalb derselben, ja sogar auf den Kirchhöfen, große Leinwandzelte auf, die man Ballatoria oder Chorearia nannte und unter welchen nun, unbekümmert um Regen oder Sonnenhitze, lustig getanzt wurde.

Aber dort, neben und vor den Kirchen, arteten die Tänze, der Aufsicht der Priester entbehrend, noch weit mehr in Unziemlichkeiten und Rohheiten aus, und das im Jahre 1298 zu Würzburg gehaltene Konzil mußte auch diese Tänze und Tanzspiele verbieten; um das Verbot wirksamer zu machen, wurde jedem Uebertreter desselben eine dreijährige Bußstrafe angedroht.

Draußen auf den Dörfern wurde indessen nach wie vor im Freien getanzt, was gewöhnlich unter einer großen Linde geschah, und hier lebte so mancher altheidnische Tanz in den Ringelreigen wieder auf, sich bis in unsere Zeit erhaltend; in vielen Kinderspielen sind, allerdings durch die Länge der Zeit sehr entstellt, diese Tänze noch deutlich erkennbar.

Das ganze Mittelalter hindurch hielt das Volk an jenen heidnischen Tanzresten fest, die aber leider nach und nach zu zügellosen Ausschreitungen führten. Häufig kam es auch zu blutigen Raufereien auf den Tanzplätzen, und da jeder Bauer bewaffnet zum Tanze ging, so geschah es oft, daß förmliche Gefechte die Festtage beschlossen. So wird einmal erzählt, daß in Oesterreich eines geringfügigen Anlasses wegen bei einem Tanze Streit entstand, der über dreißig Bauern das Leben kostete. Vergeblich wandte sich eine große Anzahl obrigkeitlicher Erlasse gegen diese Unordnungen.

Die Namen vieler Tänze aus dem Mittelalter finden sich in den Minnesingerausgaben; die meisten klingen gar sonderbar und seltsam, so z. B. Hoppaldei, Firlefanz, Rimpfenreie, Gimpelgampel etc., Namen, die wahrscheinlich aus dem Rhythmus der verschiedenen Tänze entstanden sein dürften.

In den größeren Städten, namentlich aber in den Freien Reichsstädten, gestalteten sich die Tanzunterhaltungen in weit erfreulicherer Weise, und dort erst erhielt der deutsche Tanz in den Bürger- oder Geschlechtertänzen seine edlere Ausbildung, die ihn zu einem sittlichen und bildenden Vergnügen machte.

Jede Ausgelassenheit wurde in strengen Tanzordnungen untersagt, und die unbedeutendste Handlung, welche Ehrbarkeit und guter Sitte widersprach, wurde unnachsichtlich geahndet; dafür wurde der Tanz aber nicht nur auf den Rathhäusern und in besonderen Tanzhäusern in Anwesenheit der angesehensten Bürger und Patricier geübt, sondern er wurde jetzt sogar hoffähig. Auf den Burgen und Schlössern des Adels und in den Residenzen der Fürsten gehörte zu jedem frohen Feste ein Hoftanz und der Glanz der Turniere wurde durch zierliche anmuthige Tänze erhöht.

Welch peinliche Ordnung namentlich in den großen Städten bei den Tanzveranstaltungen galt, zeigt die in vielen Städten herrschende Sitte, daß von den Tänzern „weder Wehrlein noch Sporn“ getragen werden durfte, ebenso verstieß es sehr gegen Sitte und Anstand, wenn ein Tänzer, ohne seinen Mantel über die Schultern zu hängen, an einem Reigen theilnahm. Dieser gewiß ebenso sonderbare wie lästige Brauch findet darin seine Erklärung, daß der Mantel das Ehrenkleid des deutschen Bürgers bildete, ohne welchen er weder vor der Obrigkeit noch bei Festlichkeiten erscheinen durfte.

Bei fürstlichen Hochzeiten kam der sogenannte Fackeltanz in Aufnahme. Wann und wie dieser Tanz entstand, läßt sich nicht erweisen, gewiß ist nur, daß er auch bei den Römern bekannt war und wahrscheinlich von diesen nach Deutschland gebracht wurde. Bei dem Fackeltanze, der bis in die jüngste Zeit herein noch bei deutschen Fürstenhochzeiten zur Aufführung kam, so z. B. bei der Vermählung des Prinzen Friedrich Leopold von Preußen mit der Prinzessin Louise Sophie zu Schleswig-Holstein am 24. Juni 1889, mußten dem tanzenden Brautpaare zwölf Pagen in festlicher Kleidung, Windlichter tragend, voranschreiten, während der Hofmarschall das fürstliche Brautpaar mit dem Marschallsstabe „aufführte“. Dem Fackeltanze folgte dann später gewöhnlich noch ein anderer Tanz, bei welchem die fürstliche Braut mit verbundenen Augen in einen Kreis tanzender Paare geführt wurde. Denjenigen drei ledigen Personen, welche die Braut aus den um sie herumtanzenden Paaren erhaschte, sagte man voraus, daß sie in demselben Jahre noch in den Ehestand treten würden.

In vielen Gegenden ist bei Hochzeitsfeierlichkeiten heute noch der sogenannte Ehrentanz üblich, welcher gewöhnlich darin besteht, daß das Brautpaar zuerst ganz allein einen Tanz ausführt; erst dann, wenn dies geschehen ist, beginnt der allgemeine Tanz der Hochzeitsgäste. Da und dort ist dagegen auch Brauch, daß noch weiteren Personen, so z. B. den Brauteltern, den Braut- oder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_571.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)