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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

freundlich. Mit dem schweren Ledersack auf der linken Schulter stand der Mann in seiner mächtigen Gestalt hochaufgerichtet vor Frau Barbla und reichte dieser sogar zum Willkomm die Hand – etwas ganz Unerhörtes seit jenem Auftritt vor der Kirche. Aber auch die Frau schien ungewöhnlich freudig bewegt und erwiderte Gruß und Handschlag in gleicher Weise; es war in diesem Augenblick des Wiedersehens, als ob nie ein Zwiespalt zwischen ihnen geherrscht hätte.

Der kalte Ernst war von dem Gesicht der Frau gewichen, sie bemühte sich geschäftig, ihrem Manne beim Ablegen behilflich zu sein, konnte aber mit der Mittheilung, die ihr auf den Lippen schwebte, nicht warten, bis er zum Sitzen kam, sondern sagte ihm schnell, ohne Vorbereitung, ein paar Worte ins Ohr.

Auf der Stelle veränderte sich sein eben noch freundlicher Gesichtsausdruck, eine dunkle Röthe stieg auf seine Stirn und, sich hart abwendend, sagte er mit einem Ausdruck von Hohn und bitterer Verachtung: „Ein Bettler mehr!“ Zugleich ließ er den Ledersack schwer auf die Tischplatte niederfallen, daß die darin enthaltenen Silberstücke laut klirrten. „Wenn ich einmal zu derselben Zunft gehöre,“ fuhr er in gleichem Tone fort, den Ledersack aufnestelnd, „dann klopfe wieder an. Doch damit hat’s, wie Du siehst, gute Wege!“

Nun schüttete er die dicken Thaler mit einer solchen barschen Bewegung auf den Tisch aus, daß eine ganze Anzahl davon über den Rand zu Boden fiel und klirrend in der Stube umherrollte.

Frau Barbla war zurückgefahren, ihr Antlitz hatte sich entfärbt und mit zusammengeschlagenen Händen, weit offenen Augen starrte sie ihren Mann an, als ob sie an das, was sie da hatte hören müssen, nicht glauben könnte. Endlich kam ihr das bittere Verständniß und sie hob wehklagend die Arme gen Himmel. „Ist es denn möglich? Der eigene Vater!“ rief sie in Jammertönen. „O Gian, Gian, verblendet Dich der Geldteufel so, daß Du unsern Herrgott nicht mehr fürchtest und sein Gericht, das über einen Unmenschen wie Dich hereinbrechen muß? Gehe in Dich!“ flehte sie ihn mit dringender Herzensangst an, „komm! Du bist ja nicht böse, ich weiß es, nur rasch und zornig, und Du kannst nicht einlenken. Laß mich es für Dich thun! Gieb mir die Hälfte von dem Geld dort, daß ich es unserer Aninia bringe, die es wahrlich nothwendig haben wird, laß mich ihr dazu sagen –“

„Weib,“ schrie jetzt der Cavig, auf sie zufahrend, vor Zorn kirschbraun im Gesicht „noch ein einziges Wort und –“ er hob drohend die schwere Faust.

Aber die Frau schrak nicht mehr zurück wie sonst. Blaß bis in die Lippen und regungslos sah sie ihn an und sagte zuletzt mit einer stählernen Entschlossenheit, die seine geballte Faust sinken machte:

„So nehme ich unsern Herrgott zum Zeugen, daß ich nicht länger Deinen Willen thun kann. Ich habe Dich Unrecht auf Unrecht häufen sehen und habe dazu geschwiegen, jetzt aber schreit Deine Sünde zum Himmel, und ich will nicht länger daran mitschuldig sein! Deinen gottlosen Schwur hast Du erfüllt und Dein Kind zur Bettlerin gemacht, Dein Weib will nichts mehr vor ihm voraus haben. Von heute an gehe ich zu den beiden – wenn auch mit leeren Händen, Gott sei’s geklagt! Aber Aninia soll wissen, daß sie wenigstens noch eine Mutter hat. Versuche nicht, es mir zu wehren,“ rief sie, als er eine Bewegung machte, „sonst verlasse ich Dein Haus für immer. Du kennst mich und weißt, daß ich Wort halte!“ Damit verließ sie, ohne noch einmal umzublicken, die Stube.

Verständnißlos starrte Madulani ihr nach, dann zuckte er verächtlich die Achseln und begann, die zu Boden gekollerten Silberthaler mühsam aus den Ecken hervorzusuchen und zusammenzuraffen. –

* * *

Es ist ein herrliches Fleckchen Erde, das stille Ruheplätzchen unter den Arven der Alp Surley, etwa eine Stunde von dem Crestaltahügel entfernt und einige hundert Fuß höher als dieser gelegen. Weit breitet sich die grüne Matte aus, mit bunten Blüthen übersät bis zu den Felsschroffen, die, steil ansteigend, die mächtigen Schnee- und Eisfelder der Firnen auf ihren Schultern tragen.

Mitten in der Matte erhebt sich, wie von kundiger Menschenhand gepflanzt, die kleine Baumgruppe, von Arven, einigen Rothtannen und Lärchen gebildet, und zwischen ihnen drängen sich dichte Gebüsche von Alpenrosen. Bemooste Steinblöcke sind als ungeheure Ruhebänke durch das ganze Thal verstreut, jeder bietet eine andere herrliche Ausschau. Zur Rechten steigt der zackige, eisbedeckte Piz Surley empor; links erhebt sich der freundlichere Munt Arlas, und über diesem in ziemlicher Ferne, doch durch die Klarheit der Luft dem Auge nahe gerückt, thürmt sich der gewaltige Piz Corvatsch auf, dessen weite Schnee- und Eisfelder in der Sonne wie Silber glänzen und strahlen. Doch näher der Baumgruppe und zwischen den beiden erstgenannten Bergriesen befindet sich eine weite, tiefe Einsattlung, die wie die Alpe mit einer frischgrünen blumigen Wiese überdeckt ist. Ein Bächlein schießt ungestüm hindurch zur Tiefe, recht vernehmlich rauschend, und seine Wasser schäumen, spritzen hoch auf an den Felsblöcken, die es auf seinem Wege trifft. Und an solchen fehlt es nicht, von oben bis unten liegen sie in der grünen Schlucht zerstreut. Alles deutet darauf hin, daß das jetzt im Hochsommer so kleine Bächlein im Frühjahr, wenn Schnee und Eis schmelzen, die großen Felssteine nicht mehr umgehen wird, sondern, zum Wildbach angeschwollen, sie gewaltsam zu Thal führen kann. Es ist dies das Surleywasser, und die Einsenkung, in der es entspringt, die Fuorcla da Surley.

Die wilde Bergherrlichkeit der Surley-Alpe wird an Schönheit aber noch übertroffen durch den Ausblick der andern Seite auf das Thal, auf die Silberspiegel der Seen von Sils, Silvaplana und Campfèr, die dunkeln Nadelwälder und verstreuten Häuser und Hütten der Dörfer an ihren Ufern. Diesseits, am Fuße der Fuorcla, erblickt man das Dorf Surley mit seinen weitzerstreuten Wohnstätten und der kleinen Kirche, überragt von dem bewaldeten Crestaltahügel, der weit in den See von Campfer hineinragt. Von drei Seiten wird dies herrliche Bild eingeschlossen durch eine Kette gewaltiger, himmelanstrebender Felsmassen, die mit ihren zackigen Eishäuptern gleichsam die Wächter und Schützer des einsamen Hochthales bilden. –

Wahrlich, es ist ein herrliches, schönes Fleckchen Erde, die Arvengruppe der Alp da Surley!

Dies fühlten zwei glückliche Menschenkinder, denen das Ruheplätzchen während des Sommers, da unsere Geschichte spielt, zum Lieblingsaufenthalt geworden war. Sich umschlungen haltend, saßen sie jetzt auf einem der bemoosten Felssteine und blickten trunkenen Auges in die Herrlichkeit zu ihren Füßen, die den beiden wie ein Paradies dünken wollte, eigens geschaffen für sie und ihr junges Glück.

Sie waren allein, und auch aus der Tiefe herauf drang keine Spur von einem Menschengetriebe. Eine so feierliche Ruhe herrschte in dem weiten, sonnigen Hochthal, ein so wolkenloser blauer Himmel wölbte sich über der majestätischen Einsamkeit seiner Berge und Felsmassen, daß dies alles, verklärt von ihrer glückseligen Liebe, ihnen wohl den Eindruck machen konnte, als lebten sie in einem Erdenparadiese.

Sie waren allein, Beppo und die schöne goldblonde Aninia – oder doch so gut wie allein, denn die große Herde hochbeiniger Schafe, die zu ihnen gehörte, weidete entfernt von ihnen theils in der Fuorcla, theils auf den Matten der jenseitigen Höhen, wo auch hoch oben ein kaum dem Knabenalter entwachsener Bursche mit einem großen zottigen Hunde zu erkennen war. Der Junge, in einer Felljacke so zottig wie sein Hund, hatte sich in das duftende Gras hingestreckt; den breitrandigen Filz ins Gesicht gedrückt, sich vor den Strahlen der Sonne zu schützen, schlief er, während sein wolfsartiger Hund, die Vorderpfoten fest aufgestemmt, die wohl mehrere hundert Stück starke Herde für seine beiden Herren bewachte, die im Augenblick ganz anderes zu thun hatten.

Beppo, der noch immer seine Jacke von Bärenfell trug, hielt den Kopf seines jungen schönen Weibes eng an seine Brust gepreßt, und das hübsche, lebhaft geröthete Gesichtchen Aninias, mit den dunklen Augen und dem Strahlenkranz des goldblonden Haars, sah reizend aus dem dunklen Zottelpelz hervor.

So saßen sie lange in stummem Umfangen und sahen in das Thal nieder.

(Fortsetzung folgt.)




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