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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Schont sie, sie hat zwölf Jahre mein Lebensglück gemacht! Sie war mein Glück und meine Wunde. Sie ist voll Geist, nichts, worin sie mir nicht ebenbürtig, worüber ich nicht mit ihr sprechen konnte. Wie verstand sie mich, eilte mir nicht selten voraus! Sie ist mehr als die Sand! . . .“

Die verzweiflungsvollen Briefe, die von Sophie kamen, las er wohl nicht mehr. Er aber schrieb ihr noch immer jeden Tag. Am 16. Oktober berichtet er voll Freuden von einem Wunder, das geschehen sei: Da alle Mittel des Arztes nicht geholfen, habe er seine Geige genommen, einen steirischen Ländler gespielt und dazu selbst getanzt, so daß der Boden des Zimmers gebebt habe. Nun sei er wieder ganz hergestellt . . .

Und dann brach der Sturm aus, der seinen Geist in völlige Nacht hüllte. Vier Jahre lebte Lenau noch in dieser geistigen Umnachtung. Die Freundin, die in der Nähe wohnte, durfte ihn nicht mehr sehen. Man ermesse den Schmerz, den diese Frau in vier solchen Jahren, aber auch vorher und nachher getragen hat, und dann wird man zu der Erkenntniß gelangen, daß Sophie sicher dem Kranze jener edlen deutschen Frauen anzureihen ist, die auf das Leben unserer großen Dichter von bedeutendem Einfluß gewesen sind. Schön und begabt, in hervorragender gesellschaftlicher Stellung, ein Liebling der vornehmen Wiener Kreise, von hervorragenden Künstlern im Bilde verewigt, von großen Dichtern im Liede besungen, hat sie ihr Leben dem armen, herzblutenden Sänger geweiht, ohne selbst das Glück zu finden, ohne es dem Geliebten geben zu können. In der That, ein tragisches Geschick, welches unsere innige Theilnahme herausfordert und sie auch stets erregen wird, so lange deutsche Herzen den tiefsten Ausdruck für Liebesweh und Liebesleid in den Gedichten Nikolaus Lenaus finden werden.




Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[1]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
3. Sonderlinge und Käuze.
a. Sonderlinge. Unsere Rohrdommeln.

Wenn zwei auch dasselbe thun, ist’s doch noch nicht dasselbe“ – sagt das Sprichwort, was, auf unseren Fall angewendet, heißt: „Wenn zwei dasselbe hören, so ist es nicht dasselbe, oder es klingt anders.“ Dies Sprichwort sollte sich bewahrheiten, als wir an einem Frühlingsabend im hohen Vogelsberge Hessens an dem einsamen großen Rothemarkteiche auf dem Entenstriche mitten im dichten Röhrichte, mit Wasserstiefeln versehen, anstanden. Erschreckt auffahrend, vernahmen wir urplötzlich ganz in der Nähe ein ungewöhnlich dumpf und stark schallendes Tönen, so merkwürdig und außerordentlich, daß es sich unvergänglich unserem Gedächtnisse eingeprägt hat. Die große Rohrdommel, wissenschaftlich Ardea sive Botaurus stellaris benannt, balzte unweit von uns und ließ ihr mächtiges Liebeslied erschallen. Man verglich dies merkwürdige Getön schon von Albertus Magnus’ und Geßners Zeiten her mit dem Brüllen eines Ochsen und gab dem Vogel deshalb in früheren Zeiten die Namen „Moorrind“, „Meerrind“, „Mooskuh“. „Der erste Anfang des Balzens,“ – um unsere eigene Schilderung zu gebrauchen – „hat wohl etwas Aehnlichkeit mit dem Ansatz von Bullengebrüll; allein wenn die ganze Strophe erschallt, glaubt man ein Stück vom ‚wilden Heer‘ zu vernehmen. Es ist nicht zu beschreiben, dieses infernalische Getön. Naumann und später Wodzicki haben es versucht, dasselbe in Worten wiederzugeben. Die ersten abgebrochenen Silben, womit es anhebt, sind mit dem Naumannschen Zeichen ‚Ue-ü‘ zu geben. Wenn wir sie aber mit dem Rufe eines Säugethieres vergleichen sollen, so wäre es mit den ersten Ansätzen des Schreies eines starken Edelhirsches, namentlich ähnelt der Silbenfall und die Modulation dem Schreien dieses Hirsches. Das dann im vollen Balzen angesetzte, mit ‚prumb‘ oder ‚prump‘ von Naumann und andern wiedergegebene Getön läßt sich durch Klangsilben nicht versinnlichen. Es sind Laute, als kämen sie aus einem tiefen Ziehbrunnen mit begleitendem Wassergeräusche, dem sich’s manchmal wie Seufzen beimischt. Kurz, man muß die sonderbaren, schauerlichen Töne in der Nähe des Vogels selbst vernommen haben, um sich nur einigermaßen einen Begriff von den unvergleichlichen Naturlauten bilden zu können.“

Der Vogel, der uns wahrscheinlich gewahr worden war, flog auf, und wir beklagen es noch heute, ihn, den wir das erstemal in unserem Leben in seinem Liebesrausch gehört hatten, bei seinem „Aufstehen“, d. h. seinem Erheben im Fluge, in unbesonnenem Jagdeifer erlegt zu haben, wodurch wir uns um die weitere Gelegenheit brachten, das sonderbare Thier in seinem seltsamen Gebahren eingehender zu beobachten. Lebendig gegenwärtig ist uns indessen immer noch, wie es in eigenthümlich eulenartig schwankendem Fluge aufstand und wie uns das freilich nur kurz andauernde Weiterfliegen auffiel. Dieses gemahnte uns lebhaft an das Flattern eines riesigen Schmetterlings oder auch der jungen unbeholfenen Fledermäuse während ihrer ersten Ausflüge.

Der Abbildung auf S. 557 liegt eine Schilderung des Grafen Wodzicki zu Grunde. Nach ihm beharrt die weibliche Rohrdommel bei dem Brüllkonzert des Männchens mit gesträubten Kopffedern und halb geschlossenen Augen in hockender Stellung, liebeselig verzückt. Der eben genannte Forscher, welcher nach langen vergeblichen Bemühungen endlich nahe zu einem Liebespaar von Rohrdommeln herangeschlichen war, beschreibt folgendermaßen seine Beobachtungen: „Der Künstler“ (die männliche Rohrdommel) „stand auf beiden Füßen, den Leib wagrecht gehalten, den Schnabel im Wasser, und das Brummen ging los; das Wasser spritzte immer fort. Nach einigen Noten hörte ich das Naumannsche ‚Ue‘, und das Männchen erhob den Kopf, schleuderte ihn zurück, steckte den Schnabel sodann schnell ins Wasser, und da erschallte das Brummen, so daß ich erschrak. Dies machte mir klar, daß diejenigen Töne, welche nur im Anfang so laut tönen, hervorgebracht werden, wenn der Vogel das Wasser tief in den Hals genommen hat und mit viel größerer Kraft herausschleudert als sonst. Die Musik ging weiter, das Thier schlug aber den Kopf nicht mehr zurück, und ich hörte auch die lauten Noten nicht mehr. Es scheint also, daß dieser Laut die höchste Steigerung des Balzens ist, und daß er, sobald die Leidenschaft befriedigt ist, nicht mehr wiederholt wird.“

Wir aber hörten aus dem nur einmal vernommenen Gesang heraus, daß er aus mehreren Notengängen besteht und auch in verschiedenen Tonarten und Tiefen klingt. Der Balzgang übersetzt sich ungefähr mit „Uü-ü-prumb, üprumb, ü prumb, ü prumb-buh“, welch letzte Silbe dumpf und nicht laut erschallt, da sie nach Wodzickis Beobachtung durch das Ausstoßen des in den Kiefernscheiden befindlichen Wassers beim Herausziehen des Schnabels aus dem Gewässer hervorgebracht wird. Die brüllenden Rufe sind aber in ihrer ungewöhnlichen Stärke auf weite Strecken, bisweilen in stiller Nacht wohl auf eine Stunde Entfernung hörbar.

Gewiß ein Sonderling, ein seltener und eigenartiger, eine Vogelgestalt mit einem Wesen, wie es im ganzen Reiche der sumpfigen Einöden, ja in der gesammten heimischen Vogelwelt nicht mystischer, absonderlicher vorkommt. Das Brüllen der Rohrdommel bildet ein Seitenstück zu dem wilden Getön des Uhus, das wir demnächst kennzeichnen werden. Es sind Laute, einzig und merkwürdig in ihrer Art, da sie sämmtlich nicht unmittelbar aus des Thieres Stimmorganen hervorgehen, sondern mit Hilfe des Sumpfwassers, worin der Vogel haust, entstehen.

In einsamen versumpften Rieden, auf Teichen, weitgedehnten Brüchen und Seen, überall da, wo der Rohrwuchs nicht fehlt, ist dies seltsame Wesen in unserem Vaterlande zu finden, doch mehr in seinem nordöstlichen, als in seinem westlichen Theil. Aber wenigen nur wird es vergönnt sein, den versteckten Gesellen zu entdecken. Seine derben, für einen „Stelz“- oder „Watvogel“ nach der neueren Systemsprache verhältnißmäßig kurzen Füße, woran die mittlere Zehe als besonderes Sippenkennzeichen merklich über die gestreckten äußeren hinausragt, verleihen ihm die Fähigkeit


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_556.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)