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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

einmal mehr auf die beschwichtigenden Worte, die Vernunftgründe, die ihr lau und nichtssagend klangen nach den Worten der Leidenschaft.

„So bleibt mir nichts anderes übrig,“ sagte er halb entmuthigt, halb ungeduldig, „als Dich zu verlassen und uns beiden zu wünschen daß Du Dir bis morgen überlegt hast, wie unrecht Du mir thust. Es war ein großer Fehler von mir, das kühle Urtheil eines Unbetheiligten bei Dir vorauszusetzen, aber eine so harte Strafe habe ich nicht verdient. Ich bin überzeugt, daß Du mir morgen, wenn die erste Erregung vorüber ist, mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen wirst. Sieh, mein Liebling, ich bin so viel älter als Du, – aber ich sehe, Du bist jetzt nicht zugänglich für meine Worte, wenn Du später darüber nachdenkst, vergiß nie, daß ich Dich über alles lieb habe. Gute Nacht, Gertrud!“

Damit ging er, aber trotz seiner Niederlage war ihm warm und leicht ums Herz, denn die Gewißheit, daß Gertrud ihn, ihn selbst mit allem Feuer ihrer warmen Jugend liebte, gab ihm ein echtes Glücksgefühl und ließ ihn augenblicklich vergessen, daß ein neuer Schatten aus der Vergangenheit auf seinen Weg gefallen war.

Nur zu bald sollte er wieder daran erinnert werden. – – – – – – – – – – – – – – –

Tante Karoline hörte von der Küche aus mit Staunen, daß der Gast sich entfernte.

„So hat sie ihn abgewiesen,“ dachte sie und konnte einen kleinen aufsteigenden Aerger nicht unterdrücken; denn der stattliche Mann hatte ihr besser gefallen als andere ihr bekannte jugendlichere Verehrer Gertruds.

Sie ging ins Wohnzimmer, und da fand sie ihren Liebling in heißen, leidenschaftlichen Thränen, wie sie wohl noch nie aus diesen lachenden Augen geflossen waren.

„Gertrud, Kind,“ sagte sie erschreckt, „hat es einen Streit zwischen Euch gegeben? Beruhige Dich doch, das gleicht sich wieder aus.“

Das weinende Mädchen warf sich in die Arme ihrer zweiten Mutter. „Nie, nie,“ sagte sie unter Thränen, „aber frage mich jetzt nicht, ich will Dir später alles erzählen, nur jetzt nicht!“

Und Tante Karoline streichelte das braune Haar des Mädchens, setzte sich mit ihm auf das kleine Ecksofa, das Gertrud ihr Beichtwinkelchen nannte, weil sie da schon oft mit der Tante vertraut geplaudert hatte, – und begann davon zu sprechen, daß das Leben im Grunde hart sei, wie die Natur, daß man Unvermeidlichem sich mit möglichst wenig Geräusch fügen, aber wo Aussichten für die Erreichung eines Zieles wären, bis aufs äußerste kämpfen müsse, die entgegenstehenden Hindernisse zu besiegen. Mißverständnisse vor allem wären solche Hindernisse, die oft schon dem Glück den Weg verlegt hätten – und in dem Ton weiter.

Gertrud hörte kaum, was Tante Karoline sagte, aber der sanfte Klang ihrer Stimme legte sich beruhigend auf ihre Nerven, und bald hatte sich der leidenschaftliche Aufruhr in ihr in eine sanfte Trauer verwandelt. Eben wollte sie nun doch der mütterlichen Freundin ihr Herz ausschütten, als die Glocke gezogen wurde.

Beide Frauen fuhren erschrocken auf und warteten mit einer gewissen Spannung die Meldung des eintretenden Mädchens ab.

„Ein Brief an Fräulein Gertrud; die Ueberbringerin wartet auf Antwort.“

Eckige, fremde Schriftzüge, „Alice Sikes“ unterzeichnet …

Was bedeutete das nur wieder? Ob Miß Hein imstande wäre, fragte Miß Sikes, ihr die Adresse von Mr. Herrendörfer anzugeben. Sie wüßte, daß er mit ihrem Hause bekannt wäre, und hätte Unaufschiebbares mit dem Herrn zu besprechen. Miß Hein würde sie durch eine sofortige Angabe der augenblicklichen Wohnung des Mr. Herrendörfer zu großem Dank verpflichten.

Was war das wieder? Gertruds Herz schlug von neuem voller Angst und Eifersucht. Eine innere Stimme sagte ihr, daß es sich bei einer so wichtigen Unterredung um die blonde Jugendgeliebte Konrads handeln müsse.

Aber was konnte es sein? Am Vormittag war er erst dort gewesen, und nun diese Eile, ihn wieder zu sprechen? Vielleicht war die schöne Magdalene aus ihrem Traum erwacht, – vielleicht, – doch was nützte es, sich in alle diese „Vielleicht“ zu vertiefen – Gertrud ging seufzend zum Schreibtisch und schrieb die Adresse des „verlorenen Geliebten“ auf, – denn verloren war er für sie, das stand in ihrem Trotzkopf fest, trotz der brennenden Schmerzen, die sie dabei empfand. Sie fragte auch draußen die ihr so gut bekannte Dienerin Miß Sikes’ nichts weiter. Mochte da geschehen, was sein wollte, – es war alles, was im Zusammenhang mit der alten Engländerin seit vorgestern vorgegangen war, so tückisches Schicksal, daß Gertrud sich machtlos fühlte, auch nur im geringsten handelnd einzugreifen.

Was sollte eigentlich nun auch noch kommen? Er liebte sie nicht, was konnte sie da noch Aergeres treffen? Weinend suchte sie zu später Stunde ihr Lager auf und beängstigende Träume von der schönen Ophelia quälten sie auch im Schlaf weiter. –

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Etwas gegen die Langeweile in der Sommerfrische. Meine Schwiegermutter stammt aus dem Krähwinkel X Y Z in der norddeutschen Tiefebene. Darum hatten wir im vorigen Sommer beschlossen, dorthin als Sommerfrischler zu gehen. Der Wald sollte sehr nahe sein – aber man mußte in Wirklichkeit eine halbe Stunde laufen, bis man seine grünen Hallen erreichte, sonst war in der nächsten Umgebung nur Acker, Wiese und ein kleines Flüßchen, in dem es vor Jahrzehnten Krebse gegeben haben soll. Ich war nicht „hereingefallen“, wie man meinen möchte, denn ich war in jene Sommerfrische ohne Ansprüche gegangen, und den Regen des Sommers 1888 mußte ich in Kauf nehmen ebenso gut wie die Badegäste an der See und die Touristen in den Bergen.

Hereingefallen war aber nach seiner eigenen Meinung ein Postbeamter, der in seiner Heimath den vierzehntägigen Urlaub verbringen wollte und über die langweiligen Spaziergänge sich beschwerte. „Die Natur bietet hier nichts!“ klagte er. Führt den Blinden in die Berge, dachte ich mir, und er wird auch dort nichts sehen! Der Postbeamte war naturblind und verdanke dies ohne Zweifel seiner gediegenen Gymnasialbildung. Es gelang mir, ihm die Augen zu öffnen.

Am achten Tage seines Aufenthaltes in dem Krähwinkel, als wir gerade ein paar trockene sonnenhelle Tage hatten, führte ich ihn auf die „Wiese“, um ihm ein Naturschauspiel zu zeigen. Dieses Schauspiel hatte ich am vorhergehenden Tage nach der Anleitung eines Altmeisters der Naturforschung beobachtet, und was wir beide nunmehr auf der „langweiligen Wiese“ gesehen haben, das will ich mit den eigenen Worten des Meisters wiedergeben:

„Ein trockener Graben bietet uns zu unserer Beobachtung gute Gelegenheit. Wie Wegelagerer ducken wir uns hinein, und über seinen Wall lugen wir über die Wiesenfläche hin. Kein Lüftchen bewegt die zahllosen Grashalme, über die wir von hier aus wie über ein wallendes Kornfeld hinwegschauen. So brauchen wir’s. Nun aufgeschaut! Richtet das Auge! O, daß die blüthenbeladenen Grasrispen gerade vor jenem gegenüberliegenden Waldesdunkel hell hervortreten! Wäre es nicht eine rohe Beleidigung des stillen lebenzaubernden Vorgangs, so würde ich, was wir erblicken, mit einem Tirailleurfeuer vergleichen. Bald hier, bald dort fahren aus dem Gewimmel der Grasblüthen kleine Rauchwölkchen auf, die ebenso schnell verweht sind, wie sie erscheinen, um immer wieder neuen Platz zu machen, die bald näher, bald ferner, bald rechts, bald links aufsprühen. Was wir sehen, sind wirklich kleine Entladungen, und vergleicht man die Größe der geworfenen Geschosse und die von ihnen durchflogene Strecke mit denen einer Kanone, so ist vielleicht hier wie dort das Kraftverhältniß das gleiche. Die Kanonen sind die Staubbeutel der Gräser, welche ihren Blütenstaub verschießen. – – – Jetzt haben eben Tausende der vor uns an ihren haarfeinen Fädchen aufgehängten reifen Staubbeutel in dem warmen Sonnenschein den letzten Rest der Feuchtigkeit vollends verdunstet, welche in ihren Zelten eingeschlossen war. Erst wenn das geschehen ist, springt die bis dahin ringsum verschlossene Haut der Staubbeutel mit einer gewissen Gewalt auf, welche den Blüthenstaub weit umherschleudert.“

„Das ist wirklich merkwürdig!“ rief mein Postbeamter und konnte sich an der langweiligen Wiese nunmehr nicht satt sehen. Ich aber trat ihm meinen lieben Begleiter auf Wanderungen durch Feld und Flur, „Die vier Jahreszeiten“ von E. A. Roßmäßler, ab.

Seit jenem Tage war die „Natur von Krähwinkel“ für meinen neuen Bekannten voller Wunder und Reize; einmal führte er mich an eine mächtige Fichte im Walde, die auf drei starken Wurzeln wie auf wunderlichen Beinen stand, und sagte erfreut: „Hier habe ich endlich einen Baum gefunden, der in einen Urwald gehörte! Jetzt weiß ich, daß das Samenkorn der Fichte einst auf einen gestürzten Baumriesen fiel, um diesen die Wurzeln trieb, bis sie getrennt das Erdreich erreichten. Die Zeit zerstörte den Baumstamm und nun steht die Fichte, die einst in der ersten Handvoll Moder seines zerfallenden Körpers keimte, als stattlicher Baum mit hohen breiten Füßen auf der leeren Stelle seines Grabes, für den des Baumlebens Kundigen sein Gedächtniß erhaltend. Ist das nicht eine Scene aus dem Urwaldleben?“ schloß mein Postbeamter, frei nach Roßmäßler dozierend.

Mein vorjähriges Erlebniß ist mir aber durch einen anderen erfreulichen Umstand ins Gedächtniß zurückgerufen worden. Unter den Büchern, die mir zur Besprechung eingesandt wurden, fand ich auch „Die vier Jahreszeiten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_547.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)