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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

die Pfade sind geebnet und gut, gleich Spazierwegen, und auf vielen Höhen erheben sich Aussichtsthürme und winken grüßend einander zu und locken weit hinein ins Land, als wollten sie mahnen: O kommt herbei und haltet unser schönes Berggebiet nicht länger für das Aschenbrödel der deutschen Berge!

Daß auch der Südabhang des Erzgebirgs nach Böhmen hinein seine reichen Schönheiten hat, sei noch angedeutet und dabei besonders hervorgehoben, daß auch jenseit des Bergkamms gutes deutsches Blut daheim ist, das sich freut des Besuches aus dem Reiche, und dem ein Druck der deutschen Hand den Muth stählt in dem bösen Streite, den es ausfechten muß für sein bestes Vätererbe: die deutsche Art und Sprache.




Schatten.

Novelle von C. Lauckner.
(Fortsetzung.)


Das alte Dienstmädchen der Miß begegnete Gertrud auf der Treppe.

„Ach – Fräulein waren oben,“ sagte sie, Gertrud ängstlich anblickend. „Es gab eine solche Aufregung bei uns. Mein Fräulein hat einen Brief erhalten, in dem jedenfalls eine besondere Nachricht stand – sie schien zu erschrecken und lief, das Blatt in der Hand, die Treppe hinunter. Ich wollte sehen, wo sie bliebe, konnte sie aber nicht finden; darüber fiel mir ein, daß ich alles offen gelassen hatte – ich hoffe, Fräulein werden mich nicht verrathen,“ fügte sie bittend hinzu.

Gertrud schüttelte den Kopf.

„Hatte Miß Sikes denn nicht kurz vorher Besuch?“ fragte sie zögernd.

„Ja, einen fremden Herrn, der wohl eine Stunde da gesessen hat. Unterdessen kam auch der Brief, den ich aber erst abgab, als der Herr gegangen war. Da muß sie dicht hinter ihm her gelaufen sein.“

„Doch nicht,“ sagte Gertrud, „ich sah den Herrn aus der Hausthür treten – Miß Sikes dagegen nicht.“

Eine Frage nach der schönen Frau schwebte ihr auf den Lippen, aber – sie wußte selbst nicht weshalb – sie unterdrückte dieselbe, beruhigte mit einigen freundlichen Worten die besorgte Dienerin und ging ihres Weges.

Das eben Erlebte hatte sie doch gewaltig erregt. – Wie wunderschön die Fremde, und wie entsetzlich, daß sie krank, augenscheinlich geisteskrank war! – Ophelia hatte sie sich genannt? Gertrud schauderte. Wie alle gesunden, jungen Menschen hatte sie eine unwillkürliche Furcht vor Gemüthskranken, nun war sie ohne Vorbereitung mit einer solchen in Berührung gekommen – freilich war das Entsetzliche bei diesem holdseligen Weibe verklärt zu Anmuth und Lieblichkeit, wie bei ihrer unglückseligen Namensschwester.

„Schwermuth und Trauer, Leid, die Hölle selbst
Macht sie zur Anmuth und zur Artigkeit.“

Diese Worte des Laertes fielen ihr ein, und eine tiefe Traurigkeit überkam sie. Welche Tragödie mochte sich in diesem Frauenleben abgespielt haben, wie viel Jammer und Weh mochte dieses schöne Wesen getroffen haben, ehe die schreckliche Nacht über sie hereinbrach, die so endlos lang war, wie sie klagte!

„Werner“ – wie die Kranke den Namen gerufen hatte! So voll jauchzender Freude, voller Leidenschaft. Ob sie, Gertrud, wohl auch den Namen des Geliebten so ausprechen könnte: „Konrad“ . . . Sie erröthete und schüttelte den Kopf . . .

Nein, nicht so, aber leise, zärtlich, nur für ihn und sie hörbar. – O, wie sie sich nach ihm sehnte! Es war ihr, als ob sie unendlich Trauriges erlebt hätte und damit zu ihm flüchten müßte, um sich von ihm Trost zu holen.

Zu Hause angekommen, suchte sie alle kleinen Erinnerungszeichen an ihn zusammen, von deren Dasein er gar nicht einmal wußte, eine Stranddistel, die er ihr gepflückt, eine hübsche Feder, die sie zusammen gefunden, ein Vierblatt, das sie von ihm erhalten hatte, und dergleichen kleine Andenken mehr, bei deren Anblick sie sich die glücklichen Stunden vergegenwärtigte, denen diese Liebeszeichen entstammten.

Und dann sprang sie aus ihren Träumereien auf und lief in die Küche, um noch einmal genaue Anweisungen wegen des besonders feiertäglichen Abendessens zu geben, das sie dem Geliebten zu Ehren herrichten ließ: er sollte seine künftige Hausfrau bewundern!

Mitten in ihrem geschäftigen Treiben aber flogen ihre Gedanken wieder zu der schönen Träumenden – sie sehnte sich danach, Konrad ihr Abenteuer mitzutheilen und von ihm vielleicht einigen Zusammenhang in ihre romantischen Voraussetzungen bringen zu lassen.

Dann kam Tante Karoline, in nicht geringer Erwartung des Gastes, von dem der Bruder kurz vor seiner Abreise gesprochen und den er ihr beziehungsvoll anempfohlen hatte. Gertrud mußte von ihm erzählen, aber die kluge alte Dame hörte bald auf, zu fragen, denn die tiefe Röthe, die der Nichte Wangen färbte, sagte ihr mehr als die halb gezwungenen Worte. Sie erzählte in ihrer hübschen, lebhaften Weise allerlei komische Geschichten, die an ihrem Stifte vorgekommen waren, und Neuigkeiten, die sie in ihrem großen Bekanntenkreis gehört hatte, und beachtete anscheinend die Zerstreutheit und Schweigsamkeit der sonst so theilnehmenden Gertrud nicht, die in der erregten Erwartung der kommenden Stunden der Tante sogar ihr seltsames Abenteuer mitzutheilen vergaß.

Und nun schlug die Glocke an, und das Mädchen meldete Herrn Rechtsanwalt Herrendörfer. – Gertrud ging ihm in das kleine Vorzimmer entgegen, mit strahlenden Augen, ihm beide Hände entgegenstreckend.

Er nahm sie, aber er führte sie nur leicht an die Lippen und machte eine scherzende Bemerkung über des Vaters Wunsch.

Gertrud erschrak.

Es war recht von ihm, aber daß er diesen Wunsch berücksichtigte, welche Beschämung für sie! Thränen stiegen in ihre Augen – sie wendete sich halb ab.

Und Konrad? Er empfand die Stimmung seiner Braut, ohne sonderlich gerührt zu sein – er sagte nur leise: „Sie haben es ja so gewollt!“

Aber das bereute er, denn auf diese Worte versiegten plötzlich die Thränen, die grauen Augen, die so weich und träumerisch blicken konnten, blitzten ihn stolz an und trotzig stand das „Kind“, wie er sie oft bei sich nannte, vor ihm.

„Natürlich,“ sagte sie rasch, „und es war hübsch von Ihnen, mich darauf aufmerksam zu machen.“

Und sie führte ihn in das Wohnzimmer, der Tante Karoline zu, die bald eine lebhafte Unterhaltung in Gang brachte, sich im Stillen aber über die jungen Leute von heutzutage wunderte. Das sollte ein angehendes Brautpaar sein? Wo war denn das schüchterne Erröthen der Braut, wo das heimliche Hin- und Widerblicken – der ganze poesievolle Hauch, der ein solches unausgesprochenes Verhältniß sonst umgiebt?

Auch Konrad wunderte sich, wenn er Gertrud so kühl beherrscht die Unterhaltung führen hörte – eine ganz andere als die erwartungsvolle, strahlende Gertrud, die ihn im Vorzimmer begrüßt und die er gewissermaßen beleidigt hatte.

Er würde ganz gewiß nie wieder in die Lage kommen, ihre bräutliche Zärtlichkeit zurückzuweisen, dachte er mit leichtem Bedauern; sie war stolzer, herber, als er sich das lachende Kind vorgestellt hatte. Aber mit diesem Erkennen regten sich zugleich wieder die Zweifel an der Echtheit der Liebe Gertruds zu ihm. Würde sich ein so junges Wesen so vollständig in der Gewalt haben wie das Mädchen vor ihm, wenn ihr Herz voll und ganz mitspräche?

Gerade so war es mit – der andern gewesen, mit der seine Gedanken selbst jetzt sich beschäftigten. Scheu, kühl, voller Selbstbeherrschung ihm gegenüber – aber als der Rechte kam, besinnungslos, leidenschaftlich in ihrer Liebe, bis zum äußersten, bis zum Verlieren des Verstandes.

Arme Magdalene!

Doch er rüttelte sich gewaltsam aus seinen Gedanken; wie undankbar, wie unlogisch, das einmal Erlebte auf das liebe Mädchen vor ihm anzuwenden! Hatte nicht er sie gerade wegen ihrer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_544.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)