Seite:Die Gartenlaube (1889) 538.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Unterredung, und in ihrer Hantierung fortfahrend, sagte sie gelassen, aber mit fester Stimme:

„Du hast als Vater Dein Jawort gegeben, ohne das Mädchen zu fragen; ich als Mutter habe auch ein Recht auf mein Kind, und ich werde die Aninia fragen; antwortet sie ‚ja‘, so mag es in Gottes Namen nach Deinem Willen geschehen; sagt sie aber ‚nein‘, dann gebe ich meine Einwilligung zu dieser Heirath nicht und der Peider bekommt die Aninia nicht zum Weibe.“

„Oho! das wollen wir doch sehen!“ rief der Cavig voll verächtlichen Hohns.

„Am nächsten Sonntag wirst Du es sehen und erleben,“ lautete die kurze, äußerst ruhig gegebene Antwort.

„Jetzt aber habe ich’s genug!“ rief Madulani und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Rufe das Mädchen und bringe die Suppe herein, auch was zu trinken, ich habe einen Gewaltshunger, und meine Kehle brennt wie Feuer von dem verdammten Geschwätz ohne Ende.“

Wenige Augenblicke später stand eine riesige Schüssel mit der dicken dampfenden Suppe, welcher ein würziger Duft entstieg, auf dem Tische und Aninia trat in die Stube.

Das hübsche Antlitz des Mädchens war lebhaft geröthet, ihre dunklen Augen strahlten und eine große Freude stand ihr im Gesicht geschrieben. „Beppo ist wirklich genesen!“ rief sie beim Eintreten, und dann erst wurde dem Vater Handschlag und Gruß. „Er fühlt sich so wohl und kräftig, daß er heute schon vom Bett aufstehen könnte.“

„Das ist mir gerade recht,“ entgegnete Madulani, bereits den Löffel zum Munde führend, kurz und gleichgültig. „Je eher er das Haus verläßt, desto besser!“

Aninia stutzte und blickte fragend nach der Mutter hinüber. Diese sagte nur:

„Iß und trink jetzt! Nach dem Essen, wenn der Vater nach Sils gegangen ist, werde ich mit Dir reden.“

Nun wurde kaum noch ein Wort gesprochen. Madulani aß mit einer auffallenden Heftigkeit, scheinbar um seinen nagenden Hunger zu stillen, in Wirklichkeit, um nichts Weiteres reden zu müssen. Aninia schwieg verlegen und besorgt, und die Mutter that wie immer, still und geräuschlos erfüllte sie ihr Amt als Hausfrau.

Endlich war das Mittagessen und das unbehagliche Beisammensein zu Ende, Madulani erhob sich, ergriff seinen Hut, den derben Stock und verließ nach kurzem Gruß die Stube. Da diese sich in ein großes Gelaß öffnete, das ins Freie führte und zugleich den Eingang in das Haus bildete, so vermochten die beiden Frauen, welche unbeweglich und schweigend sitzen geblieben waren, die schweren, dröhnenden Schritte des Davongehenden bis auf die Gasse zu verfolgen – wenn man die unregelmäßigen Durchgänge zwischen den einzelnen freistehenden Wohnstätten, an denen hier der Surleybach vorbeifloß, also benennen konnte. Da hörten sie plötzlich, wie der Cavig draußen vor dem Hauseingang zu jemand redete. Kurz und bestimmt, wie er stets zu sprechen gewohnt war, sagte er, den Horchenden deutlich hörbar: „Geht nur hinein zu dem Bergamasker, der wieder geheilt und heute noch imstande sein soll, das Bett zu verlassen. Frau und Tochter haben mitsammen zu reden und werden dann schon zu Euch stoßen. Mit Gott!“ – dann verhallten die Schritte auf dem festgetretenen, steinigen Dorfwege.

„Es kann nur Fra Battista sein,“ meinte Aninia mit einem erleichterten freudigen Aufathmen.

Frau Barbla war zu dem Stubeneinlaß gegangen, hatte durch eine kleine, dort angebrachte Oeffnung geschaut, während draußen schlürfende Schritte, hierauf das Oeffnen und Schließen einer Thür vernehmbar geworden waren. Dann kehrte sie zu ihrem Sitz zurück und murmelte kaum hörbar vor sich hin: „Der Himmel sendet ihn uns – zur rechten Stunde!“

Mutter und Tochter waren allein.

Noch eine ganze Weile blieben beide stumm einander gegenüber sitzen. Frau Barbla schaute wie in schweres Sinnen versunken vor sich nieder. Endlich mußte sie wohl einen letzten Zweifel überwunden haben, zu einem festen Entschluß gelangt sein, denn nun hob sie den Kopf und ohne irgend eine Aufregung zu verrathen, sagte sie in ihrer gewohnten ruhigen Weise, doch ernst und bestimmt:

„Nun merk’ wohl auf, Aninia, was ich Dir zu sagen habe, denn es ist ernst – sehr ernst, und viele Worte mache ich nicht. Heute morgen, vor den Geschworenen, – die außer einem, dem alten Nout Zavarit aus Islas, den Angeklagten freigesprochen haben, – hat Dein Vater Dich im Beisein der ganzen versammelten Pfarrgemeinde dem Franzosen-Peider verlobt und heute in acht Tagen soll die öffentliche Trauung sein.“

Aninia stieß bei diesen Worten einen lauten Wehschrei aus und fuhr mit der Hand nach dem Herzen. Dann sank sie wie vernichtet auf ihrem Sitz zusammen.

Nun erhob sich Mutter Barbla, faßte ihr Kind in die Arme und sagte, indem sie ihre rauhe Stimme und Weise so viel wie möglich zu mildern suchte:

„Sei ruhig, Aninia, nur Dein Vater hat ‚ja‘ gesagt.“

„Und Ihr, Mutter?“ Die großen Augen des Mädchens starrten angstvoll fragend der Frau ins Gesicht.

„Ich sagte und sage: ‚Nein‘! – oder Du müßtest denn selbst den Franzosen-Peider wollen?“

„Lieber den Tod!“ rief Aninia, vom Stuhl emporspringend. In heftiger Erregung warf sie die Arme um den Hals der Mutter und verbarg ihr blondes Köpfchen Schutz suchend an der treuen Brust. Frau Barbla strich mit einer Rührung, die gegen ihr gewohntes trockenes Wesen seltsam abstach, über den goldenen Scheitel und sagte leise:

„Hab’s gewußt, Aninia, und auch – wie es um Dich steht. Der Beppo hat’s Dir angethan – wehre Dich nicht! Und zu schämen brauchst Du Dich auch nicht. Ist er auch nur ein armer Bergamasker Hirte, so ist er doch ein wackerer, braver Mensch. Ist er Dir recht, so gebe ich ihn Dir zum Manne.“

„Ach, Mutter, ist es denn möglich?“ rief Aninia der Mutter gebräuntes, faltiges Antlitz mit Küssen bedeckend. „Aber woher wißt Ihr –“

„Ich weiß alles! Habe Dich tagtäglich und auch noch am gestrigen Abend belauscht – es war keine Sünde, was mich dazu trieb, einzig und allein nur die Liebe zu meinem Kinde. Jetzt sprich, willst Du den Beppo wirklich zum Manne?“

„O Mutter, er ist mein Leben – mein alles! Er kann nicht mehr ohne mich sein – und ich nicht mehr ohne ihn. Aber – der Vater! O Gott, das wird fürchterlich werden!“

Ruhig löste Frau Barbla die umschlingenden Arme ihres Kindes und ließ die Zitternde auf den Sitz nieder. Dann sagte sie mit einem ernsthaften Kopfnicken:

„Der Vater! Ja freilich wird er Dich mit Gewalt zwingen wollen, wie er bis jetzt mich und alles nach seinem Willen gezwungen hat. Aber diesmal –“ sie richtete sich hoch auf, „verzeih mir’s Gott! – diesmal soll er seinen Willen nicht durchsetzen, um Dich elend zu machen, wie ich es seit fünfundzwanzig Jahren bin. Ja,“ fuhr sie ausbrechend fort, als Aninia mit verwunderten Augen aufsah, „schau mich nur an! Auch ich habe einstmals einen braven, armen Burschen gern gehabt und mußte den reichen Madulani nehmen, weil mein Vater auch meinte, nur das Geld mache glücklich. Nun, und glücklich bin ich denn auch geworden in seinem steinernen Hause –“ sie lachte bitter auf – „ich habe ja immer satt zu essen gehabt und eine warme Stube, drin ich mich ducken und fügen konnte, jahraus, jahrein. Und ich habe es auch mit ansehen dürfen, wie das viele Geld gemacht wird, mit Hartherzigkeit und Uebervortheilung, und ich habe mich dagegen ist meinem Innersten empört, aber helfen konnte ich nicht. Als Dein Großvater starb – tröste ihn Gott! – da reute es ihn, daß er seine Tochter, die Büssin, dem Elend überlassen hatte, und er band’s Deinem Vater aufs Gewissen, dem armen Ding einen Antheil vom Erbe zu geben. Ich stand hinter der Thür, ich hab’s gehört – und als er todt war –“ fuhr sie fast schreiend fort, „da steifte sich Dein Vater aufs Recht und gab ihr nichts und konnte es mit ansehen, daß seine leibliche Schwester Hunger litt. O!“ sie hob die Hand wie anklagend zum Himmel, „was ist das für ein Recht, das gegen Gottes Gebot geht! – Ich wollte es gutmachen, ich dachte mir, wenn Du den Clo heirathetest, wäre es eine Vergeltung – nun, es hat nicht sein sollen, und die Büssin muß ihre Armut weitertragen, bis ihr die himmlische Vergeltung wird, denn vor Gottes Augen gilt nur sein Recht!

Aber nun hat neulich vor seinem Angesicht Dein Vater einen Meineid geschworen, um den Franzosen-Peider zu retten und sein Gold zu gewinnen – ich thue nur, was recht ist vor den Augen Gottes, wenn ich ihn jetzt verhindere, die Todsünde vollkommen zu machen. Und Du sollst nicht geopfert werden, wie ich es dereinst worden bin. Mag kommen, was wolle, ich nehme alles auf mich, aber das darf nicht geschehen!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_538.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)