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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

die Ausstellung angenommen, welche so sehr geeignet erschien, das große sociale Besserungswerk, zu dem sein ruhmreicher Großvater den Grundstein gelegt hatte, zu fördern und weiter auszubauen.

Mit der Theilnahme für dieses gemeinnützige Unternehmen, das erste seiner Art in der Weltgeschichte, wuchs auch der Umfang desselben. Zu klein erschienen die Räume des alten Ausstellungsgebäudes, und es mußten neue Maschinen- und Eisenbahnhallen errichtet werden, um alles das zu bergen, was zusammengestellt werden sollte als Zeichen des Wettstreites zum Schutze der Arbeiter, der heutzutage in erfreulichster Weise in den Kreisen deutscher Fabrikanten mit immer größerem Nachdruck bemerkbar wird; denn es galt nunmehr, nicht nur die Schutzvorrichtungen gegen Unfälle im engeren Sinne des Wortes öffentlich bekannt zu geben, sondern auch auf dem verwandten Gebiete der Arbeiterhygieine und der Wohlfahrtseinrichtungen für Arbeiter anspornend zu wirken.

Beschädigte Dampfkesselplatten.

Die hohe sociale Aufgabe unserer Zeit besteht ja nicht allein darin, den Arbeiter vor den Verstümmelungen des Körpers zu schützen; es soll und muß ihm auch der Schutz vor schleichenden Erkrankungen gewährt werden, es soll auch in seiner Seele die friedliche Stimmung Einzug halten, welche eine menschliche Fürsorge für sein Wohl zu erwecken imstande ist, es soll der Mißklang, der zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer vielfach herrscht, beseitigt und ein auf gegenseitiges Vertrauen gegründetes Einvernehmen hergestellt werden. Und was wäre wohl mehr geeignet, diese Eintracht zu fördern, als der Rundblick auf die zahllosen zum besten der Arbeiter geschaffenen Wohlfahrtseinrichtungen? Die gesunden und freundlichen Arbeiterwohungen, die Kinderkrippen, die Jugend- und Mädchenheime, die Kochschulen für junge Arbeiterinnen, die Bildungsanstalten für Arbeiter – diese gemeinnützigen Schöpfungen sind bereits in so großer Zahl von Fabrikanten gegründet worden, daß ihr Gesammtbild sicher erhebend wirkt und in dem Arbeiter das Vertrauen in seine Zukunft wecken muß.

Von Sachverständigen geleitet, werden die „Arbeiterabtheilungen“ durch die Hallen der Ausstellung wandern; sie werden an den Maschinen vieles lernen, sie werden aber auch vor den Modellen der Wohlfahrtseinrichtungen stehen bleiben, und wenn sie dann ihre Blicke zu den Worten erheben, die in goldenen Buchstaben über der Ausstellung der Mühlhausener Gesellschaft prangen, und den Ausspruch lesen, den Engel-Dollfuß vor 20 Jahren gethan: „Der Fabrikant ist seinen Arbeitern noch mehr schuldig als den Lohn“ – so werden sie auch die Ueberzeugung gewinnen, daß heute für die große Masse der Arbeitsherren diese Worte thatsächlich die Richtschnur bilden. Fürwahr, jeder, der diese Ausstellung besucht, wird auf Schritt und Tritt daran erinnert, daß zahlreiche ernste Männer unermüdlich bestrebt sind, das Leben, die Gesundheit und das friedliche Glück der Arbeiter zu fördern und zu schirmen, und durch das edle Beispiel aufgefordert, in seinem Wirkungskreise das Gleiche zu thun!

Arbeiter-Schutzanzüge.

Das sind die Ziele dieser Ausstellung. Sie weist keine Riesenbauten auf, deren Spitzen über die blitzenden und donnernden Gewitterwolken hinausragen, aber in ihrer Bedeutung übertrifft sie die Ausstellungen, bei denen das Schaugepränge die Hauptsache bildet. Ihre Größe ruht in der Größe des Gedankens, der sie gezeitigt hat, und er ist ihr stolzester Schmuck zugleich, wenn wir zugeben, daß die echten Tugenden der Humanität die schönste Zierde der Menschen sind.

Freilich bietet die Ausstellung an und für sich des Sehenswerthen genug, um auch das Auge zu erfreuen. Ein Gang durch dieselbe ist nicht nur lehrreich, sondern auch genußreich. Wir verweilen gern in dem kühlen Gefrierschacht, wo ein weißer frischgefrorener Reif die Leitungsröhren bedeckt; wir durchwandern die düsteren Gänge des Kohlenbergwerks, in denen die Ventilatoren arbeiten, nur hier und dort eine Glühlampe ein mattes Licht verbreitet, und lauschen den belehrenden Erklärungen des uns leitenden liebenswürdigen Bergmannes; wir gehen auch in das Brauhaus, um zu sehen, wie das Bier gebraut wird, und verfolgen die Arbeit mit besonderem Interesse, wir wissen ja, daß das Brauhaus den Grundstein dieser Ausstellung bildet. Hier kann man keinen Durst leiden; gegen Verdurstungsunfälle sind reichliche und treffliche Schutzvorrichtungen getroffen. Und es fehlt auch nicht an „feuersicheren“ Theatervorstellungen, bei denen wir zu unserer Beruhigung hinter die Coulissen sehen dürfen – oder bester gesagt: sehen sollen.

Die frohen Klänge der Kapelle verkürzen uns die Zeit bis zum Abend; dann können wir auch in das Taucherhaus wandern und in dem durch elektrisches Licht erleuchteten Wasserbecken die eigenartigen Arbeiten des Tauchers betrachten.

In tausend Lichtern strahlen nunmehr und flimmern die Hallen und der Park. Die Witterung ist so herrlich und warm, da sitzen die Gäste, die Aussteller, die nach des Tages Mühe ausruhen – froher Sinn herrscht überall. Kein Wunder, ein solches Wirken erhebt den Geist und schafft uns frohen Sinn.

Aber es ist nicht unsere Aufgabe, Stimmungsbilder zu zeichnen. Wir laden unsere Leser zu ernsteren Gängen durch die Ausstellung ein. Wie der Unfall überall im Leben vorkommt, uns im eigenen Hause, auf Reisen etc. bedroht, so findet hier auch jedermann Gelegenheit, nützliche Kenntnisse zu sammeln. Wir wollen darum auch einiges herausgreifen, das ohne Zweifel nicht nur für den Fachmann, sondern für alle von Werth sein wird.

Beschädigte Schutzbrillen.

In einem der Ausstellungssäle bemerken wir eine Tafel, auf der einige Eisenplatten befestigt sind. Die Fläche derselben ist nicht glatt, sondern zernagt und aufgeworfen. Diese Tafel fesselt ganz besonders unsere Aufmerksamkeit; denn die Bezeichnung des Ausstellers lautet: „Aus den Dampfbetrieben Sr. Majestät des Kaisers in und bei Potsdam.“

Darunter ist aber die nähere Erklärung zu lesen:

„Diese Beschädigungen an Dampfkesseln sind im Betriebe erfolgt und wurden bei außerordentlichen Untersuchungen noch rechtzeitig vor Eintritt des Unfalls entdeckt.“

Wie schlicht auch diese Ausstellungstafel ist, sie besagt viel, sie lehrt uns, daß es nicht genügt, sich an den Wortlaut der gesetzlichen Verordnungen zu halten, sondern daß man unermüdlich auch darüber hinaus wachsam sein muß, wenn man Unfälle verhüten will. Das vordere Stück auf unserer Abbildung ist ein Stück vom mittleren Feuerblech des Kesselmantels mit Langriß, Querrissen und eigenartiger Auseinanderspaltung des Bleches im Schnitt; das dahinter sichtbare ein Stück vom vorderen Feuerblech des Kesselmantels mit vielen Kantenrissen an der Kopfnaht durch die Nietlöcher und neben denselben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_524.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)