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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Ich zweifle nicht,“ entgegnete Hein finster, „daß Sie eine augenblicklich sehr heftige Neigung für mein Kind empfinden, und es leuchtet mir das sehr wohl ein bei dem Gegensatz, den sie wohl zu den Frauen bildet, mit denen Sie zu verkehren gewohnt sind. Aber vielleicht verdrängt bei nächster Gelegenheit –“

„Mein Herr,“ rief nun Konrad empört, „Sie vergessen sich! Ich gebe zu, daß der Ton, den ich gestern der Gesellschaft angemessen gebrauchte, nicht der beste war, aber darum Voraussetzungen auszusprechen, die einen Mann von Ehre und Gefühl aufs äußerste verletzen müssen, nenne ich den Vortheil mißbrauchen, den Sie im Augenblick einem Bittenden gegenüber haben.“

Er griff nach seinem Hut. Es schien ihm, als ob alles vorbei wäre und eine unüberbrückbare Kluft sich zwischen ihm und diesem Mann geöffnet hätte, dem doch die Entscheidung über sein künftiges Leben oblag.

Kein Wort hätte er mehr vorbringen können und er wäre in schroffer Weise aus dem Zimmer geschritten, wenn er nicht eine eigenthümliche Wahrnehmung gemacht hätte: die strengen Falten in dem Gesicht des Bauraths waren dieselben, aber die Augen, die eben noch so strafend und hart blickten, standen voll Thränen.

Da besann er sich plötzlich. Er streckte dem bekümmerten Vater die Hand entgegen und bemühte sich, aus seiner tiefen Bewegung heraus zu sprechen. Es wollte ihm nicht recht gelingen, aber wie sie so Hand in Hand da standen, trotz der eben noch feindlichen Gefühle, öffnete Gertrud die Thür und sah mit gespannten ängstlichen Blicken herein, um gleich darauf mit hellem Jubelruf den Vater zu umarmen.

„Ich ertrug es nicht länger,“ sagte sie. „Ihr wart plötzlich so still und mir wurde bange, aber ich wußte ja doch, daß Ihr einander verstehen würdet . . . Vater . . . Liebster . . .“ Und von heller Gluth übergossen, wendete sie sich Konrad zu, ihm halb zaghaft die Hand reichend.

Er hatte nicht oft so sehr das Bedürfniß empfunden, sie in die Arme zu nehmen, in leiser, friedlicher Zärtlichkeit ihr die strahlenden Augen zu küssen und ihr tausend liebe Worte zu sagen - aber er mußte sich ja bezwingen, und so trat er einen Schritt zurück, mit einer stummen Handbewegung auf ihren Vater deutend.

Bestürzt sah Gertrud zu diesem auf, und ein unbeschreiblicher Ausdruck verdunkelte ihr glückseliges Gesicht.

„Was bedeutet das?“ fragte sie zitternd – und Konrad glaubte zu bemerken, daß ein banger Blick voller Zweifel ihn streifte.

Da wallte der Zorn von vorhin wieder in ihm auf.

„Geprüft, gewogen und zu leicht befunden,“ sagte er bitter.

Gertruds Vater legte ihm die Hand auf den Arm.

„Besinnen Sie sich doch,“ sagte er, sein blasses Kind zärtlich ansehend. „Sie erschrecken meine Tochter und beleidigen mich fast mit Ihren Worten . . . Wir sind sehr verschiedene Menschen; Herr Rechtsanwalt Herrendörfer und ich, liebe Gertrud – und konnten nicht ganz einig werden, ob Eure Verlobung gleich zu veröffentlichen wäre . . . Ich wünsche das nicht, aus Gründen, die ich jetzt nicht näher erörtern kann – und ich hoffe, Du, mein liebes Kind, wirst Deinem Vater noch eine kleine Zeit gönnen, in der er Dich ganz für sich hat – da Du ihn ja doch einmal für immer verlassen willst.“

Was hätte Konrad in diesem Augenblick drum gegeben, wenn ein Blick, ein Wort der Auflehnung aus Gertruds Mund ihm geholfen hätte, die Kränkung zu überwinden, die in des Bauraths Bescheid für ihn lag!

Er wartete eine bange Sekunde und fühlte sich merkwürdig erkältet, als Gertrud mit ihrer klaren Stimme, in der eine leise Bewegung zitterte, sagte:

„Das ist wohl meine Pflicht, lieber Vater, wenn ich mir auch nicht denken kann, warum Du einen solchen Aufschub bestimmst.“

Und dann endlich traf Konrad ein Blick voll der alten Liebe, des kindlichen Vertrauens, der es ihm fast schwer machte, zu sagen, daß es eine harte Probe wäre, auf die man ihn stelle, daß er der Tochter weniger Bereitwilligkeit zugetraut hätte, wo es sich um eine unabsehbare Zeit des Fernseins von einander handelte. Was ihr Vater an ihm und seinen Verhältnissen auszusetzen hätte, würde sich in einer noch so langen Zeit nicht ändern, und es schmerze ihn tief, so ohne Gewißheit über ihr zukünftiges Leben zu seiner täglichen Arbeit zurückkehren zu sollen.

Gertrud hatte mit steigendem Schreck zugehört; als er schwieg, wendete sie sich an ihren Vater und sagte hastig:

„Du willst ihn fortschicken, Vater, ohne daß Du uns Deinen Segen gegeben . . . lieber Konrad – es ist ein Mißverständniß – ich begreife es nicht – sagt mir alles! warum sollen wir nicht glücklich sein? – wir haben uns doch so sehr lieb!“

„Dank für dies Wort, Gertrud!“ sagte Konrad aufathmend, „ich will es in Gedanken behalten, wenn ich mich jetzt dem Willen Ihres Vaters beugen und Königsberg verlassen muß, ohne daß wir seine Einwilligung erhalten haben.“

Er machte wieder eine Bewegung nach der Thür. Ein Angstruf Gertruds ließ ihn nochmals zögern.

„Wie lange können Sie im äußersten Fall bleiben?“ fragte der Vater mit bewegter Stimme.

„Diese Woche noch,“ sagte Konrad.

„Nun, dann bitte ich Sie, für diese Zeit nach Belieben unser Gast zu sein. Ich habe zwar eine kleine Reise vor, aber meine Schwester wird Dir in der Zeit meiner Abwesenheit Gesellschaft leisten, Gertrud – und Sie mögen meine Tochter besuchen – ohne daß das zwischen Euch bestehende Verhältniß berührt wird. Nach meiner Rückkehr, die in etwa drei bis vier Tagen erfolgen kann, soll dann alles geklärt werden.“

„Warum nur, warum nur?“ fragte Gertrud, ängstlich und verständnißlos bald den Vater, bald den Geliebten ansehend.

Konrad zuckte die Achseln, der Vater sagte:

„Weil es meine Pflicht ist, mit den Verhältnissen, in die Du treten sollst, bekannt zu werden.“

Mit einer kleinen Erleichterung hörte Konrad das halbe Einverständniß aus diesen Worten und empfahl sich, indem er der Einladung für den nächsten Tag Folge zu leisten halb widerwillig versprach. Gertrud reichte ihm dabei mit festem Druck die Hand, von dem Vater verabschiedete er sich mit förmlicher Verbeugung – Gertrud gab ihm nicht, wie gestern, das Geleite, und halb zornig, halb bedrückt ging er, ohne sich umzusehen, die lange Königstraße hinunter und nach seinem Hotel.

Gedemüthigt und enttäuscht vernichtete er seine Schreibübungen, die er am Morgen so frohen Muthes niedergekritzelt hatte, und je mehr er über das eben Erlebte nachgrübelte, desto zorniger und aufgebrachter wurde er.

„In meinem Alter gemaßregelt wie ein Schulbube,“ dachte er ingrimmig, „und weiß Gott wie alles noch endet! Natürlich will der Alte nach Berlin, um da persönlich Erkundigungen über den lockern Vogel einzuziehen“ . . . Das mochte er nur, Konrad war sich mit Stolz seines Ansehens bewußt und er freute sich ordentlich darauf, daß der gestrenge Herr ihm seine Entschuldigungen machen müßte wegen der herabwürdigenden Behandlung, die er ihm heute hatte angedeihen lassen.

Und dann mußte er über den Irrthum lachen, in dem er sich eine Zeit lang befunden hatte: daß seine gut geordneten reichen Verhältnisse auf den Vater dieser Tochter Eindruck machen würden – er mußte lachen, daß ihm, dem Vielbegehrten, Selbstbewußten, das begegnen konnte. Aber die augenblickliche Heiterkeit verging ihm bald wieder. Anstatt als erklärter Bräutigam Gertruds mit allen Vorrechten eines solchen bei dem geliebten Mädchen zu weilen, sollte er noch tagelang steif und förmlich mit ihr verkehren wie ein Fremder, nein, schlimmer als das, befangen in dem Gefühl, daß man sie mißtrauisch gegen ihn gemacht habe. Sie würde nun nicht mehr wie in den Wochen ihres früheren Verkehrs zu ihm aufschauen wie zu einem besseren und höheren Menschen – ihr Vater erklärte ja, daß er ihrer nicht würdig wäre.

Ein heißes Schmerz- und Zorngefühl wallte in ihm auf. Was war Gertruds Liebe ihm noch ohne jenes süße, reine Vertrauen, das ihm aus ihren schönen Augen entgegengestrahlt, das alle guten Gedanken und Eigenschaften in ihm geweckt, das ihn überselig gemacht und unbewußt die besten und edelsten Vorsätze in ihm hatte erstehen lassen!

Welche Grausamkeit und zugleich welche Unklugheit von dem Vater, in seinem Kinde dieses Vertrauen zu zerstören, ihr den in seinen Augen schönsten Schmuck zu nehmen!

Wie ängstlich Gertrud ihn angesehen hatte! – und lag nicht schon ein Zweifel an ihm in ihrem Gehorsam gegen den Vater?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_511.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)