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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

und Grath stehen, soll der windige Franzosen-Peider nicht der Mann meiner Aninia werden, es sei denn, sie wolle es selber.“

„Weib, schweige! – oder bei Gott!“ – schrie der Ammann in jäh aufloderndem wilden Zorn, alles um sich her vergessend. Zugleich fuhr die geballte Faust so mächtig auf die schwere Bohlentafel nieder, daß diese mit den darauf befindlichen Trinkgeschirren zitterte und schwankte. Er fühlte es heiß in seine Schläfen steigen und mußte sich Gewalt anthun, um nicht die Hand zu erheben gegen das Weib, welches seine geheimsten Gedanken errathen und dieselben nicht nur ungescheut vor der ganzen Gemeinde ausgesprochen, sondern ihm zu gleicher Zeit Trotz geboten hatte mit einem Wort, das ihm so viel wie ein heiliger Schwur galt. Das war unerhört – das konnte er als Hausherr, als Cavig und Ammann nicht dulden! – Alle Gespräche ringsum waren verstummt und die Augen aller auf die Drei gerichtet, deren ganzes schwerwiegendes Reden und Streiten man Wort für Wort vernommen und nur zu gut verstanden hatte. Wie ein Blitz fuhr der Gedanke daran dem Ammann durch das Hirn; sekundenlang kämpfte in ihm der blinde Zorn mit dem Bewußtsein, daß er sich jetzt nicht durch ein ungeschicktes Wort bloßstellen dürfe, und gewaltsam rang der starke willenskräftige Mann nach Fassung; da – gleichsam als Antwort auf seinen eben niedergefallenen Faustschlag, der schallend die Tafel getroffen hatte, erhob sich plötzlich an der Seite des Festplatzes, dort, wo die Mädchen weilten, ein lauter Tumult, der jäh anschwoll. Schallende Männerstimmen, kreischende Rufe der Weiber tönten durcheinander, der Lärm wuchs immer weiter, so daß sich im Nu alles von den Sitzen erhob.

Auch der Ammann schnellte empor, horchte einen Augenblick, wohl um sich zu sammeln, dann aber, als er auch die Stimme seiner Aninia zu vernehmen glaubte, flog er, die Bank überspringend, mit der Gelenkigkeit eines jungen Burschen davon und den Streitenden entgegen. Die beiden Frauen und die meisten der sonst noch dort Weilenden folgten ihm in athemloser Hast, die übrigen Festgenossen eilten von allen Seiten herbei, um zu sehen, was sich auf der Wiese zugetragen, während drüben am Tisch die Alten stritten.

Dort hatte inzwischen der Franzosen-Peider einen dichten Kreis von Zuhörern, alten und neuen Freunden um sein Faß Veltliner versammelt und prahlte in gewohnter Weise mit seinen Erfolgen und Abenteuern. Er hatte sein bestes und reichstes französisches Habit angelegt und ging heute in seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen, sogar mit einem großen schwarztaffetnen Haarbeutel im Nacken einher. Daß er seinen stählernen Galanteriedegen durch die Rockschöße gesteckt hatte, war selbstverständlich; sah man ihn doch nie ohne diese Zierat. So nahe als möglich bei ihm hatte sich der lange Clo hingepflanzt und lauschte mit offenem Munde und weit aufgerissenen Augen den Erzählungen des Parisers. Schön war er gerade nicht, der Sohn der Maria Büssin, und er würde mit seiner derbknochigen Gestalt, mit den scharfen Gesichtszügen nimmer zu der hübschen und feingegliederten Gold-Aninia gepaßt haben. Auch schien er sich just nicht als unglücklich Liebender zu fühlen, zum wenigsten nicht in diesem Augenblick, wo ihn sichtlich nur ein Gedanke, die Abenteuer und das viele Geld seines Landsmannes, beherrschte.

Der Franzosen-Peider war bei seinem Lieblingsthema, den Frauen, angekommen. „Und die Weiber, die Pariserinnen erst!“ so rief er, dabei mit den Lippen schnalzend, als ob er die süßeste der Konfitüren zu kosten gehabt hätte! „Eine solche Sorte giebt es ein zweites Mal nicht wieder, und wer bei denen in die Schule gegangen ist, dem widersteht keine mehr. Kinder, ich sage Euch nochmals: die schönsten, reizendsten Weiber giebt es nur in Paris! sie sollen leben – hoch!“ Und sein Trinkgeschirr hebend, stieß er mit den anderen Burschen an, die lärmend, doch verständnißlos sein „Hoch“ wiederholten.

Nur der Clo schwieg. Unbeweglich, die knochigen Ellbogen auf die Tafel, das Kinn in die beiden Fäuste gestützt, saß er da und sagte, als der Lärm sich gelegt hatte, gelassen:

„Nun, Pariser, ich denke, auch bei uns giebt es schöne Mädchen, wie zum Beispiel – die Gold-Aninia.“

„Und die lange Staschia Cadruvi!“ rief ein anderer Bursche dazwischen, was bei den übrigen ein lustig neckendes Lachen zur Folge hatte, denn man wußte aller Orten gar wohl, daß der lange Clo, bevor er sich an die Gold-Aninia herangewagt, der längsten Dirne von Surley, der übrigens gar nicht üblen Staschia Cadruvi, den Hof gemacht hatte.

Der Stich hatte getroffen und verlegen senkte Clo die Augen, biß die Lippen zusammen und verstummte. Da rief der Franzosen-Peider schon wieder:

„Des Gian Madulani Tochter, die Gold-Aninia, lasse ich gelten, nur muß sie sich bessere Manieren angewöhnen und Eure abscheuliche, veraltete Tracht modernisiren. Doch das werde ich schon besorgen – wenn ich mich überhaupt entschließen sollte, sie zu meinem Weibe zu nehmen.“

„Oho!“ brummte der Clo, der durch diese übermüthigen Worte aus seinem Brüten wieder aufgeweckt worden war. „Weißt Du denn so bestimmt, daß sie Dich überhaupt will?“

Hell lachte der Peider auf und sagte dann, sich dabei auf die Stirn tippend: „O Du baumlanger, kurzsichtiger Bauer! Weißt und siehst nicht einmal, was in Deiner Nähe, fast unter Deiner Habichtsnase vorgeht! Reibe Dir nur erst den Schlaf ordentlich aus den blöden Augen, dann wirst Du allerhand sehen, was Deinem dicken Schädel bis jetzt nicht eingefallen ist. Aber hört nur,“ fuhr er, plötzlich den Ton ändernd, zu den andern gewendet fort, während Clo mit geballten Fäusten dastand, unschlüssig, ob er zuschlagen sollte oder nicht, „hört nur! Die Mädels drüben rufen nach uns, sie haben das Tanzlied angestimmt und werden gleich den Reigen beginnen! Da müssen wir hin, wenn sie uns nicht für ungalante, dumme Tölpel halten sollen. Und Du,“ sagte er jetzt so vertraulich, als sei nicht das mindeste vorgefallen, zu seinem noch immer ingrimmig dreinblickenden Gegner – „und Du, halte Dich an mich und merke auf, dann wirst Du sehen, wie ich mit Deiner Gold-Aninia stehe, und wie Du es anstellen mußt, um ein Frauenzimmer, sei es auch das schönste, stolzeste und störrischste, zu kirren.“

Damit eilte er, von der ganzen, bereits stark angeheiterten Gesellschaft begleitet, der auch Clo sich mit seinen längsten Schritten anschloß, über die Wiese der Stelle zu, wo die Mädchen in der That bereits nach einer Liedweise, die sie lustig sangen, einen Reigentanz begonnen hatten.

Dort war bis jetzt die schöne Gold-Aninia der Mittelpunkt des ziemlich großen und heiteren Mädchenkreises gewesen. Sie war mit ihrer zierlichen, anmuthigen Gestalt, mit dem frischen, rosigen Gesichtchen, den schwarzen strahlenden Augen und dem reichen goldblonden Haar wirklich eine Schönheit seltener Art. Dabei zeigte ihr ganzes Gebahren eine natürliche Gutmüthigkeit, wenn auch aus den dunklen Augen gelegentlich ein starkes Aufleuchten ging, das von kräftigem Willen und einer leidenschaftsfähigen Seele sprach.

Die Gold-Aninia hatte sich am Nachmittage vorzugsweise und recht angelegentlich mit einem Mädchen beschäftigt, das viel zu groß und stark war, um wirklich hübsch genannt werden zu können. So verschieden die beiden in ihrem Aeußeren auch waren, so mußte sie doch eine echte und rechte Freundschaft verbinden, denn es waren intime Herzensangelegenheiten, die sie halblaut mit einander verhandelten, wobei Aninia endlich lächelnd und doch recht ernst sagte:

„Gieb Dich nur zufrieden, Staschia, ich fange Dir Deinen langen Clo, der so gut zu Dir paßt, nicht weg; – denn erstens mag ich ihn nicht, und dann würde der Vater nun und nimmer in eine solche Heirath willigen. Ist auch die Mutter dafür, so hilft ihr Zureden doch nichts, wenn ich selber nicht will. Ich brauche nur dabei zu bleiben, daß ich meinen leiblichen Vetter nicht zum Manne nehme, dann können sie’s nicht erzwingen, sie und Vatersschwester. Sei nur ruhig, der Clo ist und bleibt Dir gewiß.“

„Du denkst vermuthlich an den Pariser?“ warf die Lange, tief und erleichtert aufathmend, ein.

Gold-Aninia schlug eine helle Lache auf. „Gefehlt, Staschia, weit gefehlt!“ rief sie mit einer fast übermüthigen Lustigkeit. „An den Franzosen-Peider würde ich zu allerletzt denken – und dann nicht einmal! Der ist in meinen Augen nichts weiter als ein Schwätzer, ein Aufschneider.“

„Aber Du hörst ihm doch immer so gern zu, lachst mit ihm, wenn er zu Deinem Vater nach Surley kommt –“

„Weil mich sein Geschwätz unterhält; wenn er aber zu toll prahlt und lügt, lache ich ihn aus.“

„Dann muß Dir auf alle Fälle doch ein anderer im Sinn liegen,“ meinte die lange Staschia recht treuherzig, doch auch nicht wenig neugierig. „Du hast doch auch ein Herz!“

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