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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

der Wagen des Kurfürsten August, der Mittelpunkt des wunderbaren von Architekt Hauschild genial entworfenen Jagdzugs des Jagdschutzvereins.

Große Aufmerksamkeit erregten auch die landwirthschaftlichen Gruppen, die Altenburger, die Wenden und Oberlausitzer mit ihrem originellen Hochzeitswagen; die Gartenbauvereine, der Bergbau und das Hüttenwesen mit ihrem Schachtwagen boten farbige Bilder und Abwechslung; nach den Kohlendistrikten kam den sächsischen Städten voran in hellem Glanz der stolze Prachtwagen der Stadt Leipzig, von Architekt Schuster und Maler Wehle entworfen und in vier lebenden Frauengestalten die Stadt Leipzig, die Wissenschaft, Rechtspflege und Musik allegorisch darstellend (vergl. die Abbildung).

Die Stadt Chemnitz zeichnete sich durch einen kühnen und phantastischen Schauwagen aus. Es folgten eine Masse anderer Städte, die Landgemeinden und Vororte Leipzigs und Dresdens; die Universität Leipzig (an 200 Studenten); die Fürstenschulen, der deutsche Turnkreis, die Feuerwehren.

Der Festwagen „Dresden“. Entworfen von Professor F. Rentsch.

Das Verkehrswesen wurde von den Oberpostdirektionen Dresden und Leipzig vertreten in einer historischen Gruppe und einem postalischen Schmuckwagen mit sechs prächtigen Blauschimmeln. Der Wagen der königl. sächs. Staatseisenbahn mit der Lokomotive „Wettin“ (von Prof. Rentsch) verdient besondere Beachtung. Auch die Wagen der Elbschiffahrt (Prof. Donadini) und der Dresdener Straßenbahngesellschaft erregten Wohlgefallen, ebenso der Schmuckwagen des Radfahrerklubs, ganz besonders aber der Ruhmeswagen „Sachsen“. Anderthalbtausend Mann der Militärvereine geleiteten ihn. Unter einem Thronhimmel, auf das sächsische Wappen sich stützend, von Rittergestalten umgeben sitzt die „Saxonia“ auf einem Wagen, der aus lauter Städtewappen gebildet scheint. Diesem ebenfalls von Prof. Rentsch komponirten Prunkwagen folgten die Gewerbe- und Handwerkervereine, die Innungen und sonstigen Körperschaften, die Industrie, von welcher hauptsächlich der Meißner Porzellan-Schauwagen, der Gutenberg-Wagen des sächsischen Buchgewerbes, ein Aufbau von 2 Stockwerken (Prof. Naumann), in deren oberem eine Buchdruckerpresse in Thätigkeit war, sowie der Schmuckwagen der Siemensschen Glasfabriken die Augen auf sich lenkten.

An sechzig solcher Schauwagen enthielt der Zug, der in musterhafter Ordnung in einem Zeitraum von 2 Stunden unter ununterbrochenen Jubelrufen an der königlichen Tribüne am Neumarkt vorbeizog. Der Gesammteindruck spottet einfach der Beschreibung in Wort und Bild. Solche Feste muß man erleben!

Nach dem Festzug schien eine Steigerung der Eindrücke auf dem Boden gemeiner Wirklichkeit nicht mehr möglich, man mußte zu dem geheimnißvollen Zauber einer Sommernacht mit der Phantastik eines märchenhaften Farbenspieles in den Lüften greifen. Der Magistrat der Stadt Dresden, der diesen letzten Trumpf auszuspielen unternommen hatte, that einen guten Griff, römische Feuerwerker kommen zu lassen.

Was die Italiener in pyrotechnischer Kunstfertigkeit leisten, ist weltbekannt. Es wäre unmöglich, beschreiben zu wollen, was sie alles für Kunststücke zur Feier des Hauses Wettin am dunklen Nachthimmel gegenüber dem Belvedere, von wo aus der Hof zusah, in Makartschem Brillantfeuer aufführten. Es war eine strahlende Ruhmeshalle mit den Porträts sächsischer Regenten, eine ans Firmament geschriebene Apotheose des Regentenhauses.

Das Andenken aber an die Wettin-Feier, die Liebe und Treue zu dem Haus Wettin ist ins Herz des Volkes geschrieben, da leuchtet sie und keine Erdenmacht wird sie je verlöschen. Ein unberechenbarer Gewinn liegt in der geschichtlichen Vertiefung des Volksbewußtseins während dieser Festtage, das ganze Thun und Treiben auch außerhalb des Festprogramms wurde geadelt durch den ethischen Gehalt dieser Tage; in hundert und aber hundert Vereinen und geselligen Vergnügungen ward die Feststimmung Herr, am offenbarsten im Hoftheater, wo man Koppel-Ellfelds vaterländisches Schauspiel „Albrecht der Beherzte“ mit rauschendem Erfolge zur Aufführung brachte; in Konzerten und Vorlesungen, aber auch in den vielen Gelegenheitsschriften ward eine gute Saat patriotischer Gefühle ausgestreut, nicht am wenigsten in der vom Preßausschuß herausgegebenen „Festschrift“, in welcher man die Namen aller derer findet, die sich in zeitraubender Ausschußarbeit monatelang um das Zustandekommen des unvergleichlichen Festes die größten Verdienste erworben haben.

Ein Prachtwerk mit den seltensten Kunstblättern wird demnächst erscheinen, „Die goldene Chronik des Hauses Wettin“, von der Literarischen Gesellschaft in Leipzig herausgegeben; es dürfte ganz besonders geeignet sein, die Erinnerung an diese goldenen Dresdener Festtage am häuslichen Herd für alle Zeit wach zu halten.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_456.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)