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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


Wunsch Verstorbener war bestimmend. Mir ist sogar, als hörte ich dergleichen. Vielleicht handelt es sich um eine Vermögenszuschiebung, die nur möglich war, wenn Germaine gesetzlich den Namen Haumond trug. Vielleicht hatte Alfred die ritterliche Idee, eine arme Waise in dieser Form vor Noth zu schützen. Oder ein Familiengesetz zwang Alfred, bis zu einer bestimmten Frist vermählt zu sein. Vielleicht auch …“

„Der Novellist spricht aus Ihnen,“ sagte Ravenswann.

„In der That würde ich eine Wette annehmen, in zehn verschiedenen Fassungen eine Novelle über den Fall zu schreiben, wobei die Betheiligten immer unschuldig erschienen. Ich weiß, der gedruckten Novelle würden Sie glauben. Den Romanen, die unsere Nebenmenschen leben, glauben wir nie die Schuldlosigkeit. Das kommt vielleicht aus der Erkenntniß, daß wir alle von Adam und Eva abstammen und uns vor Sündenfälligkeit selbst nicht sicher fühlen.“

„Das kann ich von mir Gott sei Dank nicht sagen,“ meinte Frau Marie mit erregter Stimme, „ich bin in soliden Verhältnissen aufgewachsen und wäre gar nicht ims-tande, etwas Unpassendes oder gar Sündhaftes zu thun.“

„Ich beneide Sie um dies Bewußtsein,“ sagte Doktor Bendel.

Schneider hatte während des Gespräches immerfort gegessen und aß auch ruhig weiter, als seine Frau jetzt mit einem Seufzer bat:

„Sprechen Sie doch von weniger peinlichen Dingen. Mietze ist, wie soll ich sagen, eine robuste Natur; mich macht es schamroth, nur solche Fragen diskutieren zu hören.“

So sprach man denn von anderen Dingen.

Marie Ravenswann aber, die sich sonst eines festen und traumlosen Schlafes erfreute, konnte lange nicht die Augen schließen. Das gewisse Lächeln Bendels empörte sie immer von neuem, als er gesagt „ich beneide Sie um dies Bewußtsein.“ Er hatte gerade so gelächelt, als ob er ihr auch alles mögliche zutraue. Vielleicht deutete er ihre eifrige Theilnahme an Haumond falsch. Das wäre nun gar empörend.

Und Marie bewies ihren eigenen Gedanken mit hundert unwiderleglichen Gründen, daß sie Alfred bloß Theilnahme schenke, weil er ihres Mannes Jugendfreund gewesen war und weil sie gehofft hatte, bessernd auf ihn einzuwirken.

Noch am andern Morgen war sie durch diese Gedanken zerstreut und hörte gar nicht zu, als ihre Köchin ihr von den Bewohnern des zweiten Stockes eine lange Geschichte erzählte.

Wie wurde ihr aber, als das Stubenmädchen ihr bald nach zwölf Uhr eine Karte in das Zimmer brachte!

„Alfred von Haumond.“

(Fortsetzung folgt.)




Dresden in den Tagen des Wettiner Jubiläums.

Von Dr. Franz Koppel-Ellfeld.

Der Festwagen „Sachsen“. Entworfen von Professor F. Rentsch.

So weit die deutsche Zunge klingt, ist keine Stadt, die von Natur und Kunst zum Schauplatz für prunkvolle Feste so ganz und gar geschaffen erscheint wie das schöne Dresden. Prachtliebende Fürsten, in deren Glanzperiode jeder Tag ein Fest war, haben der sächsischen Residenz im vorigen Jahrhundert einen Weltruf als Feststadt gegründet; eine geradezu geniale Vergnügungssucht verschönte neben Kunst und Wissenschaft das Leben am galantesten Hof Europas. Das Grandiose und Barocke verschmolzen zu einem Dresdener Feststil, der seine ganz eigenthümliche lokale Berechtigung hatte. Ausschließlich die Fürsten waren die Festgeber, und in diesem Sinne gilt das Wort: Dresden ward durch seine Fürsten groß.

In der modernen Großstadt Dresden strömte in diesen Tagen der Sommersonnenwende das ganze sächsische Volk zusammen, um seinem geliebten Fürstenhaus ein Fest zu veranstalten, das einzig in der Welt dastehen dürfte. Die Wettin-Feier bildete in der That einen alles überragenden erhöhten Moment im Dasein des Sachsenvolkes, sie ließ als ein Symbol edelster Art die Idee der Zusammengehörigkeit von Fürst und Volk eine aller Welt verständliche sichtbare Gestalt annehmen.

„Wir feiern,“ sagte als Festredner der technischen Hochschule des Landes der bekannte Historiker Arnold Gaedeke, „ein in seiner Art einziges, noch nicht dagewesenes Fest, die achthundertjährige Vergangenheit eines der ältesten und berühmtesten deutschen Fürstengeschlechter, dessen blühender Stamm dem Lande eine weitere, hoffnungsreiche Zukunft verspricht … Was der Feier erhöhte Bedeutung verleiht, ist das Gefühl achthundertjähriger Zusammengehörigkeit mit dem Herrscherhaus in guten wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_452.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)